Falstaff Magazine (Switzerland)
WILDBRET: BELIEBT WIE NIE Wie bewusste Geniesser den Wildfleisch-Markt neu beleben
Die covidbedingte Schliessung der Gastronomie und deren Folgen haben dafür gesorgt, dass Wildbret derzeit so günstig ist wie nie. Doch Direktvermarkter wissen: Das gesunde Fleisch von Hirsch, Reh und Wildschwein ist bei bewussten Konsumenten beliebter denn je – und dürfte wohl schon bald in Gold aufgewogen werden.
Vor Weihnachten müsste das Reh fünf Rücken haben», sagt Erich Hofer. Im Spätherbst und gegen Winter hin wird besonders gern Wild gegessen. Das hat Tradition. Entsprechend gross ist die Nachfrage. Dann steht Wild im Wirtshaus auf der Karte und wird auch zu Hause gern zubereitet. Und Erich Hofer und sein Bruder Kurt kommen kaum mit dem Liefern nach. Das ist schon seit Jahren so. Das Bewusstsein für Regionalität, das Auskosten der urtümlichen Waldviertler Kulturlandschaft, wo die beiden das Wild mit ausschliesslich bleifreier Munition erlegen, die Wertschätzung für das Wissen um die Herkunft der Lebensmittel: All das hat die Nachfrage nach Fleisch von Reh, Hirsch und Wildschwein erhöht.
WÄHREND DIREKTVERMARKTER VON WILDBRET GOLDENE ZEITEN ERLEBEN, BRACH DAS GESCHÄFT MIT DER GASTRONOMIE IM LOCKDOWN WEG.
Nun ist 2020 alles andere als ein normales Jahr. Das Coronavirus versetzte auch unser aller Essverhalten in einen Ausnahmezustand. Wirtshäuser blieben geschlossen. Viele Menschen hatten oder nahmen sich erstmals Zeit zu kochen. «Die Pandemie hat uns Bestellungen in einer Menge gebracht, die wir sonst nur von Weihnachten kannten», sagt Erich Hofer. «Und dieser Trend hält bis heute an.» Dass die beiden Herzblut und Hirnschmalz in ihren Wildbrethandel gesteckt und viel Zeit und Geld in ihre Website «Fair Hunt» investiert haben, machte sich in der Krise bezahlt. Portionierte Rehschnitzel und Bratenstücke, vakuumierter Hirschschlegel und Wildschweinschopf gingen weg wie die warmen Wildschweinleberkässemmeln, mit denen die «Fair Hunt»-Brüder sonst alljährlich am – heuer abgesagten – Waldviertel-Fest vor dem Wiener Rathaus für Furore sorgen.
DIREKTVERMARKTER BOOMEN
Doch während 2020 den einen ein ganzes Jahr Weihnachten bescherte, standen andere durch den Lockdown über Nacht vor dem Nichts. «Unsere Firma war tot, alle in Kurzarbeit, ohne staatliche Hilfe: Halleluja!», denkt Mischa Hofer mit Schaudern zurück. Er ist nicht verwandt mit den anderen beiden Hofers und betreibt von Lützelflüh aus einen der grossen Schweizer Wildvermarktungsbetriebe. 95 Prozent gehen in die Gastronomie, lediglich fünf Prozent liefert er an Endkunden – unter anderem über ein Fleisch-Abo, den «Platzhirsch-Club», den er nun langsam ausbaut. Doch Mischa Hofer ist zuversichtlich; auch weil die Restaurants wieder offen sind. «Ich denke, wir werden aufs Jahr umgelegt insgesamt nicht viel weniger Wild verkaufen als im Vorjahr.» Wildbret trifft den Nerv der Zeit und deckt die Bedürfnisse einer auf Genuss, Tierwohl und nachhaltige lokale Kreisläufe bedachten Klientel. Deswegen sei es auch für ihn, als Zwischenhändler, zusehends schwieriger, überhaupt an Fleisch zu gelangen. «Immer mehr Gastronomen möchten Schweizer Wild, und die Reviere haben den Braten gerochen. Sie vermarkten direkt zum Endkunden oder an die Gastronomie. Seit drei Jahren müssen wir regelrecht um unser Wild kämpfen. Das Allermeiste geht unter der Hand weg.»
