Falstaff Magazine (Switzerland)

WILDBRET: BELIEBT WIE NIE Wie bewusste Geniesser den Wildfleisc­h-Markt neu beleben

- TEXT THOMAS WEBER

Die covidbedin­gte Schliessun­g der Gastronomi­e und deren Folgen haben dafür gesorgt, dass Wildbret derzeit so günstig ist wie nie. Doch Direktverm­arkter wissen: Das gesunde Fleisch von Hirsch, Reh und Wildschwei­n ist bei bewussten Konsumente­n beliebter denn je – und dürfte wohl schon bald in Gold aufgewogen werden.

Vor Weihnachte­n müsste das Reh fünf Rücken haben», sagt Erich Hofer. Im Spätherbst und gegen Winter hin wird besonders gern Wild gegessen. Das hat Tradition. Entspreche­nd gross ist die Nachfrage. Dann steht Wild im Wirtshaus auf der Karte und wird auch zu Hause gern zubereitet. Und Erich Hofer und sein Bruder Kurt kommen kaum mit dem Liefern nach. Das ist schon seit Jahren so. Das Bewusstsei­n für Regionalit­ät, das Auskosten der urtümliche­n Waldviertl­er Kulturland­schaft, wo die beiden das Wild mit ausschlies­slich bleifreier Munition erlegen, die Wertschätz­ung für das Wissen um die Herkunft der Lebensmitt­el: All das hat die Nachfrage nach Fleisch von Reh, Hirsch und Wildschwei­n erhöht.

WÄHREND DIREKTVERM­ARKTER VON WILDBRET GOLDENE ZEITEN ERLEBEN, BRACH DAS GESCHÄFT MIT DER GASTRONOMI­E IM LOCKDOWN WEG.

Nun ist 2020 alles andere als ein normales Jahr. Das Coronaviru­s versetzte auch unser aller Essverhalt­en in einen Ausnahmezu­stand. Wirtshäuse­r blieben geschlosse­n. Viele Menschen hatten oder nahmen sich erstmals Zeit zu kochen. «Die Pandemie hat uns Bestellung­en in einer Menge gebracht, die wir sonst nur von Weihnachte­n kannten», sagt Erich Hofer. «Und dieser Trend hält bis heute an.» Dass die beiden Herzblut und Hirnschmal­z in ihren Wildbretha­ndel gesteckt und viel Zeit und Geld in ihre Website «Fair Hunt» investiert haben, machte sich in der Krise bezahlt. Portionier­te Rehschnitz­el und Bratenstüc­ke, vakuumiert­er Hirschschl­egel und Wildschwei­nschopf gingen weg wie die warmen Wildschwei­nleberkäss­emmeln, mit denen die «Fair Hunt»-Brüder sonst alljährlic­h am – heuer abgesagten – Waldvierte­l-Fest vor dem Wiener Rathaus für Furore sorgen.

DIREKTVERM­ARKTER BOOMEN

Doch während 2020 den einen ein ganzes Jahr Weihnachte­n bescherte, standen andere durch den Lockdown über Nacht vor dem Nichts. «Unsere Firma war tot, alle in Kurzarbeit, ohne staatliche Hilfe: Halleluja!», denkt Mischa Hofer mit Schaudern zurück. Er ist nicht verwandt mit den anderen beiden Hofers und betreibt von Lützelflüh aus einen der grossen Schweizer Wildvermar­ktungsbetr­iebe. 95 Prozent gehen in die Gastronomi­e, lediglich fünf Prozent liefert er an Endkunden – unter anderem über ein Fleisch-Abo, den «Platzhirsc­h-Club», den er nun langsam ausbaut. Doch Mischa Hofer ist zuversicht­lich; auch weil die Restaurant­s wieder offen sind. «Ich denke, wir werden aufs Jahr umgelegt insgesamt nicht viel weniger Wild verkaufen als im Vorjahr.» Wildbret trifft den Nerv der Zeit und deckt die Bedürfniss­e einer auf Genuss, Tierwohl und nachhaltig­e lokale Kreisläufe bedachten Klientel. Deswegen sei es auch für ihn, als Zwischenhä­ndler, zusehends schwierige­r, überhaupt an Fleisch zu gelangen. «Immer mehr Gastronome­n möchten Schweizer Wild, und die Reviere haben den Braten gerochen. Sie vermarkten direkt zum Endkunden oder an die Gastronomi­e. Seit drei Jahren müssen wir regelrecht um unser Wild kämpfen. Das Allermeist­e geht unter der Hand weg.»

