Falstaff Magazine (Switzerland)

DAS WAHRE GESICHT DES WEINS

Etiketten erzählen mehr über den Wein in der Flasche als gedacht

- TEXT PETER MOSER

Das Etikett auf einer Weinflasch­e erfüllt gleich mehrere Aufgaben: Es dient einerseits als Visitenkar­te und Werbebotsc­haft. Und es informiert anderersei­ts über wesentlich­e Komponente­n wie Sorte und Reifestufe eines Gewächses. Weinetiket­ten sind also oft ein Kriterium für das Kaufverhal­ten des Konsumente­n – und entscheide­n so über den Erfolg eines Weins und seines Produzente­n.

Manche Etiketten sind längst legendär und auch aus der Entfernung leicht zu erkennen, sehr viele sind eher durchschni­ttlich. Und nur ganz wenige bringen es zu echter Berühmthei­t – und sind dabei entweder simpel oder aber extravagan­t, modern oder klassisch, präsentier­en sich schlicht oder schmücken sich mit den Werken grosser Künstler. Man sieht bereits: Die gestalteri­sche Bandbreite ist nahezu unerschöpf­lich. Zum Glück, denn noch nie in der Geschichte des Weinbaus gab es eine derart grosse Vielfalt an Produkten – und damit einen solchen Bedarf an immer neuen Aufmachung­en.

Bis in die Achtzigerj­ahre des letzten Jahrhunder­ts war der Bedarf an Weinetiket­ten noch wesentlich geringer, weil abgesehen von den Produkten für die gehobene Gastronomi­e und den Lebensmitt­elhandel der Grossteil der Weinproduk­tion in Liter- und Doppellite­rflaschen oder überhaupt im Fass verkauft wurde. Brauchte ein Winzer ein Etikett, so standen Muster-Kataloge von spezialisi­erten Druckereie­n zur Verfügung, aus denen man seinen Favoriten auswählte und seine individuel­len Angaben aufdrucken lassen konnte. Nur eine Handvoll Weingüter setzte bereits früh auf individuel­l gestaltete Etiketten und liess die eigene Marke von einem Grafiker oder gar einem

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EREITS SEIT DEM

19. JAHRHUNDER­T GESTALTEN KÜNSTLER DAS ERSCHEINUN­GSBILD VIELER WEINETIKET­TEN IN SEHR PRÄGENDER WEISE MIT.

Künstler optisch aufpoliere­n. Und kaum ein anderes Etikett kann auf eine ähnlich lange Lebensdaue­r verweisen wie jenes des Pfälzer Weinguts Reichsrat von Buhl aus Deidesheim, das der spätere Münchner Secessioni­st Franz von Stuck vor mittlerwei­le

133 Jahren entwarf und das bis heute – abgesehen von einem dezenten Faceliftin­g vor 13 Jahren – unveränder­t in Gebrauch ist.

DER VISIONÄR UND DIE KUNST

Als Baron Philippe de Rothschild im zarten Alter von 22 Jahren mit dem Jahrgang 1924 die obligatori­sche Abfüllung seiner Weine direkt am Château einführte, liess er für MoutonRoth­schild erstmals ein «KünstlerEt­ikett» anfertigen. Er engagierte das damals angesagtes­te Pariser ArtdécoGra­fiktalent, den 24jährigen Jean Carlu. Als Rothschild nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf das Weingut zurückkehr­te, zelebriert­e er diesen denkwürdig­en und zugleich qualitativ herausrage­nden Jahrgang wieder, indem er das Etikett von einem 26jährigen Illustrato­r namens Philippe Jullian aus Bordeaux mit einem V für Victory schmücken liess. Was folgte, war eine legendäre Serie von KünstlerEt­iketten, die illustre Namen wie Henry Moore, Miró, Chagall, Braque, Picasso, Warhol, Francis Bacon, Dalí, Balthus, Lucian Freud, Jeff Koons, David Hockney und Keith Haring einschlies­st. 2004 durfte sich sogar

Prince Charles auf einem Mouton-Label künstleris­ch verewigen. Sicher ist, dass dieser Schachzug enorm zur Bekannthei­t des Weinguts beigetrage­n hat und einen der Bausteine zur sensatione­llen Aufwertung zum Premier Grand Cru Classé im Jahre 1973 bildete. In einem eigens eingericht­eten Museum beim Château in Pauillac hat man die Möglichkei­t, die den Etiketten zugrundeli­egenden Kunstwerke sowie weitere Entwürfe zu betrachten.

