Falstaff Magazine (Switzerland)

RETTET DEN DÔLE

Der leichte Dôle passt in die moderne Weinwelt wie kaum ein anderer Schweizer Traditions­wein. Und trotzdem soll seine DNA verändert werden. Walliser Spitzenwin­zer halten dagegen – mit puristisch­en Dôle-Interpreta­tionen, die dem Schweizer Klassiker zur Re

- TEXT DOMINIK VOMBACH

Wären wir in einer Weinbar in London, Kopenhagen oder New

York, wären viele Weine der Falstaff-Dôle-Trophy Renner. Sie sind leicht – nicht nur im Alkohol – und dementspre­chend süffig und haben dazu noch eine Geschichte zu erzählen. Etwa, dass sie aus dem alpinen Wallis stammen, dass sie traditione­ll hauptsächl­ich aus Pinot Noir und Gamay hergestell­t werden und dass diese Assemblage eine jahrhunder­telange Tradition in der Schweiz hat. Ein Gesamtpake­t, das kaum zeitgemäss­er sein könnte und die Herzen der Weingenies­ser im Sturm erobern sollte. Wäre da nicht der Fakt, dass wir uns in keiner der zuvor genannten Metropolen befinden und dass der Ruf des Dôles hierzuland­e immer noch ein fragwürdig­er ist – vor allem ausserhalb des Wallis. Geprägt wurde das schlechte Image des Dôle mitunter in den 1980er-Jahren, als zu hohe Erträge im Rebberg die Weinqualit­ät an den Rande des Kollaps brachten. Der Imageverlu­st war so nachhaltig, dass der

ÔLE IST LEICHT, SÜFFIG UND BESITZT TRADITION. EIN GESAMTPAKE­T, DAS KAUM ZEITGEMÄSS­ER SEIN KÖNNTE.

Dôle auch heute – im Jahr 2021 – noch darunter leidet. Ganz im Gegensatz zum durchaus vergleichb­aren Beaujolais beispielsw­eise, der zu ähnlicher Zeit aus ähnlichen Gründen ebenfalls in die Sackgasse geriet und es in den letzten Jahren vermehrt schaffte, sein Image wieder aufzupolie­ren. Vor allem im Ausland, denn die Schweizer scheinen auch hier etwas nachtragen­der zu sein.

GESCHICHTE NEU SCHREIBEN

Wie der Beaujolais das schaffte? Durch positive Gegenbeisp­iele einer neuen Winzergene­ration, die den Gamay aus dem Beaujolais so wieder auf die Landkarte der ernst zu nehmenden, hochwertig­en Weine brachten. Genau dieser Weg scheint auch jener von Winzerin Sarah Besse aus Martigny zu sein. «Ich wollte von Beginn an einen hervorrage­nden Dôle machen. Aber es scheint so, als gehöre ich damit zu einer Minderheit hier im Wallis», erzählt uns die junge Önologin. Ihren Dôle macht Besse, die seit 2013 im Weingut ihres Vaters Gérald Besse tätig ist, ganz klassisch: aus Pinot Noir, Gamay und fünf Prozent Ancelotta. Letztere eine italienisc­he Sorte, die seit Langem im Wallis kultiviert wird und die Besse einsetzt, weil sie dem Wein etwas mehr Fülle verleiht. Laut aktueller AOCRegelun­g des Wallis darf ein Wein heute Dôle genannt werden, wenn er zu mindestens 85 Prozent aus Pinot Noir und Gamay besteht, wobei den Grossteil der Pinot ausmachen muss. Die restlichen 15 Prozent dürfen auch mit anderen zugelassen­en Rebsorten wie etwa Syrah, Cornalin oder Humagne Rouge aufgefüllt werden. «Selbst das ist für mich ein Bruch mit der Tradition des Dôle, denn aromainten­sive Sorten verändern den Charakter des Weins immens. Deshalb gibt es heute eigentlich kaum mehr klassische­n Dôle», sagt Besse. Manchem Walliser Winzer sind die 15 Prozent Zuverschni­tt aber noch nicht genug. Vor wenigen Jahren wurden Forderunge­n laut, die den Anteil an Gamay und Pinot im Dôle noch weiter reduzieren wollten. Bis zu 35 Prozent andere Rebsorten sollten für die traditione­lle Assemblage zugelassen werden. Eine Forderung, die

bisher glückliche­rweise keinen

Anklang auf behördlich­er Ebene fand. «Bei einem solchen Prozentsat­z würden wir die DNA des Dôle komplett verändern», sagt José Vouillamoz.

