Falstaff Magazine (Switzerland)
Reduziert, praktisch und wohnlich zugleich: Die Küche definiert sich neu.
Achtsames Zubereiten, Kräuter- und Gemüseanbau – die Küche wird handwerklicher. Da sie auch Wohnraum und Homeoffice ist, liegt der Fokus auf behaglichen Materialien.
Endlich sind wir wieder dazu übergegangen, die Küche für das zu nutzen, wofür sie gedacht ist: nämlich zum Kochen», schreibt Oona Horx-Strathern in ihrem Home Report 2021. Die renommierte Trend- und Zukunftsforscherin hat über Jahre beobachtet, dass die Küche als Statusobjekt galt. Gestaltung und Ausstattung waren ein Statement. «Jetzt, da wir mehr Zeit zu Hause verbringen, wandelt sich die Küche vom Aushängeschild zum Ort für innere Talente.» «Anti Trophy Kitchen» nennt die Irin den Raum, in dem wir uns selber erfreuen wollen mit unseren Koch- und Backkünsten. Viele Menschen haben während des Lockdowns begonnen,
«DIE KÜCHE IST NICHT MEHR DAS HERZ DES HAUSES, SONDERN DER MOTOR.»
OONA HORX-STRATHERN TREND- UND ZUKUNFTSFORSCHERIN
Brot zu backen, vielleicht um der Krise etwas Wahrhaftiges entgegenzusetzen. Neben Toilettenpapier war es Hefe, die anfangs ausverkauft war, hält der Home Report fest. Auch Konfitüre machen wir wieder selber. Dafür nutzen wir die Zeit, die wir sonst im Stau standen. «Kochen ist das neue Pendeln», beschreibt Oona Horx-Strathern, der es neben ihrem analytischen Blick nie an Humor fehlt, dieses Phänomen. «Individuelle, werkstattartige Küchen lösen Standardplanungen ab und sind Motor des Hauses», sagt sie.
«Diese Küchen sind wohnlich. Warme Farben und natürliche Materialien wie Holz bilden den Kontrast zu unserer digitalen Welt.»
Wird die Küche zuweilen als Büro genutzt, ist es praktisch, wenn man Kochwerkzeug oder Dinge wie Putzgerät elegant in schicken Schränken, Schüben, vielleicht sogar in einem Hauswirtschaftsraum verschwinden lassen kann. «Der Trend zur weniger formellen Küche bedeutet auch, dass wir wieder Küchenblöcke mit Tresen haben. Sie schaffen einen legeren Zugang zum Essen, Vorbereiten, Kochen und gleichzeitigen Plaudern», betont die Forscherin. In ihrem Haus am Stadtrand von Wien, in dem sie mit ihrem Mann
«KOCHEN IST DAS NEUE PENDELN. IN DER ZEIT, IN DER WIR FRÜHER IM STAU STANDEN, MACHEN WIR JETZT KONFITÜRE SELBER.» OONA HORX-STRATHERN
HERVORRAGENDE BEDINGUNGEN FÜR DEN TREND DES «VERTICAL FARMING» SCHAFFT DER KUBUS DES JUNGEN MÜNCHENER UNTERNEHMENS AGRILUTION.
Matthias Horx und zeitweise auch mit den beiden erwachsenen Söhnen lebt, schliesst sich an den Küchenblock rechtwinklig eine massive grosse Holzplatte in Tresenhöhe an. Hier wird festlich getafelt, locker gesnackt und bei Bedarf auch gearbeitet. Doch noch mal zurück zu den inneren Werten: Neben Konfitüre einkochen und Brot backen, entwickelt sich eine generelle Tendenz zum «bewussten Kochen». «Wir produzieren weniger Abfälle, kaufen mehr auf Märkten und in Zero Waste Shops», stellt Oona Horx-Strathern fest.
Zur achtsamen Nahrungszubereitung gehört ebenso der eigene Anbau von Blattgemüse, Salat und Kräutern – auf dem Balkon oder direkt in der Küche. Das junge Münchener Unternehmen Agrilution begegnet diesem Trend mit einem smarten Kubus, in dem Licht, Klima und Bewässerung ideale Bedingungen für sogenanntes «Vertical Farming» schaffen. Ohne Pestizide oder andere Umwelteinflüsse wächst Saatgut in Wasser und Nährstoffen in einem zweilagigen Schubladensystem. Geerntet wird am Ort der Verarbeitung. Das spart Transportwege, Kühlketten und Plastikmüll und beschert tolles Aroma, viele Vitamine, Antioxidantien und Spurenelemente. Also machen wir in Zukunft nicht nur Konfitüre und Brot selber, sondern auch cremiges Basilikumpesto!