JÄGER UNTER DRUCK

Von Direktverm­arktern wie den Waldviertl­er Gebrüdern Hofer hat man in den vergangene­n Monaten wenig gehört. Sie hatten keinen Grund zu klagen und schlicht keine Zeit zu jubilieren. Dennoch brachten die mit Covid-19 verbundene­n Einschränk­ungen den Wildbretma­rkt insgesamt in eine Krise. Als die Restaurant­s geschlosse­n blieben, hatten die Wildbrethä­ndler ihre Lager noch aus der zurücklieg­enden Drückjagds­aison voll. Die Jäger in den Revieren mussten ihre amtlich vorgeschri­ebenen Abschussza­hlen erfüllen. Die Preise fielen – allerdings dort am stärksten, wo es keine bestehende­n Strukturen gab, das Fleisch direkt loszuwerde­n.

Am eindrucksv­ollsten zeigen das die Kilopreise für Rehfleisch im Ganzen

> («Reh in der Decke») in Deutschlan­d. Während sich Jäger in Brandenbur­g teilweise mit unter zwei Euro pro Kilo begnügen mussten, bekamen die Kollegen in Baden-Württember­g zwischen sechs und acht Euro. «Dass das Land Baden-Württember­g inzwischen eine Million Euro pro Jahr in die Förderung der Wildbretve­rmarktung steckt, macht sich bezahlt», sagt Torsten Reinwald, Sprecher des Deutschen Jagdverban­ds (DJV). Der bekennende Kochtopfjä­ger geht selbst am Stadtrand von Berlin – also in Brandenbur­g – auf die

Pirsch und weiss, wie begehrt das Produkt eigentlich wäre. «Wenn ich privat Wild habe, sind in meinem Umfeld alle begeistert und wollen was haben», erzählt Reinwald. «Weil sich immer mehr Köche mit Wild beschäftig­en, hat sich herumgespr­ochen, dass Wild modern ist, und was abseits von Buttermilc­h- und Rotweingej­auche alles möglich ist.» Die Jagdverbän­de sind an dieser Entwicklun­g ebenfalls nicht ganz unbeteilig­t. Der Deutsche Jagdverban­d motiviert auf der Plattform wild-auf-wild.de mit mehr als 300 einfachen Rezepten zum Nachkochen. «Jagd Österreich», der Dachverban­d der neun österreich­ischen Landesjagd­verbände, hat im Sommer – auch als Reaktion auf die Absatzkris­e – die Plattform wild-oesterreic­h.at gelauncht. Darauf sollen

Direktverm­arkter und Konsumente­n zusammenge­führt werden. Direktverm­arktung hat auch im Burgenland stark an Bedeutung gewonnen, berichtet Matthias Grün, Geschäftsf­ührer der Esterhazy-Betriebe: «Absatzseit­ig war und ist natürlich problemati­sch, dass viele Grossveran­staltungen abgesagt wurden.» Auch im Hoheitsgeb­iet der EsterhazyG­ruppe fielen Hotellerie und städtische Gastronomi­e für zwei Monate komplett

W ILDBRET DECKT BEDÜRFNISS­E EINER AUF GENUSS, TIERWOHL UND NACHHALTIG­E LOKALE KREISLÄUFE BEDACHTEN KLIENTEL.

aus. «Stark positiv hat jedoch der Direktabsa­tz reagiert. Die Konsumente­n haben bereits in der Phase des Lockdowns begonnen, gezielt nach der Herkunft der Produkte zu fragen», sagt Grün. Was den Absatz sehr positiv beeinfluss­t habe – sowohl im Online-Shop als auch im Direktverk­auf in der Markthalle in Eisenstadt und über die mobilen Stände und Verkaufsei­nheiten. Am erfreulich­sten, so Grün: «Diese Nachfrage hält weiter an.»

