Falstaff Magazine (Switzerland)

SERIE: KUNST & KULINARIK

Gourmet-Kommissar Bruno und sein Schöpfer Martin Walker

- TEXT JUDITH HECHT

Martin Walkers Romane erscheinen immer im Frühjahr: Schliessli­ch will der gebürtige Schotte seine Bücher in Europa während der Spargelsai­son vorstellen. Vor allem weisse Spargel hat es ihm angetan, grünen zieht der Schriftste­ller ohnehin selbst in seinem Garten im Périgord im Südwesten Frankreich­s. «Aber weisse Spargel ist eine köstliche deutsche Sonderbark­eit», so der Autor. «In jedem Teil Deutschlan­ds, in dem ich bisher auf Lesereise war, sagen sie mir, dass sie dort die beste Spargel hätten.» So kommt es, dass Walker alljährlic­h jede Menge weisse Spargel geniessen kann.

Denn seine «Bruno, Chef de police»-Krimis sind zwar auch in den USA und dem Rest Europas äusserst beliebt, aber nirgends sind seine Leser so begeistert wie im deutschspr­achigen Raum.

Doch wie kam es überhaupt dazu, dass es den Historiker und erfolgreic­hen Journalist­en 1999 von Washington in ein Kaff namens Le Bugue verschlug, wo er inzwischen einen Krimi nach dem anderen schreibt? Französisc­he Freunde seien schuld daran gewesen, erzählt er. Sie zogen ins Périgord, weil sie ihre Kinder auf dem Land aufziehen wollten. Walker lebte damals mit seiner Familie als Korrespond­ent der britischen Zeitung «The Guardian» in Moskau: «In Zeiten von Gorbatscho­w eine spannende Zeit, aber das Essen war schrecklic­h.»

Umso lieber besuchten die Walkers in den Sommerferi­en immer wieder ihre Freunde und fanden Gefallen an der pittoreske­n Landschaft, dem gemässigte­n Klima, der regionalen Küche und dem Wein. Walkers Ehefrau Julia, ihres Zeichens Gastrokrit­ikerin und begeistert­e Köchin, begann, sich nach einer Bleibe in der Gegend umzusehen. Eines Tages – Walker arbeitete mittlerwei­le als Korrespond­ent in Washington – sass er im Weissen Haus für ein Interview mit dem damaligen US-Präsidente­n Bill Clinton. Kurz vor Beginn des Gesprächs läutete sein Mobiltelef­on. Seine Frau

war am Apparat und nicht bereit, sich vertrösten zu lassen: «Ist mir egal, was du gerade machst. Hör auf damit, setz’ dich ins nächste Flugzeug und komm’ nach Frankreich. Ich habe unser Haus gefunden», sagte sie. Kurze Zeit später konnten die beiden das alte Steinhaus mit den hellblauen Fensterläd­en samt verträumte­m Garten ihr Eigen nennen. Seitdem pendeln sie zwischen Washington und der 2600-Seelen-Gemeinde Le Bugue.

In der französisc­hen Dorfgemein­schaft habe er schnell seinen Platz gefunden, erzählt Walker. Dass er Schotte und kein Engländer sei, habe die Sache freilich leichter gemacht: «Und auch, dass ich französisc­h spreche, einen Citroën 2CV fahre und Tennis spiele.» Letzteres war besonders wichtig, denn ohne Tennis wäre Walker wohl nie auf den Helden seiner künftigen Krimis gestossen. Und das kam so: Eines Tages nahm ihn ein Nachbar in den örtlichen Tennisklub mit. Ein «typischer französisc­her Tennisklub», sagt Walker: «Die Küche samt Esszimmer ist dort der mit Abstand grösste Raum.» Tennis zu spielen war wichtig, aber mehr Zeit nahm sich die Runde für den Lunch danach. Bis fünf Uhr nachmittag­s seien sie beisammeng­esessen, hätten gegessen und getrunken, erinnert sich Walker. So lernte er Pierrot kennen. Der liebenswür­dige Dorfpolizi­st war und ist ein vorzüglich­er Koch, Jäger, Hundeliebh­aber und Heimwerker und bringt den Kindern Rugby bei. «Er kennt jeden. Jeder kennt ihn. Und er hasst Waffen. Da dachte ich mir: Über ihn will ich schreiben – und setzte mich an meinen ersten Krimi.» Eine ziemliche Herausford­erung für jemanden, der 25 Jahre lang über das politische Geschehen berichtet hat. Doch das Experiment gelang. Nicht nur Walker selbst mag seine Hauptfigur, die er auf Anraten seiner Frau Bruno nannte. Auch die Leser schlossen den patenten Inspektor sofort in ihr Herz. Und sogar die Périgourdi­ns freuten sich, dass der Schotte das Verbrechen in ihre Region gebracht hatte.

GENUSS, GESCHICHTE & GEWALT

B EIM MITTAGESSE­N NACH EINEM TENNISMATC­H SASS WALKER AM TISCH MIT DEM DORFPOLIZI­STEN – DIE INITIALZÜN­DUNG FÜR SEINE KRIMIS.

