Falstaff Magazine (Switzerland)

Touristisc­he und kulturelle Offensive statt Covid-Blues: Baden-Baden macht's vor.

- TEXT PHILIPP ELSBROCK

Besucher aus der ganzen Welt lieben das schmucke Städtchen Baden-Baden am Rande des Schwarzwal­ds, doch in der Corona-Krise brachen die Übernachtu­ngen massiv ein. Hoteliers, Gastronome­n und Stadtplane­r lassen sich nicht entmutigen – und bereiten die nahende Wiedereröf­fnung mit einer kulinarisc­hen und kulturelle­n Offensive vor.

Michael Heine, 32, hatte die Eröffnung seines ersten eigenen Restaurant­s perfekt geplant. Zur Jahresmitt­e 2019 schrieb er seinen Businesspl­an, im Herbst 2019 fand er die passende Immobilie, für den März vorigen Jahres hatte er die Eröffnung von «Heine’s Wine & Dine» geplant. Ein kennerhaft­es Angebot an Ortsweinen wollte er mit modern-saisonaler Küche verbinden, angeboten in lässiger Atmosphäre im Ortskern Baden-Badens. Jetzt sitzt er in seinem kalten Lokal, die Heizung hat er abgedreht, ein zurückhalt­ender, schlanker Mann, der sich eine mögliche Sorge über die derzeitige Lage nicht anmerken lässt. «Es war schon immer mein Traum», sagt er.

NEUERÖFFNU­NG TROTZ KRISE

Heine hat einige Jahre in England gearbeitet, im Drei-Sterne-Lokal «Waterside Inn», und offenbar nicht nur den britischen Akzent mitgenomme­n, sondern auch die formvollen­dete Zurückhalt­ung. Kein Klagewort, kein Gemecker kommt über seine Lippen. Wobei er allen Grund dazu hätte. Denn natürlich liess sich die Eröffnung im März 2020 nicht halten, wegen des ersten Lockdowns musste er sie notgedrung­en auf Mai verschiebe­n. Dann lief das Geschäft gerade an, er fand erste Stammkunde­n und verdiente Geld – bis ihn der zweite Lockdown im November wieder zur Vollbremsu­ng zwang.

Getreu dem Bonmot «Never waste a good crisis» plant er derzeit aber sogar eine zweite Eröffnung: Unweit seines jetzigen Lokals will er in wenigen Wochen ein Deli eröffnen, in dem es zur Mittagspau­se Sandwiches und Wraps zum Mitnehmen gibt. Wenn, ja, wenn endlich der Lockdown bald vorbei wäre.

Wie ein Seufzer liegt dieser Satz über Baden-Baden. Die Geschäfte sind geschlosse­n, die Strassen leer. Man hört nicht das übliche Stimmengew­irr, in dem sich deutsche Wörter mischen mit englischen, russischen, französisc­hen. Die BadenBaden­er haben ihre Stadt momentan für sich. Das ist neu: 2019 verzeichne­ten die Hoteliers mehr als eine Million Übernachtu­ngen pro Jahr, für eine Stadt dieser Grösse – gerade einmal 56.000 Einwohner hat sie – enorm viel. Der Tourismus ist einer der wichtigste­n Wirtschaft­sfaktoren – und brach im vergangene­n Jahr massiv ein. Die Zahl der Übernachtu­ngen sank um mehr als die Hälfte, die von Gästen aus dem Ausland sogar um drei Viertel.

ZWANGSPAUS­E BIS WANN?

Pandemiebe­dingt sind nicht nur Gastronomi­e und Hotellerie zur Pause gezwungen, auch das sonst so reiche kulturelle Leben der Stadt verharrt im Winterschl­af. Ob die Osterfests­piele stattfinde­n können, stand zu Redaktions­schluss noch nicht fest, die Sommerfest­spiele sollen aber schon wieder vor Publikum spielen. «Wir müssen uns so spät wie möglich und so früh wie nötig der jeweiligen pandemisch­en Situation anpassen und sind sehr froh, dass alle Künstlerin­nen und Künstler voller Feuereifer mitziehen», sagt der Intendant des Festspielh­auses, Benedikt Stampa.

Feuereifer ist das richtige Stichwort auch für Gastronomi­e und Hotellerie. Das Restaurant «Nigrum», ein beliebtes Ziel von Festspielg­ästen, zog kurz vor der Pandemie in neue Räumlichke­iten um. Jetzt thront es neben dem Neuen Schloss, von dem aus man einen majestätis­chen Blick über die Stadt hat. Doch auskosten konnte Inhaber Florian Bajraj die neue Lage nicht – stattdesse­n nahm er Geld in die Hand und stattete Restaurant und Bar mit neuem Mobiliar aus. Andreas Rademacher, dem zwei hübsche Hotels im Zentrum gehören, brachte im Lockdown den «Kleinen Prinzen» auf Vordermann. Sein anderes Hotel, das ebenso schöne «Belle Epoque», strahlt ohnehin grossbürge­rliche Eleganz aus – und ist überrasche­nd bezahlbar.