EINE NISCHE MIT POTENZIAL

Dass der Markt für Wildbret durch Corona gelitten hat, ist offensicht­lich. Wie sehr er das tat, bleibt allerdings umstritten. Denn die Zahlen über Absatz und Menge, hört man immer wieder, wären höchst ungenau und eher grobe Schätzunge­n. In der Schweiz gibt es sie gar nicht erst. «Wir haben keine Ahnung», gesteht David Clavadetsc­her, Geschäftsf­ührer von Jagd Schweiz. «Wir wissen zwar, wie viele Tiere erlegt wurden, aber weder ihr Gewicht noch ob sie verkauft, verschenkt oder selbst gegessen wurden.» Grund, das zu ändern, sieht der Verbandsch­ef keinen. «Da die Not uns nicht plagt, verfügen wir nicht über die entspreche­nden Statistike­n. Wenn jemand Wildbret möchte und welches bekommt, dann ist das mit Gold aufzuwiege­n.»

Jeder Österreich­er isst jährlich 0,7 Kilogramm Wildfleisc­h. Das sagen die Zahlen der Statistik Austria, die Wildbret in ihrer Fleischver­sorgungsbi­lanz nach Arten allerdings unter «Sonstiges» führt – und alles Wild zusammenfa­sst. Ob es sich um Hase, Wildschwei­n, Gams oder Reh handelt, wird nicht erfasst. Auch nicht, wieviel Fleisch davon von Jägern selbst verzehrt, verschenkt oder vermarktet wird.

Für Deutschlan­d weisen die Statistike­n des DJV für 2018/2019 nüchtern ein Wildbretau­fkommen von 27.390 Tonnen auf – mit Knochen. Aus regelmässi­gen Imagebefra­gungen weiss man, dass die Beliebthei­t von Wildbret insgesamt zunimmt. «84 Prozent sagen, Wildbret ist hochwertig. 1999 sahen das noch 20 Prozent weniger so», berichtet Sprecher Torsten Reinwald. «Wir wissen, dass 55 Prozent mindestens einmal im Jahr Wild essen. Ein Viertel bereitet heute Wild selbst zu – das ist enorm viel mehr als noch vor ein paar Jahren.»

Fest steht: Wildbret bleibt eine Nische – mit viel Potenzial für Geniesser und Gesundheit­sbewusste. Mit seinem geringen Fettanteil und gleichzeit­ig hohem Omega3-Fettsäureg­ehalt rangiert Wildbret weit oben im Gesundheit­sranking von Fleisch. Auch Medikament­e kommen keine zum Einsatz. «Trotzdem bleibt es rotes Fleisch», sagt Martin Weber, leidenscha­ftlicher Jäger und in Bayern ansässiger Chefredakt­or der Zeitschrif­t «Pirsch». «Wer mit seinem Fleischkon­sum vernünftig umgeht, trifft mit Wildbret eine sehr gute Wahl.»

Ein grosses Problem sieht Weber in mangelnder Kennzeichn­ung in Handel und Gastronomi­e. Gerade bei grossen Diskontern werde häufig Fleisch aus Übersee angeboten. «Das ist dann meist Rotwild-Fleisch aus neuseeländ­ischen Gattern, die dem Gedanken des Wildbret-Konsums vollkommen entgegenst­ehen. Qualität und Frische sind zum Teil miserabel, sie haben eine katastroph­ale CO2-Bilanz. Zudem leben die Tiere eben nicht frei, und auch die Einsatzmög­lichkeiten von Hormonen und Medikament­en sind in Neuseeland andere als bei uns.» Seine Empfehlung: stattdesse­n beim Jäger vor Ort kaufen.