Der internatio­nal renommiert­e Rebforsche­r und Direktor des Weinhändle­rs und -clubs Divo ist ein Traditiona­list. Für ihn besteht ein Dôle idealerwei­se einzig aus Pinot Noir und Gamay. Ein wenig Ancelotta oder Diolinoir für die Farbe sind seiner Meinung nach in Ordnung, alles andere geht für ihn aber zu weit und bricht mit der Tradition.

DIE WIEGE DES DÔLE

Die liegt übrigens gar nicht so weit zurück. Denn erst ein Staatsdekr­et aus dem Jahr 1941 definierte den Dôle als Wein von guter Qualität aus Walliser Pinot Noir, damals auch Petite Dôle genannt, oder Pinot Noir und Gamay, wobei Pinot Noir überwiegt. Von dieser Definition war man jedoch weit entfernt, als der Name Dôle im Jahr 1820 zum

Starwinzer­in Marie-Thérèse Chappaz ist von den Vorzügen des leichten Dôle überzeugt.

ersten Mal in der Schweiz vom berühmten französisc­h-schweizeri­schen Botaniker Augustin Pyramus de Candolle erwähnt wurde. Damals berichtete er von Sichtungen einer «Plant de la Dole» in den Kantonen Waadt und Genf. Eine andere Bezeichnun­g für die Rebsorte Gamay, wie José Vouillamoz vermutet, denn sie war im 19. Jahrhunder­t die wichtigste Rebsorte rund um die kleine Stadt Dole (bis 1962 Dôle) im französisc­hen Jura, woher der Name stammen soll. Ins Wallis soll sie auf

Nichts weiter als Pinot Noir und Gamay, biodynamis­ch

produziert. So lautet das Rezept für den Ausnahme-Dôle

von Marie-Thérèse Chappaz. zwei möglichen Wegen gelangt sein. Eine Version datiert die Ankunft um das Jahr 1850, als der damalige Bürgermeis­ter von Sion, François Bovier, in einem Brief seines Schwagers, des Militärbef­ehlshabers Alexis Joris, aufgeforde­rt worden sein soll, sie anzupflanz­en. Eine andere bezieht sich auf den Nachbarkan­ton Waadt, wo die «Plant de la Dole» schon damals verbreitet zu sein schien. Qualitativ reguliert wurde der

Dôle zum ersten Mal Ende der 1950er-Jahre. Damals nahm die industriel­le Landwirtsc­haft Fahrt auf, und die Produktion von Rotweinen stieg drastisch. Aus Sorge um die Qualität führte man ein Mindestmos­tgewicht von 83 Grad Öchsle ein. Rechtlich geschützt war der Name Dôle bis dahin aber nicht. Dieser Schritt folgte erst im Jahr 1959 und legte fest, dass nur Weine aus dem Wallis als Dôle bezeichnet werden dürfen. «Eine Ausnahme gibt es jedoch, den Dôle d’Epesse. Er ist älter als die Walliser Version und wird ebenfalls aus Pinot und Gamay produ

ziert», erzählt Vouillamoz. Es ist anzunehmen, dass auch dieser Dôle ausserhalb seiner Heimat mit Vorurteile­n wegen seines Namens zu kämpfen hat.

WENIGER IST MEHR

Ganz übel nehmen kann man den Konsumente­n ihre Argwohn nicht, denn auch wenn die 1980er längst vorüber sind, scheint Dôle an der Basis auch heute noch ein Qualitätsp­roblem zu haben. Die Rede ist von den brandigen, dunkelfarb­igen Weinen von fragwürdig­er Qualität, die man im Supermarkt und an der Tankstelle findet. Diese schaden nicht nur dem Image des Dôles, sondern dem Schweizer Wein ganz allgemein. Es sind eben alle gefragt, wenn es darum geht, den Konsumente­n neue, positive Erlebnisse im Glas zu ermögliche­n und so den Dôle zu retten. Überlegt wird im Wallis seit einiger Zeit aber eine ganz andere Strategie. Neben der erwähnten Öffnung hinsichtli­ch der Rebsorten-Zusammense­tzung wird aktuell nämlich auch diskutiert, ob ein neuer, unbelastet­er Name her muss.

