Falstaff Magazine (Switzerland)
DIE ZUKUNFT DER SEEREISE Hapag-Lloyd-Cruises-Chef Karl J. Pojer im Interview
Seit dem Ausbruch der Pandemie stehen fast alle Kreuzfahrtschiffe still. Wie geht es weiter im einstigen Boom-Business? Ein Gespräch mit Karl J. Pojer, Chef des Luxusreiseanbieters Hapag-Lloyd Cruises.
Ein grauer Vormittag auf dem Hamburger Kreuzfahrtterminal Altona. Am Abend soll die MS Europa 2 Richtung Ostsee starten, eine Reise nach Göteborg ist geplant. Kurz vor der Abfahrt ist Falstaff noch mit Karl J. Pojer zum Gespräch verabredet. Der gebürtige Österreicher Pojer, 65, führt Hapag-Lloyd Cruises seit 2013 und vertritt auch den Branchenverband CLIA. 2019 bescherte er dem Unternehmen den höchsten Gewinn der Geschichte. In allen Schiffen der Flotte, insbesondere aber auf der MS Europa 2 und MS Europa, wird viel Wert auf höchste Kulinarik gelegt. Wie handelt man nun in dieser Krise, wie geht es weiter? Pojer nimmt Platz in der Bar, das Gespräch beginnt.
FALSTAFF Herr Pojer, im Dezember werden Sie 66 Jahre alt, eigentlich wären Sie am 1. September dieses Jahres in Pension gegangen. Stattdessen manövrieren Sie Ihr Unternehmen durch eine der grössten Krisen der Nachkriegsgeschichte. So haben Sie sich das vermutlich nicht vorgestellt.
KARL J. POJER Rente ist das Unwort des Jahres für mich (lacht). Nein, ich bin noch nicht reif dafür, ich habe noch viel Energie. Davon abgesehen tut diese Situation jetzt unheimlich weh. Wir wissen manchmal nicht, wohin wir nächste Woche fahren dürfen. Für unsere Kreuzschifffahrt sind Vorlaufzeiten aber extrem wichtig. Es ist schwierig. Wir wären heute in den schönsten Destinationen der Erde unterwegs.
Wie gehen Sie mit der Krise um?
Es ist jetzt einfach die Herausforderung, mit dem Team diese Zeit gemeinsam zu überstehen. Und dann hoffentlich wieder so stark zurückzukommen wie zuvor. Ich glaube ganz fest, dass die Reiseform populär bleiben wird. Es wird einen grossen Nachholbedarf geben.
Zu normalen Zeiten ist die ganze Welt Ihr Revier. Wie haben Sie reagiert, als die Beschränkungen in Kraft traten? Als die Pandemie begann, waren wir mit allen Schiffen auf der Welt verteilt unter
«ICH GLAUBE, DASS
DIE REISEFORM POPULÄR BLEIBEN WIRD. ES WIRD EINEN GROSSEN NACHHOLBEDARF GEBEN.»
KARL J. POJER
wegs, mit der MS Europa zum Beispiel in Lateinamerika. Auf einmal ging Land für Land zu und man durfte nicht mehr in die Häfen einfahren. Ab diesem Zeitpunkt ging es nur noch um Krisenmanagement. Das war hochkomplex, wir mussten Flugzeuge chartern und Schiffe koordinieren, Häfen und Flughäfen abstimmen. Wir haben es aber geschafft, unsere Gäste und etwas später auch einen Grossteil der Crew sicher und gesund nach Hause zu bringen.
Angeblich wollten manche Gäste von Ihnen gar nicht nach Hause. Viele waren schon einige Zeit auf dem Schiff unterwegs und hatten nicht mitbekommen, was zu Hause los war. Warum auch? Man erlebt was und will nicht mit Problemen konfrontiert werden. Das ist der Sinn von Ferien auf einem Schiff. In einem
Fall hatten wir wirklich eine Gruppe, die gern nach Hamburg weiterfahren wollte.
