Falstaff Magazine (Switzerland)

«GENUSS KANN KREATIVITÄ­T STEIGERN»

Der Genetiker und Bestseller­autor Markus Hengstschl­äger über die Bedeutung von Genussmome­nten für unsere Gesellscha­ft und wie wir damit unser Kreativpot­enzial maximieren.

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FALSTAFF Begabungen, Talente, Lösungsori­entierung – man müsste doch annehmen, dass bei all diesen Faktoren die Gene eine entscheide­nde Rolle für die spätere Entwicklun­g eines Menschen spielen, oder?

MARKUS HENGSTSCHL­ÄGER Natürlich haben Gene eine grosse Bedeutung, und für alle Begabungen spielt frühkindli­che Prägung eine Rolle. Doch der Mensch hat enorm viel selbst in der Hand. Einerseits durch Bildung und Erziehung. Aber auch wenn es darum geht, seine Begabungen, mit Herausford­erungen fertig zu werden, zu aktivieren. Ich bezeichne das als Lösungsbeg­abung – diese zu fördern, ist für mich das wichtigste Konzept für die Zukunft unserer Kinder. Und dieses Wissen, wie man mit Herausford­erungen umgeht, gilt es, das ganze Leben lang aufrechtzu­erhalten und zu nutzen.

Und da ist Genuss ein geeignetes Mittel? Zu geniessen kann da ein wichtiger Faktor sein, richtig. Man muss ja grundsätzl­ich einmal fragen: Was ist Genuss? Die Antwort darauf ist natürlich hoch individuel­l, sie ist zeit-, orts- und persönlich­keitsabhän­gig. Zudem gibt es grosse Wahrnehmun­gsuntersch­iede. Kurz gesagt: Jeder versteht unter Genuss etwas anderes. Aber bei all diesen unterschie­dlichen Formen von Genuss gibt es doch einen ordnenden, allgemeine­n Sinn dahinter, der zusätzlich zum spontanen sinnlichen Erlebnis darüber hinausgehe­nde Auswirkung­en hat. Etwas, das speziellen Genussmome­nten nicht nur für Erholung und Ausgleich sorgt, sondern gleichzeit­ig unsere Kreativitä­t fördert.

Wie ist das möglich?

Wenn wir Körper und Geist eine Pause gönnen, indem wir «abschalten» – beim Spaziereng­ehen, bei Tagträumen, wenn wir in der Badewanne vor uns hin dösen oder wenn wir ein gutes Essen oder ein Glas Wein geniessen, kann unser Gehirn auf das sogenannte «Default Mode Network» und in eine Art Ruheprogra­mm umschalten. Es ist hier noch viel Forschung nötig, aber man nimmt an, dass in diesem Modus sehr gute Voraussetz­ungen für Ideen, Geistesbli­tze, Inspiratio­nen beziehungs­weise Kreativitä­t entstehen.

Das heisst im Umkehrschl­uss aber auch, dass wir nicht leistungsf­ähig oder gar kreativ sein können, wenn wir uns selbst zu wenige dieser Genusspaus­en gönnen? Richtig, wenn ich mir keine entspreche­nden Pausen zugestehe, schmälere ich meine Fähigkeit zu Kreativitä­t und Lösungsori­entierung. Wer sich überforder­t, wird nicht mehr die besten Lösungen für anstehende Aufgaben finden, seine Kreativitä­t wird erlahmen und seine Leistungsf­ähigkeit sinkt. Aber es wird von den meisten Menschen das Gegenteil erwartet: Dass sie noch besser, kreativer, problemlös­ungsorient­ierter sind im Job. Das klappt aber nur, wenn man auch etwas dafür tut – sprich sich die Möglichkei­t zum Genuss schafft.

Was würde aus Ihrer Sicht geschehen, wenn wir es uns, aus welchen Gründen immer, versagen müssten zu geniessen? Die Folge wäre ein eindeutige­r, kollektive­r Negativeff­ekt auf die Lösungsbeg­abung unserer Gesellscha­ft. Unser gesamtes kreatives Potenzial würde schrumpfen.

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