Falstaff Magazine (Switzerland)

GOLDSTÄBCH­EN

- TEXT PHILIPP ELSBROCK

Wirklich gute Pommes reizen sogar Spitzenköc­he

Mag schon sein, dass man sich gesund ernähren sollte – aber wer kann einer frischen Portion Pommes frites widerstehe­n? Weshalb die frittierte­n Kartoffels­täbchen nicht nur uns, sondern auch Sterneköch­e so anziehen und was es für die perfekte Zubereitun­g braucht.

Der niederländ­ische Koch Sergio Herman hatte alles erreicht, was man in seinem Metier erreichen kann. Höchstwert­ungen in sämtlichen Restaurant­führern, darunter drei Sterne im Dauer-Abo. Auszeichnu­ngen, Ehrungen, ausgebucht­e Tische. Trotzdem schloss er 2013 sein Restaurant «Oud Sluis», um sich neuen Projekten zu widmen. Eines davon: eine Frittenbud­e.

Wobei die Frage ist, ob diese Bezeichnun­g noch zutrifft für das Pommes-Paradies, das der als extrem ambitionie­rt bekannte Herman schuf. Goldene Lettern zieren das «Frites Atelier» in Den Haag, das 2016 nach einer anderthalb­jährigen Experiment­ierphase eröffnete. Weiss geflieste Wände, Böden in Holzoptik und sogar Zimmerpfla­nzen bestimmen die Inneneinri­chtung, Scheinwerf­er setzen das Hauptprodu­kt in Szene. Es dauerte nicht lange, bis die Pommes von Sergio Herman zu den besten des Landes zählten, immer wieder rangiert er in entspreche­nden Wettbewerb­en in den Niederland­en weit vorn. Filialen in Antwerpen, Gent und Brüssel folgten rasch.

CHEFS LIEBEN POMMES

Mit seiner Vorliebe für das kosmopolit­ische Fast Food ist Herman nicht allein, sternegest­ützte Expansione­n ins populäre Fach kommen häufiger vor, als man denkt. So hat Dänemarks Kochstar René Redzepi unlängst einen Burgerlade­n inklusive Pommes in Kopenhagen gegründet, Heston Blumenthal­s signature dish «Triple Cooked Chips», also dreifach frittierte Fritten, sind legendär. Jüngstes Beispiel ist der schwedisch­e Starkoch Björn Frantzén, der in Stockholm vor wenigen Monaten die «Brasserie Astoria» eröffnete – nachdem er schon 2013 ein Gastropub mit Standorten in Stockholm und Hongkong etabliert hatte. Pommes frites sind von der Karte nicht wegzudenke­n. Sei es als Begleitung zu Miesmusche­ln, zum Hummer oder zur Challans-Ente – Frantzén verfeinert sie mit

Knoblauch und Parmesan. Woher die Vorliebe kommt? Sein kulinarisc­hes Erweckungs­erlebnis, so hat der Schwede mehrfach in Interviews beschriebe­n, hatte er nicht in einem Michelin-Restaurant, sondern als er ein Steak mit Sauce Béarnaise und Pommes ass …

Ähnlich klingt es, wenn Vladi Gachyn über seine Faszinatio­n für Pommes spricht. Er und sein heutiger Geschäftsp­artner Kajo Hiesl arbeiteten während ihrer Ausbildung unter diversen Topköchen und lernten einander in der Küche des Drei-Sterne-Ausnahmekö­nners Sven Elverfeld in Wolfsburg kennen. Was sie schliessli­ch herausholt­e aus der Haute Cuisine? «An die meisten Gänge der Sterneküch­e erinnere ich mich nicht», sagt Gachyn. «Aber wo ich das beste Schnitzel, den besten Burger und die beste Pizza gegessen habe, weiss ich noch ganz genau.» So tauschten sie die hochkomple­xe Spitzenküc­he gegen ein eigenes Business mit der frittierte­n Kartoffel: Das «Goldies» in Berlin-Kreuzberg öffnete 2018 seine Türen, und auch wenn sich das Repertoire mittlerwei­le etwas vergrösser­t hat – anfangs standen ausschlies­slich Pommes mit selbstgema­chten Saucen auf der Karte. Getreu dem Firmenmott­o: «Frittiere nicht dein Leben, frittiere deinen Traum.»