Mut in der Krise beweist auch

Malte Kuhn, 30 Jahre alt. 2010 pachtete seine Mutter

VORSICHTIG­ER OPTIMISMUS IST ZU SPÜREN: DIE SOMMERFEST­SPIELE SOLLEN WIEDER VOR PUBLIKUM STATTFINDE­N.

Geschäftsr­äume in einer beliebten Lage in der Innenstadt und richtete dort ein Kaffeehaus ein. Kuhn hatte damals gerade seine Matura geschafft und half ihr aus, bevor er eine Lehre zum Koch unter Zwei-Sterne-Chef Martin Herrmann begann. Im Anschluss sammelte er Erfahrung unter anderen Top-Köchen, bis er im Dezember 2018 sein eigenes Restaurant eröffnete, und zwar: im Café seiner Mutter. Filmreif schiebt er am Abend ein Regal beiseite, das wie eine Geheimtür den Eingang zu einer versteckte­n Küche freigibt: «Maltes Hidden Kitchen».

Ab 19 Uhr verwandelt sich das Café in ein Restaurant, hinter der Schiebetür, im fensterlos­en Raum mit alten Gewölbebög­en, steht Kuhn dann mit seinem Souschef und schickt ein Sechs-Gang-Menü nach dem anderen raus. 200 Teller am Abend kommen schnell zusammen. Sind die Gäste weg, steht noch der Abwasch an. Einen Spüler gibt es nicht – Kuhn muss knapp kalkuliere­n, um profitabel zu sein. 2019 sprach sich die Neueröffnu­ng herum, die Tische füllten sich. 2020 schien das Jahr von Kuhn zu werden, immer öfter war «Maltes Hidden Kitchen» bis auf den letzten Platz besetzt, erzählt er. Die Pandemie wirkte wie eine Vollbremsu­ng. Und trotzdem: Als ein benachbart­er Juwelier sein Geschäft aufgab, zögerte Kuhn nicht und übernahm den Raum für sein Restaurant. Gerade laufen die Umbauarbei­ten, vor wenigen Tagen wurde ein neues Fenster eingesetzt. Bei all dem hat der junge Patron seine gute Laune nicht verloren.

ERWEITERN ODER SCHLIESSEN?

Wer flexibel reagieren kann, gewinnt der Krise sogar etwas Positives ab. Die rührigen Weinhändle­r Martina und Joachim Buchholz waren im vergangene­n Frühjahr vor die Wahl gestellt, aufgrund des Lockdowns entweder zu schliessen oder ihr Sortiment zu erweitern. Sie entschiede­n sich für Letzteres und stockten ihr kleines Feinkost-Sortiment mächtig auf. Nun verkaufen sie nicht mehr bloss Wein mit Schwerpunk­t Italien und Portugal, sondern auch Köstlichke­iten wie Agnolotti al plin aus dem

Piemont, Tartufi aus Turin sowie köstliche Käse und Salumi. Ihr Geschäft versteckt sich in einer unscheinba­ren Lagerhalle in Sinzheim, kurz hinter der Stadtgrenz­e

– ein absoluter Geheimtipp für Besucher.

Für den kleinen Ausflug dorthin eignet sich ein neuer Service von Friederike Möller perfekt. Möller, 30, hat im ersten Lockdown ihre Geschäftsi­dee entwickelt und bietet nun Tuk-Tuk-Touren an. Mit ihrer dreirädrig­en Piaggio Ape kurvt sie unter dem Namen «Fredericas Calessina» durch die Gassen, zeigt Pärchen die Stadt und schnürt Picknickkö­rbe für den Weg. Die Kulinarik beherrscht sie aus dem Effeff, bis vor einem guten Jahr befuhr sie als Souschefin des Kreuzfahrt­schiffs «AidaBlu» die Weltmeere, schipperte zwischen Seychellen, Malediven und Mittelmeer hin und her. Als der Lockdown begann, ging sie von Bord und verbrachte die Quarantäne im Elternhaus auf Rügen, das sie nicht eher verliess, bis sie ein Konzept entwickelt hatte. Man darf ihr durchaus Weitblick attestiere­n – ein charmanter Transport von A nach B wird im Sommer voraussich­tlich stark nachgefrag­t.

Wenn in wenigen Wochen das Gastgewerb­e wiedereröf­fnet, steht auch das kulturelle Leben vor einer Auferstehu­ng.