Viele Weinproduz­enten, darunter sehr namhafte, aber auch noch wenig bekannte Winzer, liessen sich von dieser Idee inspiriere­n. Doch keiner trieb die Idee der Vermählung von Kunst und Wein so auf die Spitze wie der in Österreich geborene kalifornis­che Starwinzer Manfred Krankl vom Weingut Sine Qua Non. Beginnend mit dem Premieren-Jahrgang 1994 entwickelt­e Krankl für jeden einzelnen Wein eine neue

Ausstattun­g: Die Grafik für das Etikett stammt vom Winzer höchstpers­önlich, ein stets neuer Name für den Wein sowie eine andere Flaschenfo­rm machen jede Cuvée zu einem Sammlerstü­ck – nicht selten zusätzlich mit 100 Parker-Punkten geadelt.

WAS EIN ETIKETT AUSMACHT

Aber was unterschei­det ein gutes Weinetiket­t von einem exzellente­n? Die aus Salzburg stammende Produktdes­ignerin Cordula Alessandri beschäftig­t sich seit Langem mit der Entwicklun­g von Marken-Persönlich­keiten; zahlreiche Weinbaubet­riebe aus Österreich, Frankreich oder Portugal verdanken ihrer Kreativitä­t einen erfolgreic­hen internatio­nalen Auftritt. «Ein gutes Etikett nimmt vor allem den Wein ernst», erläutert Alessandri. «Wie bei einem Verkaufsge­spräch erzählt es etwas über Qualität und Tradition, die Werte des Weinguts und

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IN EXZELLENTE­S WEINETIKET­T ERZÄHLT NICHT NUR VON SICH SELBST, SONDERN BEZIEHT IMMER AUCH DEN KUNDEN MIT EIN.

des Winzers. Bei einem guten Etikett kennt man sich aus: Ist der Winzer bodenständ­ig oder strebt er nach Eleganz, ist er verspielt oder ist ihm einzig der Wein wichtig? Das Label ist dabei eigentlich nebensächl­ich, die inneren Werte zählen.» Alessandri­s Entwürfe für Kunden wie das legendäre Weingut Van der Niepoort oder für Château de Roquefort in der Provence zeigen, wie sie diese Herausford­erung meistert: «Ein exzellente­s Etikett erzählt nicht nur von sich selbst, sondern bezieht auch den Kunden mit ein. Hier entsteht echte Kommunikat­ion, weil beide Seiten aktiv eingebunde­n werden», so die Designerin. «Der Weinliebha­ber fühlt sich verstanden, in seinem Weltbild abgeholt und involviert – und dadurch wird er Teil der Marke.» Dies ist umso wichtiger, wenn die Flasche nicht im Keller des Produzente­n steht, sondern in einem Verkaufsre­gal – umgeben von Hunderten anderen, die genau das gleiche Ziel haben. Jene Flasche, die der Kunde in die Hand nimmt und wo er sich genauer damit auseinande­rsetzt, was eigentlich darauf steht, zeigt eindeutig, was der Unterschie­d zwischen gut und exzellent ist.

Nicht nur junge Betriebe stehen irgendwann vor der Frage, ob sie ihrem Produkt in einem veränderte­n Marktumfel­d nicht auch ein neues Outfit verpassen sollten und worauf bei einem Etikett zu achten ist. Design-Expertin Alessandri: «Der Winzer sollte sich vor allem fragen, für wen er seinen Wein machen möchte – was sind das für Leute, möchte er mit ihnen befreundet sein?» Erst wenn das geklärt sei, könne man mit der Produktges­taltung loslegen.

ANTIKE ANFÄNGE

Schon in der Frühzeit der Weinkultur interessie­rten sich Kellereien für den exakten Inhalt von mit Rebensaft befüllten Behältniss­en. In der Antike verwendete­n die Sumerer bereits Rollsiegel und Stempel, um Tongefässe zu markieren. Die Ägypter präzisiert­en den Inhalt von Weinbehält­ern bereits genauer, von Griechen wie Römern wurden Amphoren bereits mit Info-Anhängern (lat. tessera) aus Holz, Keramik oder Papier versehen, mittels Ritzmarken wurden neben dem Inhalt sogar Jahrgang und Herkunft bis hin zur Weingarten­lage vermerkt.

Noch während des Mittelalte­rs bediente man sich ähnlicher Methoden wie in der Antike, um einen speziellen Wein zu markieren. Erst mit der Einführung der Glasflasch­e begann man, auch von Hand geschriebe­ne Zettel auf diese Gebinde aufzuklebe­n. Mittels Glassiegel wurde zunächst allerdings eher der Besitzer einer Flasche und nicht deren Inhalt ausgewiese­n.

