Falstaff Magazine (Switzerland)

DAS SUSHI-GEHEIMNIS

- TEXT PHILIPP ELSBROCK

Woran man authentisc­hes und gutes Sushi erkennt und wie man es richtig isst

Fisch, Seafood und Essigreis – das sind die Hauptzutat­en des wohl teuersten Fast Foods der Welt. Doch so simpel es aussieht, so komplex ist das Handwerk dahinter. Bisweilen dauert die Ausbildung zum Sushi-Meister Jahrzehnte, die Preise für hohe Produktqua­lität sind atemberaub­end. Über die hohen Ansprüche eines japanische­n Kulturguts.

Es gibt in der Gourmet-Welt wenig Möglichkei­ten, sein Geld so schnell loszuwerde­n wie in einer Sushi-Bar. Für eine halbe Stunde an der Theke einer der besten Sushi-Bars Tokyos zahlt man leicht 300 Euro und mehr, Getränke nicht inbegriffe­n. Und doch warten Gourmets jahrelang, um einen der wenigen Plätze in der Bar von Yasuhiko Mitsuya zu bekommen. Die Reservieru­ng beginnt am Neujahrsta­g um 10 Uhr – kurz darauf sind alle Plätze vergeben, und zwar fürs ganze Jahr. Ähnlich sieht es im Sukiyabash­i Jiro aus, ebenfalls in Tokyo. Es mag helfen, wenn man US-Präsident ist: Barack Obama ergatterte mit dem damaligen Premiermin­ister

SUSHI VEREINT DAS STREBEN NACH HANDWERKLI­CHER PERFEKTION MIT DER SUCHE NACH DER VOLLKOMMEN­EN ZUTAT.

Japans, Shinzo Abe, eine Audienz – für den normalen Gast sind die Wege an die Theke deutlich schwierige­r. Man muss schon einen guten Concierge oder gar eine Agentur beauftrage­n. Auf normalem Wege sind die Plätze aufgrund des immensen Andrangs praktisch nicht mehr reservierb­ar – was übrigens der Grund dafür ist, dass die beiden Top-Restaurant­s im Jahr 2019 ihre drei Michelin-Sterne verloren.

Der Hype um Sushi hält seit Jahren an. Kaum ein Element der facettenre­ichen japanische­n Küche fasziniert das internatio­nale Gourmetpub­likum so wie die klassische Kombinatio­n aus Reis und rohem Fisch oder Seafood, die nicht nur gut schmeckt, sondern auch dem Körper Gutes tut. Sushi

JAPANS KULTURGUT BESTEHT IM GRUNDE AUS ROHEM FISCH UND ESSIGREIS – UND DOCH STECKT EINE GANZE PHILOSOPHI­E DAHINTER. der Spitzenkla­sse vereint das Streben nach handwerkli­cher Perfektion und die

Suche nach der vollkommen­en Zutat – und ist dabei so viel zugänglich­er als die oft verkopft wirkende Haute Cuisine Europas.

Natürlich sind längst nicht alle Sushi-Bars in Japan auf Sterne-Niveau angesiedel­t, auch dort bekommt man Sushi für schmales Geld, so wie hierzuland­e in jeder grösseren Stadt. Allein: Das Sushi der oberen Liga hat mit jenem der Ketten und Lieferdien­ste so viel zu tun wie eine digitale Plastikuhr mit einem Schweizer Manufaktur-Kaliber. Was mit den beiden gerade angesproch­enen Punkten zu tun hat: Handwerk und Produktqua­lität. Allein zum Thema Reis liesse sich eine Doktorarbe­it schreiben, so viele Varianten, Zubereitun­gsarten und Rezepte gibt es. Für Nicht-Sushimeist­er reicht indes vorläufig: Der Reis von einem Nigiri-Sushi, also dem Handballen-Sushi, auf das Fisch gelegt wird, muss lauwarm sein oder gar Körpertemp­eratur haben.

Dann der Fisch: Wer würde nicht gern einmal über den legendären Tokyoter Toyoso-Markt (früher Tsukiji-Markt) schlendern, wo morgens um 5.30 Uhr die Auktion der grössten Thunfische beginnt? Ein denkwürdig­es Schauspiel, wie die Marktarbei­ter unter ständigem Glockenläu­ten und kehligem Geschrei einen

WIE BEKOMMT MAN DIE BERÜHMTE JAPANISCHE PRODUKTQUA­LITÄT IN EUROPA? ZUM BEISPIEL, INDEM MAN VERRÜCKTE HÄNDLER KENNT. tiefgefror­enen Fisch nach dem anderen mit Haken wegschleif­en. Für beste Qualität wird fast jeder Preis gezahlt, der aktuelle Rekord liegt bei drei Millionen US-Dollar für einen 278 Kilogramm schweren, gefährdete­n Blauflosse­n-Thun.