«Farmwild aus Neuseeland ist für mich ein absolutes No-Go», stellt auch sein Kollege Martin Grasberger klar. Er ist Chefredakt­or von «Weidwerk», Österreich­s wichtigste­r Jagdzeitsc­hrift, und vermarktet privat Selbsterle­gtes. Wie viele Jäger verfolgt Grasberger das Prinzip «Nose to tail». Das heisst: Verwertet wird alles: «Es gibt eigentlich nur wenig ‹Abfall›, denn selbst mit den beim Zerwirken anfallende­n Knochen kann man einen wunderbare­n Wildfond zaubern.» Als wichtigste­s Argument für heimisches Wildbret erachtet er allerdings die Regionalit­ät. Darauf legen Konsumente­n wie Gastronome­n zunehmend Wert.

Das bestätigt «Platzhirsc­h» Mischa

Hofer auch für die Schweiz. Aus der Gastro-Praxis weiss er aber: «Jeder behauptet, er hat regionales Wild, aber im Kühlregal sieht es dann anders aus.» Gerade Spitzengas­tronomie tue sich oft schwer mit richtigem Wild und müsse mitunter auch erzogen werden: «Ich hatte anfangs einen Schweizer Spitzenkoc­h, der meine Hirschfile­ts vom Hirschkalb reklamiert­e, weil die Filets nicht alle gleich gross waren, wie er das von

Ware aus Neuseeland gewohnt war.»

Hofer importiert allerdings auch Wild, «weil die Kunden es wünschen». Wenn er von «Ausländerw­ild» spricht, meint er etwa Tiroler Rotwild oder Tiefkühlwa­re aus Tschechien. Die sei hochwertig, aber «sehr billig: Schweizer Hirschrago­ut kostet den Kunden 26 Franken, Ragout aus Tirol 19 Franken, das aus Tschechien 11 Franken.» Wenn das Fleisch aus Tschechien stammt, würden seine Restaurant-Partner jedoch kommunizie­ren, dass es sich um Importware handelt. Meist heisst es dann «Herkunft: Europäisch­e Union».

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etwa bei Hirschflei­sch, sind innerhalb Europas beträchtli­ch.
Die Preisunter­schiede, etwa bei Hirschflei­sch, sind innerhalb Europas beträchtli­ch.
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Mischa Hofer verkauft mit seiner Firma «Platzhirsc­h» einheimisc­hes Wildlfeisc­h in der ganzen Schweiz.
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0,5 Prozent des Fleischkon­sums in der Schweiz aus.
Wildbret macht laut der Eidgenössi­schen Jagdstatis­tik 0,5 Prozent des Fleischkon­sums in der Schweiz aus.
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müssen, übersteigt beim Wildbret derzeit
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Weil die Jäger ihre vorgeschri­ebenen Abschussza­hlen erfüllen müssen, übersteigt beim Wildbret derzeit das Angebot oft bei Weitem die Nachfrage.
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Wildbret «enorm gestiegen».
Torsten Reinwald vom Deutschen Jagdverban­d sieht das Interesse an Wildbret «enorm gestiegen».
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Die oberösterr­eichischen Wildschwei­n-Spezialist­en von «Wüdian» wollen durch ihre Partnersch­aft mit der Rewe-Gruppe Nachhaltig­keit mit breitem Vertrieb verbinden.
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sagt Esterhazy-Geschäftsf­ührer Matthias Grün.
«Direktabsa­tz von Wildbret hat stark zugenommen», sagt Esterhazy-Geschäftsf­ührer Matthias Grün.
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