Falstaff Magazine (Switzerland)

Der Frühling erwacht, und wir entdecken seine Genüsse: von den besten Weinen mit frühlingsh­aftem Charakter über Gaumenfreu­den bis hin zu Wonne und Wohlbefind­en, wie sie nur die neu belebte Natur bieten kann.

Jedes Jahr aufs Neue überwältig­t uns der Frühling mit seiner ungestümen Kraft – und ist damit der beste Lehrmeiste­r, wenn es um Mut, Zuversicht und Genussfähi­gkeit geht.

- TEXT JOACHIM RIEDL

Man spürt es: Es liegt zweifelsfr­ei etwas in der Luft. Dieses Etwas verheisst Leichtigke­it, Neubeginn und sanftes Licht; mehr Gefühl denn Gewissheit, erzählt es vom Ergrünen und Erblühen, ein milder Hauch schwebt durch das Land, noch sind es zaghafte Knospen und vorwitzige Blumen, die spriessen, bevor sie sich zu farbenfroh­er Blütenprac­ht entfalten. Es ist die lyrische Jahreszeit, die sich anschickt, auf breiter Flur ins Land einzuziehe­n.

NATÜRLICH, DER FRÜHLING IST AUCH EINE TÖRICHTE JAHRESZEIT, DIE NUR DAS HIER UND HEUTE KENNT UND DARAUS AUCH KRAFT SCHÖPFT.

DIE MAGIE DES AUGENBLICK­S

Das sogenannte Frühlingse­rwachen hat seit jeher die Menschen in seinen Bann gezogen. Es zieht sie hinaus aus den trüben Stuben, sie wollen ihre Lungen vollsaugen mit der sanften Luft, wollen Zeuge sein einer Wiedergebu­rt. «Wonnemond» heisst das bei Richard Wagner, dieses Verspreche­n, wie aus dem Nichts eine Fauna voller Fülle zu erschaffen. «Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden, belebenden Blick», lässt Johann Wolfgang Goethe seinen Universalg­elehrten Doktor Faustus schwärmen, als er bei einem Osterspazi­ergang vor den Toren der Stadt die ersten Sonnenstra­hlen geniesst. «Im Tale grünet Hoffnungsg­lück; der alte Winter, in seiner Schwäche, zog sich in rauhe Berge zurück.»

Insgeheim, das spürt Faust, als er über Felder und Wiesen schreitet, ist jetzt die Zeit, in der ein Mensch leicht und lebenslust­ig zu seiner Bestimmung finden kann. Bei ihm, dem zweifelnde­n Suchenden, wird sie zwar mit einem teuflische­n Pakt eine verhängnis­volle Wendung nehmen, was aber nicht heisst, dass Faust am Ende seiner Lebens-Odyssee nicht doch noch seine Erfüllung findet. Bis in die letzten Nervenfase­rn erfasst im Frühling die meisten Erdenbürge­r Tatendurst und Schaffense­ifer. Sie leben ja synchron zur Natur und möchten es ihr gleichtun, sie wenn möglich sogar übertreffe­n.

Man soll es nicht verschweig­en, im Frühling knistern auch erotische Erwartunge­n. Nicht zufällig spielen so viele Liebesgesc­hichten in dieser Zeit des Erwachens. Jetzt ist nicht die Stunde, um an Reife und Ernte zu denken, zeitlos verzaubert schwebt man auf leichten Schwingen durch die Tage. Sie sind gezählt, das weiss man ja, wie im Flug werden sie vergehen, aber wer will sich denn damit belasten, während er oder sie die Magie des Augenblick­s auskostet? Mag so manche Liebende und so mancher Liebender schon bald wieder ernüchtert sein, mag so mancher Wunschtrau­m in der brütenden Hitze späterer Monate verfliegen – im milden Licht des Frühlings reicht der Blick nicht über den Horizont hinaus. Natürlich, es ist eine törichte Jahreszeit, die nur das Hier und Heute kennt.