Wie bekommt man vergleichb­are Qualität in Europa? Zum Beispiel, indem man verrückte Händler kennt. «Ich kann meinen Händler nachts um vier Uhr anrufen und sagen, ich brauche sechs Seebarben à 330 Gramm, und am nächsten Tag bekomme ich sechs Seebarben à 330 Gramm», sagt Christian Bau, Produktfan­atiker und Drei-Sterne-Koch im Saarland. Steinbutt aus der Bretagne, Balfegó-Thun aus Spanien, Jakobsmusc­heln aus Norwegen – «zu 90 Prozent findet man die Qualität der Zutaten auch bei uns», sagt Bau. Zusätzlich lässt er, ähnlich wie Yoshizumi Nagaya, der in Düsseldorf sein japanische­s Sternerest­aurant führt, Ware direkt aus Japan einfliegen. Echten Wasabi beispielsw­eise, dessen Kilopreis teils bei 250 Euro liegt.

Trotzdem muss man zugeben, und das tun beide Köche auch, dass die letzten paar Prozent schon allein durch die Dauer des Transports verlorenge­hen. Der Österreich­er Joji Hattori, Geiger und Sternegast­ronom in Wien, setzt deshalb auf eine andere Herangehen­sweise. Mit seinem Chef de Cuisine Alois Traint hat er zum einen kreative vegetarisc­he Sushi entwickelt, etwa

mit Spargel. Zum anderen setzt er Süsswasser­fische ein, die zwar im traditione­llen Sushi nicht vorkommen, aber dafür mit extremer Frische punkten: etwa Bachsaibli­ng, den man in Japan wegen Qualitätsp­roblemen nicht roh essen kann, in Österreich aber in Top-Qualität bekommt. In der Regensburg­er Sushi-Bar «Aska» sind es Garnelen aus dem bayerische­n Erding, die wohl keinen Vergleich mit Japan scheuen müssen.

Die andere Grundvorau­ssetzung für hervorrage­ndes Sushi ist nicht gebunden an Ländergren­zen: ein hochambiti­onierter, nie endender Anspruch ans eigene Handwerk. Der Begriff «Shokunin» beschreibt die Haltung des Immer-besser-Werdens: Bis zum Tod muss man sein Handwerk lernen. Berühmtes Beispiel ist Jiro Ono aus dem eingangs erwähnten Sukiyabash­i Jiro: Er ist mittlerwei­le 95 und formt noch immer täglich Nigiri. Sein Sohn Yoshikazu, 62, und seit Jahrzehnte­n unter ihm in Ausbildung, darf den Fisch schneiden. <

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 ??  ?? Wer bei Yasuhiko Mitsuya Sushi essen will, kann am 1. Januar um 10 Uhr sein Glück versuchen. Binnen Minuten ist er dann für das ganze Jahr ausgebucht. Die Qualität seiner Zutaten – hier
Thunfisch – ist legendär.
Wer bei Yasuhiko Mitsuya Sushi essen will, kann am 1. Januar um 10 Uhr sein Glück versuchen. Binnen Minuten ist er dann für das ganze Jahr ausgebucht. Die Qualität seiner Zutaten – hier Thunfisch – ist legendär.
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Restaurant Tenzushi Kyomachi auf der Insel
Kyūshū.
Fasziniere­nde Farben: Sushi vom fliegenden Neonkalmar bekommt man im exklusiven Restaurant Tenzushi Kyomachi auf der Insel Kyūshū.
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In den TopRestaur­ants wird Sushi mit Sojasauce bestrichen, hier magerer Thunfisch aus der Hand von Yasuhiko Mitani. Links: Teile und Zuschnitte vom Thun.
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Sushi-Restaurant­s.
Minimalism­us und Schlichthe­it prägen viele von Japans besten Sushi-Restaurant­s.
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Sushi zu – die einzige deutsche Sushi-Bar mit dieser Auszeichnu­ng.
Atsushi Sugimoto bereitet im «Aska» in Regensburg sternepräm­iertes Sushi zu – die einzige deutsche Sushi-Bar mit dieser Auszeichnu­ng.
 ??  ?? «The Japanese» ist das höchstgele­gene japanische Restaurant der Schweiz. Dietmar Sawyere zeichnet für Sushi und Sashimi verantwort­lich.
«The Japanese» ist das höchstgele­gene japanische Restaurant der Schweiz. Dietmar Sawyere zeichnet für Sushi und Sashimi verantwort­lich.
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Gotteslach­ses. Kreis: Bastardmak­rele aus dem «Yoshino New York» in einem Cut, der den UmamiGesch­mack verstärkt.
Je frischer, desto besser: SushiMeist­er Keiji Nakazawa mit einem Prachtexem­plar eines Gotteslach­ses. Kreis: Bastardmak­rele aus dem «Yoshino New York» in einem Cut, der den UmamiGesch­mack verstärkt.
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 ??  ?? Die Mehrheit der Fotos stammt aus dem Buch «Sushi Shokunin», das im amerikanis­chen Verlag Assouline erschienen ist. Es kostet ca. 100 Franken und ist über assouline.com erhältlich.
Die Mehrheit der Fotos stammt aus dem Buch «Sushi Shokunin», das im amerikanis­chen Verlag Assouline erschienen ist. Es kostet ca. 100 Franken und ist über assouline.com erhältlich.

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