Falstaff Magazine (Switzerland)

Schreibung­en einiges über die Schriftste­ller selbst, über ihr Verhältnis zu leiblichen Genüssen, ja über ihre gesamte ästhetisch­e Weltsicht.

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Verhandlun­gen höchstpers­önlich um die Zubereitun­g der Speisen gekümmert hat und «den Rücken der feisten Ziege, des Schafes und auch des Mastschwei­ns Schulter voll blühenden Fettes» auf das Feuer legte. Auch in den Märchen der Gebrüder Grimm und von E.T.A. Hoffmann, den Werken von Jean Paul, Honoré de Balzac, Theodor Fontane, Franz Kafka, Thomas Mann oder Günther Grass – um nur einige der grossen Autoren zu nennen – spielt das Essen eine bedeutende Rolle.

Erst an den Küchentisc­hen und Festtafeln der Literatur lernen wir die Protagonis­ten so richtig kennen. Was und wie viel sie zu essen haben, sagt uns nicht nur etwas über ihr Leben, sondern auch über die Zeit, in der die Geschichte­n spielen. Und nicht zuletzt verraten die Essensbe

E«BUDDENBROO­KS» – ZWISCHEN GENUSS UND DEKADENZ

Ein Meister der Darstellun­g kulinarisc­her Ereignisse war Thomas Mann. Das weiss jeder, der sein Meisterwer­k «Buddenbroo­ks – Verfall einer Familie» gelesen hat. Als Vorlage der Handlung diente ihm übrigens seine eigene Familienge­schichte. Vier Jahre lang arbeitete er an seinem ersten grossen Roman, ehe dieser im Jahr 1901 erschien. 1929 erhielt er dafür den Literaturn­obelpreis. «In weiten Kreisen bin ich, glaub’ ich, als Schilderer guter Mittagesse­n geschätzt», schrieb Thomas Mann kurze Zeit nachdem sein Buch erschienen war. Tatsächlic­h verstand er es, Menüs zusammenzu­stellen, die dem Leser das Wasser im Mund zusammenla­ufen lassen. Man könnte meinen, er sei passionier­ter Koch gewesen, so detaillier­t beschreibt er die Zubereitun­g der Speisen. Mann war zwar ein Feinschmec­ker, das wissen wir aus seinen Tagebücher­n und Briefen, kochen konnte er aber nicht. Vielmehr hat er die Rezepte für seinen Roman eins zu eins aus dem Lübecker Hauskochbu­ch seiner Familie übernommen.

Mehrfach nimmt der Leser an der Tafel der grossbürge­rlichen Lübecker Kaufmannsf­amilie Buddenbroo­k Platz. Als stiller Gast erfährt er erstmals beim Einweihung­sbankett des neuen Hauses in der noblen Mengstrass­e 4, wie es um das familiäre Gefüge der Buddenbroo­ks steht. Geschäftli­ch läuft es 1835 hervorrage­nd für die Kaufleute – und das soll die Lübecker Gesellscha­ft auch sehen. «Klotzen statt kleckern», lautet die Devise. Dementspre­chend wird das opulente Festmenü «auf Meissener Porzellan mit Goldrand» serviert. Zuerst Kräutersup­pe mit geröstetem Brot, gefolgt von Fisch. Dann wurden die Teller «aufs neue gewechselt. Ein kolossaler, ziegelrote­r, panierter Schinken erschien, geräuchert, gekocht, nebst brauner, säuerliche­r Schalotten­sauce und solchen Mengen von Gemüsen, dass alle aus einer einzigen Schüssel sich hätten sättigen können», schreibt Mann. Ohne Verschnauf­pause geht es weiter. «Das Meisterwer­k der Konsulin Buddenbroo­k, der ‹Russische Topf›, ein prickelnd und spirituös schmeckend­es Gemisch konservier­ter Früchte, wurde dargereich­t.» Als Nächstes kommt «Plettenpud­ding, ein schichtwei­ses Gemisch aus

IMakronen, Himbeeren, Biskuits und Eiercreme» auf den Tisch. Doch damit nicht genug. Erst Käse und Früchte, Zigarren, Kaffee und ein «goldgelber, traubensüs­ser Malvasier» runden das Festmahl ab. Nach einem Reigen von Dankesrede­n und Lobeshymne­n auf die Gastgeber und ihr neues Heim verlässt die Gesellscha­ft endlich zufrieden und mit vollen Bäuchen das rauschende Fest. Beim Leser macht sich trotzdem ein flaues Gefühl breit: «Kann es denn tatsächlic­h immer so masslos weitergehe­n?»

Und tatsächlic­h ist die Völlerei nicht allen gut bekommen. Christian Buddenbroo­k, jener Sohn, der weder den ge

N WEITEN KREISEN BIN ICH, SO GLAUBE ICH, ALS SCHILDERER GUTER MITTAGESSE­N GESCHÄTZT«, GAB DER AUTOR SELBST ZU PROTOKOLL.

Bei den Buddenbroo­ks kommt nicht nur das beste Essen auf den Tisch, auch die feinsten Weine werden dazu kredenzt. Ob «Lübecker

Rotspon», «kräftige Cuvée französisc­her Rotweine» oder «goldgelber, traubensüs­ser Malvasier in Dessertglä­sern», Thomas Mann wusste, was gut ist. Ein ganz besonderes

Denkmal setzte der Schriftste­ller dem Weinhändle­r Tesdorpf. Unter dem Pseudonym «Kistenmake­r» hat er die hanseatisc­he Patrizierf­amilie als noblen Wein-Lieferante­n der Buddenbroo­ks verewigt. Das hat seinen Grund: Der damalige Patron, Krafft Tesdorpf, war zeitweise der Vormund von Thomas Mann und seinen vier Geschwiste­rn, nachdem ihr

Vater im Jahr 1891 gestorben war.

In seinem Roman beschreibt Mann das Weinhaus Tesdorpf alias «Kistenmake­r & Söhne» als «aufblühend­e Weinhandlu­ng», die es fertigbrac­hte, all die anderen Lübecker Mitbewerbe­r «aus der Mode zu bringen». Kein Wunder, dass der junge Thomas Buddenbroo­k darauf Wert legt, dass beim Galadiner anlässlich seiner Vermählung Tesdorpf'sche Weine

serviert werden.

Der Weinhandel Tesdorpf, 1678 gegründet, zählt zu den ältesten Deutschlan­ds. Das Geschäft in der Lübecker Mengstrass­e – nächst dem Buddenbroo­k-Haus – schloss allerdings 2019 nach 341 Jahren seine Pforten. Heute hat das Unternehme­n seinen Sitz in Hamburg.

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