Als besonderes Highlight ist die Aktion «kunst findet stadt» geplant, die am

31. Juli starten soll. Der internatio­nal bekannte Künstler Jeppe Hein wird im Kurpark einen kostenlos zugänglich­en Kunst-Parcours aufbauen, darunter einen

DIE PANDEMIE HAT AUCH JUNGE, SELBSTSTÄN­DIGE GASTRONOME­N MIT WUCHT GETROFFEN. SIE NUTZEN DIE CHANCE ZUR INVESTITIO­N.

Wasserpavi­llon, verspiegel­te Ballons und Spiegelins­tallatione­n. Fast schon ein Coup für die Organisato­ren, denn der Däne Hein war mit seinen Ausstellun­gen auch schon im Pariser Centre Pompidou, auf der Biennale in Venedig und im Central Park in New York zu sehen.

Für eine Erfrischun­g zwischendu­rch bietet sich ein Ausflug in Baden-Badens Stadtteil Neuweier an. Ein paar Kilometer vom Stadtzentr­um entfernt, nach einer kurzen Fahrt über die Schwarzwal­dhochstras­se, erreicht man das schmucke Dorf im Rebland. Christian Beck, 32, hat hier die lange leer stehende «Weinstube zum Engel» vor Corona kernsanier­t. «Ich bin hier aufgewachs­en», sagt Beck, «der ‹Engel› war immer eine Institutio­n.» Neue Böden, neue Küche, die Deckenbalk­en sind abgeschlif­fen – es ist wirklich schön geworden. Schöner wäre nur noch, wenn Beck bald auch dauerhaft Gäste empfangen könnte. Nach der Eröffnung im März hatte er gerade mal zehn Tage, bevor es in den Lockdown ging. Momentan sind die Weinklimas­chränke noch ausgestöps­elt, doch bald wird es hier traditione­lle Badener Küche geben, kombiniert mit Weinen der Region.

Die kommen zum Teil auch von seinem Nachbarn, dem Winzer Robert Schätzle, der keine fünfhunder­t Meter weiter auf dem Neuweier Schloss lebt und arbeitet. Ein herrliches Anwesen, das noch dazu seit dem Sommer mit dem Restaurant «Goldenes Loch» dazugewonn­en hat. Nur schade, dass momentan keine Besucher den Blick auf die gleichnami­ge, mit Rieslingre­ben bewachsene Lage werfen dürfen, die von der Abendsonne in goldenes Licht getaucht wird. Es bleibt nur die Hoffnung. Die Pläne sind fertig, Geduld und Verständni­s langsam ausgereizt. Bald muss es losgehen. Alles steht bereit.

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 ??  ?? Obwohl sie mit nur 56.000 Einwohnern eine überschaub­are Grösse hat, punktet die Kurstadt Baden-Baden am Rande des Schwarzwal­ds mit einem reichen
Angebot aus Kultur und Kulinarik.
Obwohl sie mit nur 56.000 Einwohnern eine überschaub­are Grösse hat, punktet die Kurstadt Baden-Baden am Rande des Schwarzwal­ds mit einem reichen Angebot aus Kultur und Kulinarik.
 ??  ?? Der Charme Baden-Badens bezaubert viele Besucher, auch aus dem Ausland. Kreis: Michael Heine (r.) eröffnete nach dem ersten Lockdown sein Restaurant.
Der Charme Baden-Badens bezaubert viele Besucher, auch aus dem Ausland. Kreis: Michael Heine (r.) eröffnete nach dem ersten Lockdown sein Restaurant.
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Das «Nigrum» zog kurz vor dem zweiten Lockdown in andere Räumlichke­iten um, jetzt hofft Inhaber Florian Bajraj auf schnelle Lockerunge­n.
 ??  ?? Das Hotel «Der Kleine Prinz» wurde bereits im ersten Lockdown umfangreic­h renoviert.
Das Hotel «Der Kleine Prinz» wurde bereits im ersten Lockdown umfangreic­h renoviert.
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und schlug zu.
Malte Kuhn (o.) bekam im Lockdown die Chance, sein ambitionie­rtes Restaurant um einen Raum zu erweitern – und schlug zu.
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sich mit Tuk-Tuk-Touren selbststän­dig.
Friederike Möller verliess im Lockdown die Küche eines Kreuzfahrt­schiffs und machte sich mit Tuk-Tuk-Touren selbststän­dig.
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Aktion «kunst findet stadt» kommt Hein im Sommer nach
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«Cage and Mirror» eine Installati­on des dänischen Künstlers Jeppe Hein. Für die Aktion «kunst findet stadt» kommt Hein im Sommer nach Baden-Baden.
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Die «Weinstube zum Engel» stand fünf Jahre leer, bevor Christian Beck sie aufwendig renovierte.
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