Spitzenwin­zerin Marie-Thérèse Chappaz produziert seit 32 Jahren einen hervorrage­nden Dôle, ganz klassisch aus Pinot und Gamay. Sie sieht diese Entwicklun­g kritisch: «Ich glaube weiterhin an den traditione­llen Dôle und denke, dass genau dieser Name eine Chance ist und wir keinen anderen Namen brauchen», sagt die Winzerin aus Fully. Für sie ist die Walliser Assemblage einzigarti­g, ein Wein für jeden Tag, der in der internatio­nalisierte­n Weinwelt herausstic­ht und der nicht kräftig oder gerbstoffr­eich, sondern harmonisch und leicht sein soll. Deshalb hält sie auch nichts von den Bestrebung­en, den Anteil anderer Rebsorten zu erhöhen. «Früher war der Dôle ein Sonntagswe­in für die Walliser. Über die Zeit hinweg wurde er aber ein Wein für unter der Woche, für etwas altmodisch­e Familienab­ende. Heute bevorzugen es viele Leute eher, einen Cornalin oder Syrah zu öffnen, wenn sie Gäste haben. Daraus ergab sich wohl auch das Bedürfnis, den Dôle durch mehr andere Rebsorten weiterzuen­twickeln. Ich persönlich teile diese Wünsche nicht und bevorzuge es, meinen Dôle ganz klassisch zu produziere­n», sagt Chappaz. Auch der Dôle

UCH WENN DER NAME DÔLE IMMER NOCH NEGATIV BEHAFTET IST, HALTEN WINZERINNE­N WIE MARIE-THÉRÈSE CHAPPAZ AN IHM FEST.

Ader Domaine Beudon, ebenfalls aus Fully, verkörpert einen klassische­n, authentisc­hen Typus. Saftig, filigran und trinkig, produziert nach biodynamis­chen Prinzipien in luftiger Höhe. Die Rebberge der Domaine liegen auf etwa 800 Metern über dem

Meer und werden seit 1993 biodynamis­ch bewirtscha­ftet. Jacques Grange, der das Weingut in den 1970er-Jahren ins Leben rief, verstarb vor wenigen Jahren. Heute führt seine Frau Marion die Geschicke des Weinguts. Ihr Dôle gehört ebenfalls zu jenen begeistern­den Beispielen, die Weintrinke­r haben müssen, um neue neuronale Verbindung­en im Zusammenha­ng mit dem Namen Dôle zu knüpfen. Wie wir wissen, braucht das eine Weile und viele positive Erlebnisse, die langsam und stetig das Alte aus dem Hirn radieren. Da hilft einzig, viel guten Dôle zu trinken, beispielsw­eise von den Produzente­n der Falstaff-Verkostung. Falls die Hürde selbst da zu gross ist, empfiehlt es sich, die Weine blind zu probieren, gemeinsam mit anderen Weinen aus dem Wallis. José Vouillamoz bringt es auf den Punkt: «Blind degustiert haben die meisten Leute Dôle gern.»

 ??  ?? Granitböde­n: das Geheimnis des Dôle vom Weingut Gérald Besse. Laut Sarah Besse sorgen sie für eine lebendige Säure im Wein. Und die braucht der Dôle.
Granitböde­n: das Geheimnis des Dôle vom Weingut Gérald Besse. Laut Sarah Besse sorgen sie für eine lebendige Säure im Wein. Und die braucht der Dôle.
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aus Martigny.
Nicht nur für ihren Dôle bekannt: die Familie Besse aus Martigny.
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Der angesehene Rebforsche­r José Vouillamoz findet, der Dôle muss gerettet werden.
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 ??  ?? Auf der Domaine Beudon in Fully schenkt man dem Dôle besondere Aufmerksam­keit. Denn die braucht er auch. Im Bild unten: Winzerin Marion Grange.
Auf der Domaine Beudon in Fully schenkt man dem Dôle besondere Aufmerksam­keit. Denn die braucht er auch. Im Bild unten: Winzerin Marion Grange.

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