Das ist verständlich. Man verbringt eine gute Zeit auf dem Schiff, hat alle Annehmlichkeiten …
Ja, und vor allem ist man sicher, wir hatten ja keine Corona-Fälle. Warum soll man also ins Flugzeug steigen und so weit fliegen? Ich habe das vollkommen verstanden. Trotzdem haben wir gesagt: Safety first, wir tragen Verantwortung für Crew und Gäste. Im Nachhinein war es die einzig richtige Entscheidung. Später haben das auch die Passagiere so gesehen, wir haben viele Dankesbriefe bekommen.
Sicher spielt auch die hochwertige Gastronomie auf Ihren Schiffen eine Rolle für den Wunsch, an Bord zu bleiben.
Im Luxussegment ist ein hohes Niveau von Gastronomie ein Muss. Wir haben viel Wert darauf gelegt, dass wir eine grosse Restaurantvielfalt anbieten. Hier auf der MS Europa 2 haben wir sieben Restaurants. Auf unseren kleinen Expeditionsschiffen mit maximal 230 Passagieren gibt es drei Restaurants. Gastronomie ist Lebensqualität. Wir verkaufen ja keine Kabinen, wir verkaufen Emotionen und Erlebnisse.
Im Oktober 2019 haben Sie mit dem DreiSterne-Koch Kevin Fehling ein Gourmetrestaurant auf der MS Europa eröffnet: das «The Globe». Das ist nicht nur ein Konzeptrestaurant, sondern Fehling oder sein Souschef kochen wirklich an Bord. War das ein Muss? Für mich war wichtig, dass man nicht nur jemanden hat, der seinen Namen hergibt, sondern auch selbst mitfährt. Wir offerieren Luxus auf hohem Niveau. Wenn wir etwas tun, dann machen wir das mit den Besten. Viele unserer Kunden sind in ihrer Freizeit in den besten Restaurants der Welt unterwegs, sie kennen sich aus.
Zu einem Top-Restaurant gehört auch eine gute Weinkarte. Was Sie im Schiffsbauch liegen haben, dürfte andere Gastronomen an Land neidisch machen: Allein die Weinkarte der MS Europa 2 kommt auf
430 Positionen.
Absolut, exzellente Getränke sind ein Muss, egal ob Gin, Whiskey oder Wein. Man muss sie aber auch trinken können. Viele Restaurants machen den Fehler, Kaviar sehr teuer zu verkaufen. Was passiert dann? Niemand kauft mehr Kaviar. Nein, wir kalkulieren so, dass jeder Passagier, wenn er ein Faible dafür hat, seinen Top-Wein zum Essen bestellen kann. Und wenn das möglich ist, wird er das wahrscheinlich öfter machen. Am Ende rechnet sich das auch für uns.
Wir verlassen die Bar auf Deck vier und gehen hinüber ins französische Restaurant «Tarragon», das im Stil der 1920er eingerichtet ist. Zeit für ein Mittagessen, die Crew hat bereits eingedeckt. Am Hamburger Himmel zeigt sich die Sonne, der Fotograf bittet Pojer zum Porträt-Shooting. Küchenchef Timo Lohrengel hat ein DreiGang-Menü mit Tatar und Seeteufel kreiert, dazu gibt es Burgunder, elsässischen Riesling und Rochelt-Brände. Es geht weiter.
Die Kreuzfahrtbranche steht häufig in der Kritik, was die Umweltbilanz angeht. Was entgegnen Sie Ihren Kritikern?
Die Kreuzfahrt ist zu Unrecht kritisiert worden, insbesondere in Umwelt-Themen. Ich kenne kaum eine Branche, die so innovativ ist wie unsere. Die Geschwindigkeit, mit der auf Entwicklungen reagiert wird, finden Sie an Land nicht. Wir gehen