Falstaff Magazine (Switzerland)
SWISS DESIGN Klare Formen und beste Qualität – eine hausgemachte Erfolgsgeschichte
Klare Formen, beste Qualität und Funktionalität: Genau das ist Schweizer Design. Swiss Design ist vielfältig und mehrsprachig, innovativ im Handwerk und sehr, sehr bunt. Eine Rundreise zu den Gipfeln helvetischer Gestaltungskunst.
In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe, 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr!» Jeder kennt den legendären Monolog von Orson Welles in der Rolle des Kriminellen Harry Lime im Film «Der dritte Mann». Kein Wunder, ist es doch ein griffiger und pointierter Satz. Er ist nur leider komplett falsch.
CONTEMPORARY DESIGN
Wo die Ursprünge der Kuckucksuhr liegen, ist nicht wirklich bekannt. Auch heute noch, über 70 Jahre nach dem «Dritten Mann». Es zeigt jedoch, mit welchen Klischees wir Schweizer im Ausland konfrontiert werden. Beim Swiss Design ist es aber anders. Es ist solide, klar und innovativ und könnte nicht besser in die heutige Zeit passen.
Die Schweiz ist ein Füllhorn immer neuer Ideen und ein Land der produktiven Gegensätze. Die ungebrochene Tradition des guten Handwerks; die Hochschulen, die zu den besten ihrer Art in Europa gehören; die Klarheit und Zeitlosigkeit einer HelveticaSchrift; das ikonische Corporate Design der SBB; die sinnlichen Einflüsse und MöbelInnovationen aus Italien; die FREITAGTaschen aus recycelten Lastwagenplanen und ihr nicht endender Siegeszug um die Welt; und natürlich unsere Landesflagge, die wohl das beste ikonische Markendesign für ein Land weltweit darstellt; das Allzweckwerkzeug des Schweizer Taschenmessers – und ja, natürlich auch das: die Uhren.
Die heutige Schweizer DesignLandschaft bietet all dies und mehr, sie ist bunter als je zuvor. Eine kleine Rundreise: Da wäre zum Beispiel das vielfarbig schimmernde geriffelte KeramikSet «Iridescences», das der junge Designer Dimitri Bähler aus Biel gemeinsam mit Maurizio Tittarelli Rubboli entwickelte.
Der matte, edle Glanz resultiert aus einer Technik, die im 15. Jahrhundert aus dem Orient nach Italien gelangte.
PERFEKTER KOMFORT
Nächster Halt: Zürich. Hier, zwischen Produktion, Kunst, Architektur und dem Flughafen als Tor zur Welt, fühlen sich Designer besonders wohl. Einer davon ist This Weber, dessen Möbel die Solidität von gut verarbeitetem Holz mit sanft geschwungenen Sitzflächen und vor elastischer Weichheit fast überbordenden Polstern kombinieren. Man möchte sofort Platz nehmen auf diesen Stücken perfekt ausgewogenen Komforts.
Dann weiter nach Lausanne, wo Augustin Scott de Martinville, Elric Petit und Grégoire Jeanmonod seit 2004 unter dem Namen BigGame firmieren. Die Studenten der renommierten Kunsthochschule École cantonale d’art de Lausanne (ECAL) blieben einfach gleich dort, wo sie studiert hatten – ihre Kooperationen allerdings umspannen den Globus: Messer für den französischen Klassiker Opinel, Leuchten für AGO aus Korea oder für Bomma aus der Tschechischen Republik; Kunden von Alessi, Hay, Karimoku, Ligne Roset, Muji bis Nespresso – und sogar ein
> Regal für Ikea. 2013, nach nicht einmal zehn Jahren, schafften die drei von Big-Game es schon in die permanente Kollektion des MOMA. Eine Ehre, die nur wenigen Designern weltweit zuteil wird. Schweizer Design ist solide, innovativ und kreativ. Und genau so wird es auch in der Welt aufgenommen.
«Dass Designer wie Big-Game an dem Ort bleiben, wo sie studiert haben, sagt einiges über die Schweiz aus», so Lilli Hollein, Direktorin der Vienna Design Week, die die Schweizer Szene seit Langem beobachtet. «Die ECAL ist einfach die europäische Kaderschmiede für alles, was das Luxussegment bedient. Die Dichte an hervorragenden Design-Schulen ist gemessen an der Grösse des Landes ausserordentlich.»
SOLIDE QUALITÄT
Schweizer Design ist ein Garant für Qualität und liegt im Trend. Letzteres beweist auch die diesjährige Vienna Design Week, bei der die Schweiz Gastland war. «In der Schweiz gibt es viele Gestalter, die sehr materialspezifisch arbeiten und handwerklich so gut sind, dass sie das Handwerk ganz anders denken können», lobt Hollein die alpinen Nachbarn. «Aber es gibt genauso auch Gestalter, die im Industriedesign zu Hause sind.» Bei der Vienna Design Week war die Schweiz ohnehin bisher ein verlässlicher Gast, sagt Lilli Hollein. «Auch deshalb, weil man sich dort schon vor langer Zeit über Klischees hinweggesetzt hat. Schweizer Design ist einfach wesentlich mehr als nur schnörkellose Klarheit.»
Diese Vielfalt zeigt sich besonders bei der jüngsten Generation der Schweizer DesignSchaffenden. Doch die Klischees sind schon viel länger passé.
Weiter auf der helvetischen Rundreise mit einem Zwischenstopp in La Neuveville: Hier hat das 1991 gegründete atelier oï ein ehemaliges Motel aus den 1960er-Jahren zur Firmenzentrale erkoren und in «Moïtel» umbenannt. Aurel Aebi, Armand Louis
«In der Schweiz gibt es viele Gestalter, die handwerklich so gut sind, dass sie das Handwerk ganz anders denken können. Schweizer Design ist viel mehr als nur schnörkellose Klarheit.»
LILLI HOLLEIN Vienna Design Week
und Patrick Reymond haben sich damit bewusst an der deutsch-französischen Sprachgrenze positioniert, denn schliesslich sind es gerade die Unterschiede, die die Schweiz ausmachen und die zu neuen Ideen inspirieren. Dementsprechend vielfältig ist das Portfolio des Trios mit dem Trema auf dem i: vom Sofa über Leuchten bis zum Teppich, vom Restaurant über die Szenografie bis zur lässigen Leder-Hängematte für Louis Vuitton.
VIBRIERENDE FARBE
Noch mehr bunte Vielfalt gefällig? Bei der vielsprachigen Designerin Claudia Caviezel gerät die Farbe ins Vibrieren. In ihren Textildesigns, die sie unter anderem für Vivienne Westwood gestaltet, ihrer Keramik und ihren Innenräumen scheint sich die Farbe vor lauter Intensität vom Objekt zu lösen und ein Eigenleben zu bekommen. Gesprühte und überlagerte Flächen verschmelzen miteinander und laufen ineinander, die Farbe bekommt Tiefe und wird zu einer eigenen Welt. Hier verschwimmt einmal die Grenze zur Kunst komplett, einmal findet die Farbe ihren
Weg in ganz alltägliche Produkte, wie zum Beispiel einen Bettbezug für Atelier Pfister.
Genau diese Marke wurde 2010 vom etablierten und mehrfach preisgekrönten Designer Alfredo Häberli für das Schweizer Einrichtungshaus etabliert und fungiert seither als Portal für junge Designer in die Welt der Produkte – der Katalog als Generationenvertrag und als Garant für frisches Blut in der Schweizer Produktkultur. Pech für Harry Lime. Glück für alle anderen.