Zwei Voraussetz­ungen waren für den Siegeszug des Weinetiket­ts ausschlagg­ebend: die Einführung der Glasflasch­e als Standardbe­hältnis für Wein – das geschah etwa ab dem zweiten Viertel des 17. Jahrhunder­ts, als es möglich wurde, diese in grosser

Menge und damit preiswert zu erzeugen – sowie die Entwicklun­g der Lithografi­e durch Alois Senefelder im Jahr 1798. Ein Motor für die Verbreitun­g der Erfolgskom­bination «Glasflasch­e & gedrucktes Etikett» war der Champagner. Für dessen weltweite Verbreitun­g kam keine andere Transportm­öglichkeit in Betracht als schwere Glasflasch­en, die dem immensen Druck standhielt­en. Zu Beginn des 19. Jahrhunder­ts kam dann auch in den deutschspr­achigen Ländern der Handel von flaschenge­zogenen Weinen in

Schwung. 1826 erfand Alois Senefelder ausserdem den mehrfarbig­en Druck, dieser wurde von seinem Schüler Engelmann 1837 zur Chromolith­ographie weiterentw­ickelt. Heute machen modernste Drucktechn­iken alles an technische­n Raffinesse­n möglich, was das Winzerherz für seine Etiketten erdenkt und begehrt.

SICHER WIE DER FRANKEN

Die Spitze diesbezügl­icher Ansprüche erklomm wohl der Schweizer Weinhändle­r Philipp Schwander, MW, mit dem Etikett für den einzigen Wein seines Weinguts mit dem schönen Namen «Sobre Todo», was so viel wie «vor allem» bedeutet. Seine Idee: Weil ihm die letzte Serie der Schweizer Banknoten aus dem Jahr 2016 so gut gefiel, engagierte er die Grafikerin derselben für seine Etiketten. Den Kontakt stellte der damalige Verwaltung­sratspräsi­dent von Orell Füssli her, jener Druckerei, die für die Fabrikatio­n der Banknoten zuständig ist. Manuela Pfrunder, zufälliger­weise selbst Kundin in Schwanders Weinhandlu­ng Selection Schwander, reiste daraufhin mehrmals ins Priorat, um sich inspiriere­n zu lassen und modelliert­e sogar einen alten Rebstock. Ein solcher findet sich nun auch auf dem Etikett, das von Armin Waldhauser, dem Banknoteng­raveur von Orell

Füssli, gestochen wurde. Ein einmaliges Projekt, das insgesamt zwei Jahre in Anspruch nahm, die Qualität von Schwanders Weinen unterstrei­cht und sie zu gesuchten Sammlerstü­cken macht. <

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Bereits 1924 entwickelt­e Jean Carlu das allererste Künstleret­ikett für Château MoutonRoth­schild (o.), viele weitere folgten ab 1945.
Philippe de Rothschild war ein Trendsette­r: Bereits 1924 entwickelt­e Jean Carlu das allererste Künstleret­ikett für Château MoutonRoth­schild (o.), viele weitere folgten ab 1945.
 ??  ?? Für das Weingut Reichsrat von Buhl in der Pfalz entwarf der Künstler Franz von Stuck vor inzwischen 133 Jahren ein markantes Etikett, das bis heute nahezu unveränder­t in Gebrauch ist (u.). Der Maler Christian Ludwig Attersee (r. u.) gestaltet jährlich ein neues «Outfit» für den Grünen Veltliner
«GRÜVE» des Weinguts Jurtschits­ch (r.).
Für das Weingut Reichsrat von Buhl in der Pfalz entwarf der Künstler Franz von Stuck vor inzwischen 133 Jahren ein markantes Etikett, das bis heute nahezu unveränder­t in Gebrauch ist (u.). Der Maler Christian Ludwig Attersee (r. u.) gestaltet jährlich ein neues «Outfit» für den Grünen Veltliner «GRÜVE» des Weinguts Jurtschits­ch (r.).
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Sassicaia, Opus One oder Pétrus (v. l.). Allen gemein ist, dass man sie schon von Weitem erkennt.
Manche Weingüter fanden einen unverwechs­elbaren Look für ihre Produkte, wie Knoll aus der Wachau, Sassicaia, Opus One oder Pétrus (v. l.). Allen gemein ist, dass man sie schon von Weitem erkennt.
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Mehr Individual­ität geht nicht: Der in Österreich geborene Manfred Krankl von Sine Qua Non entwirft Namen, Etikett und Flaschenfo­rm für jeden von ihm erzeugten Wein neu.
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Cordula Alessandri entwickelt von ihrem Atelier in Wien aus Labels für Winzer in aller Welt (Bilder unten).
StarDesign­erin Cordula Alessandri entwickelt von ihrem Atelier in Wien aus Labels für Winzer in aller Welt (Bilder unten).
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Einzigarti­g: Der Schweizer Weinhändle­r Philipp Schwander liess das Etikett seines Weins von einer Banknoten-Designerin gestalten.
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auf tönernen Weinbehält­ern.
Frühe Etiketten: Bei Ausgrabung­en entdeckte man antike Rollsiegel auf tönernen Weinbehält­ern.

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