Falstaff Magazine (Switzerland)
SOMMERVERLÄNGERUNG In Bozen treffen alpine Tradition und mediterrane Küche aufeinander
Kaum eine Region eignet sich so gut, um den Sommer zu verlängern, wie Bozen und sein Umland. Hier vereinen sich alpine Tradition, Weinkultur und mediterrane Kochkunst zu einer genussvollen Einheit, die betört.
Wenn immer mehr alte Gemäuer die Brennerautobahn säumen, ist sie nicht mehr weit: Bozen, die Perle im Süden Südtirols. Rund um die Landeshauptstadt der autonomen italienischen Provinz türmt sich förmlich Burg um Burg auf. In keiner anderen Region Europas liegen sie so dicht beieinander wie hier. Rund vierzig sollen es insgesamt sein, darunter die berühmte Ruine Schloss Rafenstein. Bozen ist hübsch, quirlig – und besonders. Denn hier treffen die Alpen in geballter Form auf lebendige Italianità. In der Stadt, die von Bergketten umringt ist, sprechen rund drei Viertel der knapp 100.000 Einwohner Italienisch, ein Viertel spricht Deutsch – eine aussergewöhnliche Mischung, denn in keiner anderen Stadt Südtirols sprechen mehr Menschen Italienisch als Deutsch. Bozen war lange ein Durchzugsort der Touristen auf dem Weg in den Süden, hier kaufte man ein, tankte und machte sich für die Weiterreise frisch, die Stadt ist Schmelztiegel der alpinen und der mediterranen Lebensart. Das manifestiert sich nicht nur in der lebendigen Atmosphäre des Orts, sondern vor allem in der lokalen Küche, einer Fusion aus italienischen und alpinen Einflüssen. In jeder Gasse der Altstadt findet sich ein Café, eine Bar oder ein Restaurant, für Gourmets ein wahres Füllhorn an Entdeckungsmöglichkeiten.
MODERNE ALPINE CUISINE
Die Altstadt – das Zentrum von Bolzano – besteht aus nicht mehr als vier, fünf Gassen, die sich von Westen nach Osten erstrecken und von einigen Querstrassen durchkreuzt werden. Verlaufen kann man sich hier nicht, sich in etwas verschauen hingegen schnell. Beispielsweise in der Laubengasse, wo die Altstadthäuser mit ihren meterdicken Wänden, prächtig bemalten Fassaden und Erkern stehen. Im Erdgeschoss ist die Häuserfront offen und Rundbogen reiht sich an Rundbogen. Die Lauben, wie sie heissen, sind seit dem Mittelalter Umschlagplatz für Waren aller Art. Hier findet man so gut wie alles: Mode, Uhren, Wohnaccessoires und natürlich auch Feinkost. In
BOZEN IST HÜBSCH, QUIRLIG UND SEHR BESONDERS. DENN HIER TREFFEN DIE ALPEN AUF LEBENDIGE ITALIANITÀ.
einer der Bozener Lauben befindet sich heute das kontemporäre «Restaurant 37». Um die Küche von Chefkoch Matthias Lanz zu geniessen, geht es in das oberste Stockwerk des Sportler-Alpin-Flagship-Stores. Hier oben wartet ein herrlicher Blick über die Bozener Altstadt sowie moderne alpine Küche. Der Gastraum wirkt modern-schlicht, genauso wie die Gerichte auf dem Teller.
Lanz, der junge Küchenchef, interpretiert die traditionelle Südtiroler Kulinarik auf zeitgemässe Art. Auf der Karte finden sich neben Extravagantem wie Schwarzbrotravioli auch Klassiker wie Tatar vom heimischen Weiderind oder Nougat-Griessknödel. Als Grundlage dienen beste Zutaten der Region. Die Küche ist kreativ, mit Witz, was Kreationen wie der «Bananensplit 37» verdeutlichen. Wer sonst würde im Fine Dining schon einen Bananensplit auf die Karte nehmen? Dieser hier ist allerdings durchaus zu empfehlen: ein Dessert, das die Kindheit heraufbeschwört und dem erwachsenen Gaumen mehr als genügt.
