Falstaff Magazine (Switzerland)
APOTHEKE WALD Dr. Marlies Gruber über die Heilkraft heimischer Kräuter
Unkraut oder Heilkraut? Was die einen mit aller Kraft aus dem eigenen Garten zu vertreiben versuchen, ist für die anderen schmackhafter Speisenbegleiter oder natürliche Alternative zu herkömmlichen Medikamenten. Aber welche Pflanzen werden traditionell genutzt – und wie wirken sie? Ein Streifzug durch den Forst.
Brennnessel, Löwenzahn oder Wegerich: Ganz gewöhnliche Wildkräuter werden seit Jahrhunderten den traditionellen Heilpflanzen zugeordnet. Denn im Vergleich zu kultivierten Pflanzen tun sie sich häufig durch einen höheren Nährstoffgehalt hervor. Das liegt unter anderem am geringeren Wassergehalt in Wildpflanzen, wodurch die Nährstoffe konzentrierter sind. Nachteil: Für gewöhnlich isst man von Giersch und Co. weniger als von Kulturpflanzen. Dabei würde es sich durchaus lohnen, beherzter zuzugreifen.
RECHT GEWÖHNLICH
Ein hervorragendes Beispiel für die beachtlichen Mengen an «guten» Inhaltsstoffen ist die Brennnessel (Urtica dioica). Bezogen auf 100 Gramm weisen die haarig-stacheligen Blätter etwa doppelt so viel Vitamin C wie Zitronen und gut doppelt so viel Eisen wie Schweineleber auf. Zudem können sie eine hervorragende Quelle für Eiweiss, Kalzium und Magnesium sein. In Öl eingelegt oder kurz blanchiert verlieren sie ihre reizende Eigenschaft und werden geniessbar. Gerade für Vegetarier und Veganer kann die Brennnessel daher eine hilfreiche Nährstoffquelle sein. Aufgrund des Eisengehalts wird sie ausserdem immer wieder mit der Behandlung von Anämien und der Bekämpfung von Erschöpfungsund Ermüdungszuständen in Zusammenhang gebracht.
Die Taubnessel, auch als «Zahme Nessel» bezeichnet, sieht ähnlich aus wie die Brennnessel, reizt aber nicht und hat auffällige rosa, purpurrote, weisse oder gelbe Lippenblüten, die bis in einen milden Winter hinein blühen. Sie kommt häufig an Waldrändern vor. Die Taubnessel enthält Gerb- und Schleimstoffe sowie Saponine und wirkt reizlindernd, antibakteriell sowie entzündungshemmend. Taubnessel-Tee kann bei Atemwegsinfekten und Magenschmerzen helfen.
Die ganzjährig an Wegrändern und auch in Weingärten verfügbare Vogelmiere hat ein mild-nussiges Aroma und ist eine beliebte Komponente im Wildkräutersalat. Aus gesundheitlicher Sicht wird sie aufgrund der hohen Mengen an Eisen, Magnesium und Kalium, die sie beinhaltet, geschätzt. In der Volksmedizin wird die Vogelmiere wegen ihrer schleimlösenden und entzündungshem
menden Wirkung bei Husten und Atemwegsinfekten verwendet, äusserlich auch zur Beruhigung gereizter Haut.
Eine altbekannte Heilpflanze ist der Wegerich, der auf trockenen Wiesen und an Waldrändern wächst und bis in den Herbst hinein geerntet werden kann. Vor allem zur äusserlichen Anwendung ist der Wegerich berühmt: Der Saft der Blätter lindert Juckreiz nach Brennnesselkontakt, Insektenstichen oder bissen und bringt kleine Wunden schneller zum Abheilen. Bei Halsschmerzen soll es helfen, an einem Blatt zu kauen. Der Tee der Blätter wird bei Husten, Magen, Nierenoder Blasenproblemen getrunken. Die Effekte sind zurückzuführen auf die antibakteriell wirkenden Saponine im Wegerich.
BUNT UND GESUND
Hagebutten, die von Oktober bis November zu pflückenden Sammelfrüchte verschiedener Rosenarten, sind getrocknet und als Tee bekannt für ihre harntreibende Wirkung. Deswegen kommen sie bei Blasen und Nierenleiden häufig zum Einsatz.
Die auf Sträuchern wachsenden Kornelkirschen (Tierli) findet man an Waldrändern und sonnigen Plätzen. Sie schmecken frisch, fruchtig, süsssäuerlich, jedenfalls ungewöhnlich. Verarbeitet werden sie, indem man sie wie Oliven einlegt (Rezepte finden sich im Internet) oder zu Kompott verarbeitet, entkernt werden sie zu Konfitüre oder Chutney.
Beim Sanddorn, auch rote Schlehe oder Küstenbeere genannt, handelt es sich ebenfalls um eine Steinfrucht, die aufgrund des hohen VitaminCGehalts als «Zitrone des Nordens» bezeichnet wird. Der herbsäuerliche Sanddorn macht sich am besten als Sanddornaufstrich, konfitüre oder mus, aber auch gut in Tiramisu. Hagebutte, Kornelkirsche und Sanddorn haben neben einem hohen VitaminCGehalt ihre intensive rote beziehungsweise orange Farbe gemeinsam, die der hohen Konzentration an Flavonoiden und Carotinoiden zu verdanken ist. Als Radikalfänger wirken diese sekundären Pflanzenstoffe Entzündungen entgegen, sorgen für tadellose Blutgerinnung, helfen Blutdruck und Blutzuckerspiegel zu senken, wirken antioxidativ, antimikrobiell und stärken das Immunsystem. Und sie können auch gegen Winterblues wirken! Um trüben Tagen zu entkommen, empfehlen Kräuterkundige auch Wiesenbärenklau. Die lateinische Bezeichnung Heracleum geht auf den griechischen Helden Herkules zurück, der als bärenstark beschrieben wird. Der Bärenpflanze wurden folglich besondere Heilkräfte zugeordnet. Sie wächst an Auwaldrändern und auf Wiesen. Die Blätter und Wurzeln werden genutzt, um den Blutdruck zu senken. Und den Wurzeln wird – wie auch den Samen – eine aphrodisierende Wirkung zugeschrieben. Nicht umsonst wird die BärentatzenWurzel auch als der «europäische Ginseng» bezeichnet.
AUF WIESEN UND IN WÄLDERN LASSEN SICH WAHRE NÄHRSTOFF-SCHÄTZE SAMMELN: IN BRENNNESSELN
ETWA STECKT DOPPELT SO VIEL VITAMIN C WIE IN ZITRONEN UND DOPPELT SO VIEL EISEN WIE IN SCHWEINELEBER. UND WENN MAN SIE BLANCHIERT ODER IN ÖL EINLEGT, LASSEN SICH SCHMACKHAFTE GERICHTE DARAUS ZAUBERN.