JÄGER UNTER DRUCK
Von Direktvermarktern wie den Waldviertler Gebrüdern Hofer hat man in den vergangenen Monaten wenig gehört. Sie hatten keinen Grund zu klagen und schlicht keine Zeit zu jubilieren. Dennoch brachten die mit Covid-19 verbundenen Einschränkungen den Wildbretmarkt insgesamt in eine Krise. Als die Restaurants geschlossen blieben, hatten die Wildbrethändler ihre Lager noch aus der zurückliegenden Drückjagdsaison voll. Die Jäger in den Revieren mussten ihre amtlich vorgeschriebenen Abschusszahlen erfüllen. Die Preise fielen – allerdings dort am stärksten, wo es keine bestehenden Strukturen gab, das Fleisch direkt loszuwerden.
Am eindrucksvollsten zeigen das die Kilopreise für Rehfleisch im Ganzen
> («Reh in der Decke») in Deutschland. Während sich Jäger in Brandenburg teilweise mit unter zwei Euro pro Kilo begnügen mussten, bekamen die Kollegen in Baden-Württemberg zwischen sechs und acht Euro. «Dass das Land Baden-Württemberg inzwischen eine Million Euro pro Jahr in die Förderung der Wildbretvermarktung steckt, macht sich bezahlt», sagt Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverbands (DJV). Der bekennende Kochtopfjäger geht selbst am Stadtrand von Berlin – also in Brandenburg – auf die
Pirsch und weiss, wie begehrt das Produkt eigentlich wäre. «Wenn ich privat Wild habe, sind in meinem Umfeld alle begeistert und wollen was haben», erzählt Reinwald. «Weil sich immer mehr Köche mit Wild beschäftigen, hat sich herumgesprochen, dass Wild modern ist, und was abseits von Buttermilch- und Rotweingejauche alles möglich ist.» Die Jagdverbände sind an dieser Entwicklung ebenfalls nicht ganz unbeteiligt. Der Deutsche Jagdverband motiviert auf der Plattform wild-auf-wild.de mit mehr als 300 einfachen Rezepten zum Nachkochen. «Jagd Österreich», der Dachverband der neun österreichischen Landesjagdverbände, hat im Sommer – auch als Reaktion auf die Absatzkrise – die Plattform wild-oesterreich.at gelauncht. Darauf sollen
Direktvermarkter und Konsumenten zusammengeführt werden. Direktvermarktung hat auch im Burgenland stark an Bedeutung gewonnen, berichtet Matthias Grün, Geschäftsführer der Esterhazy-Betriebe: «Absatzseitig war und ist natürlich problematisch, dass viele Grossveranstaltungen abgesagt wurden.» Auch im Hoheitsgebiet der EsterhazyGruppe fielen Hotellerie und städtische Gastronomie für zwei Monate komplett
W ILDBRET DECKT BEDÜRFNISSE EINER AUF GENUSS, TIERWOHL UND NACHHALTIGE LOKALE KREISLÄUFE BEDACHTEN KLIENTEL.
aus. «Stark positiv hat jedoch der Direktabsatz reagiert. Die Konsumenten haben bereits in der Phase des Lockdowns begonnen, gezielt nach der Herkunft der Produkte zu fragen», sagt Grün. Was den Absatz sehr positiv beeinflusst habe – sowohl im Online-Shop als auch im Direktverkauf in der Markthalle in Eisenstadt und über die mobilen Stände und Verkaufseinheiten. Am erfreulichsten, so Grün: «Diese Nachfrage hält weiter an.»
EINE NISCHE MIT POTENZIAL
Dass der Markt für Wildbret durch Corona gelitten hat, ist offensichtlich. Wie sehr er das tat, bleibt allerdings umstritten. Denn die Zahlen über Absatz und Menge, hört man immer wieder, wären höchst ungenau und eher grobe Schätzungen. In der Schweiz gibt es sie gar nicht erst. «Wir haben keine Ahnung», gesteht David Clavadetscher, Geschäftsführer von Jagd Schweiz. «Wir wissen zwar, wie viele Tiere erlegt wurden, aber weder ihr Gewicht noch ob sie verkauft, verschenkt oder selbst gegessen wurden.» Grund, das zu ändern, sieht der Verbandschef keinen. «Da die Not uns nicht plagt, verfügen wir nicht über die entsprechenden Statistiken. Wenn jemand Wildbret möchte und welches bekommt, dann ist das mit Gold aufzuwiegen.»