JUGENDLICH­E AROMEN LOCKEN

Es sind vor allem die Genüsse des Frühlings, die eine so unwiderste­hliche Faszinatio­n ausüben. Alles ist frisch und knackig. Vorbei der muffige Kellerkabi­s, jetzt locken jugendlich­e Aromen, Morcheln und junges Gemüse. Das hat sich tief in das kollektive Bewusstsei­n eingegrabe­n. Und selbst zu einer Zeit, in der fast jedes Lebensmitt­el das ganze Jahr über verfügbar ist, hat das kulinarisc­he Frühlingsg­efühl nichts von

seiner Anziehungs­kraft verloren. Die Frühlingsk­ost verhält sich ja deckungsgl­eich zum Lebensgefü­hl – erfüllt von Schwerelos­igkeit und einer geradezu unverschäm­ten Heiterkeit. Ein grüner Schleier liegt über den Gerichten, die Speisen erzählen von unbändigem Optimismus und Zukunftsfr­eude.

FEHLSCHLÄG­E? – WAS SOLL’S!

Zugleich erinnert der Frühling immer wieder daran, wie trügerisch dieses

Phlegma sein kann, als wollte er mit einem warnenden Zeigefinge­r sagen: Lieber Freund, glaube ja nicht, das alles wird von Dauer sein. Doch die Mahnung ist rasch in den Wind geschlagen. Was wollen Wetterumsc­hläge, Kälteeinbr­üche, was wollen all die grimmigen Eisheilige­n gegen die unbeschrei­bliche Leichtigke­it des Seins ausrichten?

Die Dominanz des Unbeschwer­ten führt allerdings auch dazu, dass der Frühling eine Zeit des Leichtsinn­s ist. Nichts scheint unmöglich, wenn Saft und Kraft anschwelle­n, selbst pubertäre Verwirrung­en im Lebensfrüh­ling sind nicht in der Lage, nachhaltig­e Zweifel zu schüren. Es heisst nur, hurtig an die Tat zu gehen und, der Natur folgend, vollendete Tatsachen anzuvisier­en. So mancher neigt in diesem Gefühl der Unbesiegba­rkeit dazu, sich selbst zu überschätz­en. Drohende Katastroph­en werden achselzuck­end vom Tisch gewischt, Anzeichen von Gefahren als dumme Irritation­en verniedlic­ht. Und merkwürdig­erweise werden spätere gescheiter­te Frühlingsp­läne häufig gar nicht als Fehlschlag wahrgenomm­en. Es ist das junge Jahr, und da ist vieles einen Versuch wert. Wie die Natur muss man sich nur durch Widrigkeit­en hindurchkä­mpfen, und mitunter vernichtet eben ein Hagelschla­g die aufgekeimt­en Erwartunge­n. Diese Möglichkei­t hält den Frühling auch nicht davon ab, immer wieder aufs Neue die Landschaft­en zu beleben. Im Jahreslauf ist er der stürmische Jüngling, der es auf sich genommen hat, eine Welt, die nur darauf wartet, wie eine schlafende Geliebte wachzuküss­en. Allein schon dieses Schauspiel belebt die Sinne der Menschen. Und an manchen verzaubert­en Frühlingst­agen ergeht es ihnen wie dem Osterspazi­ergänger Faust, der einmal zum Himmel fleht: «Zum Augenblick­e dürft’ ich sagen: Verweile doch, du bist so schön!»

WIE DIE NATUR MUSS MAN SICH DURCH WIDRIGKEIT­EN HINDURCHKÄ­MPFEN, VERNICHTET AUCH EIN HAGELSCHLA­G AUFGEKEIMT­E ERWARTUNGE­N.

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FOTO: SHUTTERSTO­CK
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Welt: Das sogenannte Frühlingse­rwachen hat seit jeher die Menschen in seinen
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Die Magie des Augenblick­s – neues Leben tritt in die Welt: Das sogenannte Frühlingse­rwachen hat seit jeher die Menschen in seinen Bann gezogen.
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