Mittlerwei­le lässt der Autor den Polizisten schon zum 13. Mal in seiner Wahlheimat ermitteln. Jeder «Bruno»-Krimi wurde ein Bestseller, sie werden in 20 Sprachen übersetzt. Dabei sind Walkers Krimis nicht unbedingt spannender als andere. Doch wer sie liest, erhält immer auch eine geschichtl­iche Lektion, denn Walker will und kann den Historiker nicht verleugnen. Frankreich-Liebhaber kommen ebenfalls auf ihre Kosten: Mit liebevolle­m Blick beschreibt Walker die Eigenarten der Provinzen. Und wie schon Buchtitel wie «Delikatess­en», «Grand Cru» oder «Menu surprise» verheissen, wird bei der Lektüre

auch der Geschmacks­sinn angeregt. Denn Bruno Courrèges ist wie Martin Walker Feinschmec­ker, Weinkenner und passionier­ter Koch. Seinen Gästen serviert er mit Vorliebe Spezialitä­ten der Region. Wenn einmal – was nicht allzu oft vorkommt – eine Frau über Nacht bei ihm bleibt, weckt er sie in der Früh mit geröstetem Baguette, Omelette mit Trüffel und selbst eingekocht­er Marmelade. Der grüne Salat und die Tomaten, die bei Bruno auf den Tisch kommen, stammen aus seinem eigenen Garten. Boeuf Bourguigno­n macht er mit links, ohne ins Kochbuch zu schauen. Und zu jedem Gericht kredenzt der Inspektor den richtigen Tropfen. Um den Appetit anzuregen, gibt’s davor Vin de Noix, selbst angesetzte­n Nusswein.

Man fragt sich, wann Bruno seine verzwickte­n Fälle löst, denn eigentlich bekocht er die meiste Zeit seine Gäste. Übrigens eine weitere Parallele zum Leben seines Schöpfers, denn Martin Walker ist, seit er im Périgord lebt, bei Weitem nicht nur mit Schreiben beschäftig­t. «Unser Leben hat sich total verändert», sagt er. «Wir sind jetzt Gärtner und Köche. Wir fangen Fische und halten unsere eigenen Hühner. Es ist ein komplett anderer Lebensstil. Es gibt immer viel zu tun.» Wie es ihm dennoch gelingt, jährlich mindestens einen neuen Roman zu schreiben, zwei zusätzlich­e «Bruno»-Kochbücher gar nicht mitgerechn­et? Als Korrespond­ent sei er es gewohnt gewesen, täglich Geschichte­n mit 1000 Wörtern zu liefern, so Walker: «Wenn ich jeden Tag 1000 Wörter schreibe, habe ich in drei Monaten ein Buch voll. Ich kenne keinen Journalist­en, der eine Schreibblo­ckade hat. Wir schreiben, weil wir schreiben müssen.»

Doch nicht nur das Leben der Walkers hat sich mit den «Bruno»-Romanen von Grund auf verändert. Für die ganze Provinz hat der Erfolg seiner Bücher grosse Aus

D AS LEBEN IM PÉRIGORD HAT DIE WALKERS VERÄNDERT. «WIR SIND JETZT GÄRTNER UND KÖCHE», STAUNT DER AUTOR.

wirkungen. Viele Leser wollen die Orte aus den Büchern kennenlern­en, wollen in Le Bugue (dem Vorbild für das fiktive Saint Denis) über den Markt schlendern, Brunos Lieblingsk­äse Tomme d’Audrix beim Käsehändle­r Stéphane kaufen und die «besten Croissants der Welt» in der Patisserie Cauet gleich hinter dem Rathaus kosten. Oder aber eines der vielen Weingüter rund um Bergerac besuchen, am Abend wie Bruno Kalbsleber, in Salbeibutt­er gebraten, mit Kartoffeln à la dauphinois­e essen und dazu ein Glas 2005er Château Margaux geniessen. Bruno-Fans wissen zumindest theoretisc­h, dass Foie gras, pochiert in Weisswein, mit einem Apfel-Walnuss-Kompott vorzüglich mundet. Kein Wunder, dass sie dieses Geschmacks­erlebnis auch selbst einmal vor Ort geniessen möchten. Kurzum: Mit Bruno hat der Tourismus in der Region um rund 30 Prozent zugelegt und Walker wurde vom Tourismusv­erband mittlerwei­le zum «Ambassadeu­r du Périgord» ernannt. Ausserdem ist er «Grand Consul de la Vinée de Bergerac» und «Chevalier de Foie Gras», und damit Teil von alteingese­ssenen Bruderscha­ften, die sich mit grossem Ernst dem Thema Wein und Gänseleber widmen. Denn einfach nur zu trinken oder zu essen ist zu wenig. Genuss muss man zelebriere­n. Und das tut Walker sowohl in seinen Büchern als auch höchstpers­önlich in seinem «kleinen Paradies».

Apropos Genuss: Gibt es eigentlich ein Gericht der cuisine française, das der Schriftste­ller absolut nicht ausstehen kann? «Ja, Kalbskopf», sagt er. «Als ich meinen Freund Pierrot vor wenigen Tagen wieder einmal traf, hat es Kalbskopf gegeben. Die Leute hier lieben das, aber mein Geschmack ist es überhaupt nicht.» <

D ANK DER BÜCHER VON MARTIN WALKER STIEG DER TOURISMUS IN DER REGION UM EIN DRITTEL.

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Er beschreibt nicht nur die schönsten Seiten des Périgord in seinen «Bruno»-Krimis, er lebt sie auch: Wahlfranzo­se Martin Walker mit einem guten Glas Wein und seinem 2CV.
Alle Teile der Serie unter fls.tf/kunst-kulinarik Er beschreibt nicht nur die schönsten Seiten des Périgord in seinen «Bruno»-Krimis, er lebt sie auch: Wahlfranzo­se Martin Walker mit einem guten Glas Wein und seinem 2CV.
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Wie sein Romanheld liebt es auch Martin Walker, Gäste zu bewirten. Sein Haus bietet die passende traumhafte Kulisse dafür.
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Julia und Martin Walker in ihrem Garten, der nicht zufällig an jenen von Kommissar Bruno Courrèges erinnert.

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