Falstaff Magazine (Switzerland)
DAS SUSHI-GEHEIMNIS
Woran man authentisches und gutes Sushi erkennt und wie man es richtig isst
Fisch, Seafood und Essigreis – das sind die Hauptzutaten des wohl teuersten Fast Foods der Welt. Doch so simpel es aussieht, so komplex ist das Handwerk dahinter. Bisweilen dauert die Ausbildung zum Sushi-Meister Jahrzehnte, die Preise für hohe Produktqualität sind atemberaubend. Über die hohen Ansprüche eines japanischen Kulturguts.
Es gibt in der Gourmet-Welt wenig Möglichkeiten, sein Geld so schnell loszuwerden wie in einer Sushi-Bar. Für eine halbe Stunde an der Theke einer der besten Sushi-Bars Tokyos zahlt man leicht 300 Euro und mehr, Getränke nicht inbegriffen. Und doch warten Gourmets jahrelang, um einen der wenigen Plätze in der Bar von Yasuhiko Mitsuya zu bekommen. Die Reservierung beginnt am Neujahrstag um 10 Uhr – kurz darauf sind alle Plätze vergeben, und zwar fürs ganze Jahr. Ähnlich sieht es im Sukiyabashi Jiro aus, ebenfalls in Tokyo. Es mag helfen, wenn man US-Präsident ist: Barack Obama ergatterte mit dem damaligen Premierminister
SUSHI VEREINT DAS STREBEN NACH HANDWERKLICHER PERFEKTION MIT DER SUCHE NACH DER VOLLKOMMENEN ZUTAT.
Japans, Shinzo Abe, eine Audienz – für den normalen Gast sind die Wege an die Theke deutlich schwieriger. Man muss schon einen guten Concierge oder gar eine Agentur beauftragen. Auf normalem Wege sind die Plätze aufgrund des immensen Andrangs praktisch nicht mehr reservierbar – was übrigens der Grund dafür ist, dass die beiden Top-Restaurants im Jahr 2019 ihre drei Michelin-Sterne verloren.
Der Hype um Sushi hält seit Jahren an. Kaum ein Element der facettenreichen japanischen Küche fasziniert das internationale Gourmetpublikum so wie die klassische Kombination aus Reis und rohem Fisch oder Seafood, die nicht nur gut schmeckt, sondern auch dem Körper Gutes tut. Sushi
JAPANS KULTURGUT BESTEHT IM GRUNDE AUS ROHEM FISCH UND ESSIGREIS – UND DOCH STECKT EINE GANZE PHILOSOPHIE DAHINTER. der Spitzenklasse vereint das Streben nach handwerklicher Perfektion und die
Suche nach der vollkommenen Zutat – und ist dabei so viel zugänglicher als die oft verkopft wirkende Haute Cuisine Europas.
Natürlich sind längst nicht alle Sushi-Bars in Japan auf Sterne-Niveau angesiedelt, auch dort bekommt man Sushi für schmales Geld, so wie hierzulande in jeder grösseren Stadt. Allein: Das Sushi der oberen Liga hat mit jenem der Ketten und Lieferdienste so viel zu tun wie eine digitale Plastikuhr mit einem Schweizer Manufaktur-Kaliber. Was mit den beiden gerade angesprochenen Punkten zu tun hat: Handwerk und Produktqualität. Allein zum Thema Reis liesse sich eine Doktorarbeit schreiben, so viele Varianten, Zubereitungsarten und Rezepte gibt es. Für Nicht-Sushimeister reicht indes vorläufig: Der Reis von einem Nigiri-Sushi, also dem Handballen-Sushi, auf das Fisch gelegt wird, muss lauwarm sein oder gar Körpertemperatur haben.
Dann der Fisch: Wer würde nicht gern einmal über den legendären Tokyoter Toyoso-Markt (früher Tsukiji-Markt) schlendern, wo morgens um 5.30 Uhr die Auktion der grössten Thunfische beginnt? Ein denkwürdiges Schauspiel, wie die Marktarbeiter unter ständigem Glockenläuten und kehligem Geschrei einen
WIE BEKOMMT MAN DIE BERÜHMTE JAPANISCHE PRODUKTQUALITÄT IN EUROPA? ZUM BEISPIEL, INDEM MAN VERRÜCKTE HÄNDLER KENNT. tiefgefrorenen Fisch nach dem anderen mit Haken wegschleifen. Für beste Qualität wird fast jeder Preis gezahlt, der aktuelle Rekord liegt bei drei Millionen US-Dollar für einen 278 Kilogramm schweren, gefährdeten Blauflossen-Thun.
Wie bekommt man vergleichbare Qualität in Europa? Zum Beispiel, indem man verrückte Händler kennt. «Ich kann meinen Händler nachts um vier Uhr anrufen und sagen, ich brauche sechs Seebarben à 330 Gramm, und am nächsten Tag bekomme ich sechs Seebarben à 330 Gramm», sagt Christian Bau, Produktfanatiker und Drei-Sterne-Koch im Saarland. Steinbutt aus der Bretagne, Balfegó-Thun aus Spanien, Jakobsmuscheln aus Norwegen – «zu 90 Prozent findet man die Qualität der Zutaten auch bei uns», sagt Bau. Zusätzlich lässt er, ähnlich wie Yoshizumi Nagaya, der in Düsseldorf sein japanisches Sternerestaurant führt, Ware direkt aus Japan einfliegen. Echten Wasabi beispielsweise, dessen Kilopreis teils bei 250 Euro liegt.
Trotzdem muss man zugeben, und das tun beide Köche auch, dass die letzten paar Prozent schon allein durch die Dauer des Transports verlorengehen. Der Österreicher Joji Hattori, Geiger und Sternegastronom in Wien, setzt deshalb auf eine andere Herangehensweise. Mit seinem Chef de Cuisine Alois Traint hat er zum einen kreative vegetarische Sushi entwickelt, etwa
mit Spargel. Zum anderen setzt er Süsswasserfische ein, die zwar im traditionellen Sushi nicht vorkommen, aber dafür mit extremer Frische punkten: etwa Bachsaibling, den man in Japan wegen Qualitätsproblemen nicht roh essen kann, in Österreich aber in Top-Qualität bekommt. In der Regensburger Sushi-Bar «Aska» sind es Garnelen aus dem bayerischen Erding, die wohl keinen Vergleich mit Japan scheuen müssen.
Die andere Grundvoraussetzung für hervorragendes Sushi ist nicht gebunden an Ländergrenzen: ein hochambitionierter, nie endender Anspruch ans eigene Handwerk. Der Begriff «Shokunin» beschreibt die Haltung des Immer-besser-Werdens: Bis zum Tod muss man sein Handwerk lernen. Berühmtes Beispiel ist Jiro Ono aus dem eingangs erwähnten Sukiyabashi Jiro: Er ist mittlerweile 95 und formt noch immer täglich Nigiri. Sein Sohn Yoshikazu, 62, und seit Jahrzehnten unter ihm in Ausbildung, darf den Fisch schneiden. <