Etwa fünf Minuten Fussweg entfernt findet sich eines der angesagtesten Restaurants der Stadt, das «In Viaggio» von Chefkoch Claudio Melis. Der gebürtige Sarde Melis fand nach Wanderjahren in Frankreich, Dubai und den Dolomiten in Südtirol eine zweite Heimat. Hier zelebriert er anspruchsvolle Haute Cuisine. Die Atmosphäre im Restaurant ist
BOZEN IST SCHMELZTIEGEL ZWEIER KULTUREN. DREI VIERTEL DER BEWOHNER SPRECHEN ITALIENISCH, EIN VIERTEL DEUTSCH.
kosmopolitisch-elegant, die fünf Zweiertische sind der Ausgangspunkt für Melis’ Sinnesreise. Der Chef ist häufig selbst an den Tischen anzutreffen, umgarnt seine Gäste und erklärt seine Koch- und Lebensphilosophie. Zum Kochen kam er durch reinen Zufall. Mit 14 hatte er keine Lust mehr, die Oberschule zu besuchen, erfuhr über den Dorfpfarrer, dass die Hotelfachschule in Sassari Schüler suchte – und landete im Kochkurs. Erst vor einigen Jahren verschlug es ihn dann nach Bozen, wo er gemeinsam mit seiner Frau Monica Wieser im stadtbekannten Restaurant «Zur Kaiserkron» seines Schwagers Robert Wieser einstieg. 2018 folgte das «In Viaggio», in dem er den ersten Michelin-Stern für Bozen nach über 50 Jahren erkochte. Sein Lokal ist dementsprechend ein Pflichtziel für eingefleischte Gourmets.
BOZENS SEELE
Einen Steinwurf entfernt befindet sich die originellste Bar Bozens: die «Fischbänke». Auf den marmornen ehemaligen Fischverkaufsständen betreibt Cobo, der eigentlich Rino Zullo heisst, seine Freiluftbar, die er täglich in mühevoller Arbeit auf- und wieder abbaut. Ein echter Schönwetterjob, denn nur wenn das Wetter passt, schenkt Cobo hier Wein und Bier aus, serviert Bruschette und Knabbereien. Schliesslich gibt es ausser den grossen Sonnenschirmen kein Dach über dem Kopf. Cobo ist Lebenskünstler, wirkt als Kneipier, malt und reist um die Welt. Er lebte in Rom, New York und anderen Städten, nirgendwo gefällt es ihm jedoch so gut wie in Bozen – für ihn die schönste Stadt der Welt. Wer bei ihm einkehrt, kann das durchaus nachvollziehen.
KÖCHE WIE MANUEL ASTUTO SCHAFFEN ES, BOZENS SEELE
AUF DEN TELLER ZU BRINGEN: MEDITERRAN UND ALPIN ZUGLEICH.
Wenn es darum geht, Bozens Seele, also die Berge und die mediterranen Einflüsse, kulinarisch zu verknüpfen, kommt man an einem nicht vorbei: Manuel Astuto, gebürtiger Bozner, schafft genau das scheinbar mühelos im «Restaurant Laurin» im gleichnamigen Hotel. Astutos Vater ist Sizilianer, seine Mutter Südtirolerin, und beide Wurzeln manifestieren sich bis heute in Astutos Bozener Fusionsküche. Während seiner Lehr- und Wanderjahre arbeitete er unter anderem für den 2018 verstorbenen Küchenpapst Paul Bocuse. Astuto liebt Klassiker, die er neu zusammensetzt. Bodenständiges, das er mit modernstem Know-how verfeinert, Südtiroler Gerichte, denen er eine sizilianische Note verleiht. Der Gast soll sich an seine Gerichte erinnern – und das scheint zu funktionieren, wie er erzählt: «2015 liebte ein Gast unser Trüffelrisotto so sehr, dass er mich sogar zur Hochzeit seiner Tochter in Hollywood einfliegen und dort aufkochen liess», berichtet der Chef stolz.
Das Wirtshaus «Löwengrube» am Zollstangenplatz existiert bereits seit dem Jahr 1543 und zählt zu den Institutionen der Stadt. Chefkoch Michael Meister, der hier wirkt, zählt zu den Protagonisten der hiesigen jungen Gastroszene. In der «Löwengrube» trifft Moderne auf Tradition, was sich rein visuell im Interieur niederschlägt. Kraftvolles, modernes Design und historische Wirtshausatmosphäre gehen Hand in Hand. Meister, der noch nicht einmal 30 Jahre alt ist, begeistert mit experimentierfreudiger Küche auf hohem Niveau und traditionellen Gerichten mit modernen Akzenten. Zum ungezwungenen Restaurant gehört ausserdem eine Weinbar mit