Jeder Österreicher isst jährlich 0,7 Kilogramm Wildfleisch. Das sagen die Zahlen der Statistik Austria, die Wildbret in ihrer Fleischversorgungsbilanz nach Arten allerdings unter «Sonstiges» führt – und alles Wild zusammenfasst. Ob es sich um Hase, Wildschwein, Gams oder Reh handelt, wird nicht erfasst. Auch nicht, wieviel Fleisch davon von Jägern selbst verzehrt, verschenkt oder vermarktet wird.
Für Deutschland weisen die Statistiken des DJV für 2018/2019 nüchtern ein Wildbretaufkommen von 27.390 Tonnen auf – mit Knochen. Aus regelmässigen Imagebefragungen weiss man, dass die Beliebtheit von Wildbret insgesamt zunimmt. «84 Prozent sagen, Wildbret ist hochwertig. 1999 sahen das noch 20 Prozent weniger so», berichtet Sprecher Torsten Reinwald. «Wir wissen, dass 55 Prozent mindestens einmal im Jahr Wild essen. Ein Viertel bereitet heute Wild selbst zu – das ist enorm viel mehr als noch vor ein paar Jahren.»
Fest steht: Wildbret bleibt eine Nische – mit viel Potenzial für Geniesser und Gesundheitsbewusste. Mit seinem geringen Fettanteil und gleichzeitig hohem Omega3-Fettsäuregehalt rangiert Wildbret weit oben im Gesundheitsranking von Fleisch. Auch Medikamente kommen keine zum Einsatz. «Trotzdem bleibt es rotes Fleisch», sagt Martin Weber, leidenschaftlicher Jäger und in Bayern ansässiger Chefredaktor der Zeitschrift «Pirsch». «Wer mit seinem Fleischkonsum vernünftig umgeht, trifft mit Wildbret eine sehr gute Wahl.»
Ein grosses Problem sieht Weber in mangelnder Kennzeichnung in Handel und Gastronomie. Gerade bei grossen Diskontern werde häufig Fleisch aus Übersee angeboten. «Das ist dann meist Rotwild-Fleisch aus neuseeländischen Gattern, die dem Gedanken des Wildbret-Konsums vollkommen entgegenstehen. Qualität und Frische sind zum Teil miserabel, sie haben eine katastrophale CO2-Bilanz. Zudem leben die Tiere eben nicht frei, und auch die Einsatzmöglichkeiten von Hormonen und Medikamenten sind in Neuseeland andere als bei uns.» Seine Empfehlung: stattdessen beim Jäger vor Ort kaufen.
«Farmwild aus Neuseeland ist für mich ein absolutes No-Go», stellt auch sein Kollege Martin Grasberger klar. Er ist Chefredaktor von «Weidwerk», Österreichs wichtigster Jagdzeitschrift, und vermarktet privat Selbsterlegtes. Wie viele Jäger verfolgt Grasberger das Prinzip «Nose to tail». Das heisst: Verwertet wird alles: «Es gibt eigentlich nur wenig ‹Abfall›, denn selbst mit den beim Zerwirken anfallenden Knochen kann man einen wunderbaren Wildfond zaubern.» Als wichtigstes Argument für heimisches Wildbret erachtet er allerdings die Regionalität. Darauf legen Konsumenten wie Gastronomen zunehmend Wert.
Das bestätigt «Platzhirsch» Mischa
Hofer auch für die Schweiz. Aus der Gastro-Praxis weiss er aber: «Jeder behauptet, er hat regionales Wild, aber im Kühlregal sieht es dann anders aus.» Gerade Spitzengastronomie tue sich oft schwer mit richtigem Wild und müsse mitunter auch erzogen werden: «Ich hatte anfangs einen Schweizer Spitzenkoch, der meine Hirschfilets vom Hirschkalb reklamierte, weil die Filets nicht alle gleich gross waren, wie er das von
Ware aus Neuseeland gewohnt war.»
Hofer importiert allerdings auch Wild, «weil die Kunden es wünschen». Wenn er von «Ausländerwild» spricht, meint er etwa Tiroler Rotwild oder Tiefkühlware aus Tschechien. Die sei hochwertig, aber «sehr billig: Schweizer Hirschragout kostet den Kunden 26 Franken, Ragout aus Tirol 19 Franken, das aus Tschechien 11 Franken.» Wenn das Fleisch aus Tschechien stammt, würden seine Restaurant-Partner jedoch kommunizieren, dass es sich um Importware handelt. Meist heisst es dann «Herkunft: Europäische Union».