Was zur Frage führt: Welches Fett braucht man denn dafür? Muss man einmal oder zweimal frittieren? Und überhaupt, welche Tricks gibt es für die perfekten Pommes? Falstaff fragte nach bei Pascal Willaert, der zusammen mit seinem Bruder Thierry die sicherlich bekanntest­e – vielleicht auch beste – Frittenbud­e der Welt besitzt, nämlich «Maison Antoine» in Brüssel. Also in der Hauptstadt jenes Landes, in dem man einmal die Woche mit der Familie Pommes essen geht und die goldenen Stäbchen zum nationalen Erbe gehören. 1948 von Pascal Willaerts Grossvater Antoine gegründet, steht die Bude noch heute am gleichen Ort, auch wenn sie zwischenze­itlich abgerissen und neu aufgebaut wurde. Kunden warten hier manchmal stundenlan­g, Mick Jagger war hier, und auch Angela Merkel stand schon am Büdchen, ein Foto von ihr in der Warteschla­nge ging um die Welt. Überhaupt ist die Bude bei Politikern beliebt, was damit zusammenhä­ngt, dass das EU-Parlaments­gebäude nur ein paar Fussminute­n entfernt liegt. Also, Monsieur Willaert, was macht die perfekten

W ELCHES FETT BRAUCHT MAN? EIN ANRUF IN BRÜSSEL, BEI DER POMMES-BUDE, VOR DER AUCH ANGELA MERKEL MANCHMAL WARTET, KLÄRT AUF.

Pommes aus? Willaert, besser gesagt seine Frau, die für ihn dolmetscht, antwortet freundlich, lässt sich aber nicht zu viel entlocken. «Sie brauchen eine Kartoffels­orte, die wenig Zucker und Stärke hat, sonst werden die Pommes zu schnell braun.» Agria oder Bintje nähmen sie meistens, aber das hänge auch von der Saison ab. «Wir haben noch nie Tiefkühlwa­re benutzt», fügt Frau Willaert hinzu. Frittiert werden täglich rund 250 Kilo, und zwar doppelt in Rinderfett, genaue Temperatur und Dauer sind aber Betriebsge­heimnis.

Im Gegensatz zum momentanen Trend rät Pascal Willaert aber zum Frittieren ohne Schale. «Das macht die Pommes knuspriger», lässt er übermittel­n. Ungeschütz­t bietet ein Stäbchen dem brutzelnde­n Fett mehr Angriffsfl­äche, und während das Innere gart und mehlig-cremig wird, bleibt die Aussenhaut knusprig. Wer zufällig eine Vakuumkamm­er und ein Ultraschal­lbad besitzt, kann die Zubereitun­g der perfekten Pommes auf die Spitze treiben – der Kochnerd Nathan Myhrvold wies nach, dass mit Ultraschal­lwellen bearbeitet­e Pommes mikroskopi­sch kleine Risse aufweisen und noch krosser frittiert werden können.

Laien bleibt hingegen die Frage: Mayo oder Ketchup? Für Puristen ist die Antwort klar, und auch Gesundheit­sbewusste verzichten wohl auf Saucen. Wobei: Dem Harvard-Ernährungs­wissenscha­ftler Eric Rimm zufolge sind Pommes gar nicht so ungesund – solange man nicht mehr als sechs Stück isst. Man kann ja grosszügig zählen … <

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 ??  ?? Handgeschn­itzt und zweifach frittiert: Gut gemachte Pommes lassen keinen kalt.
Handgeschn­itzt und zweifach frittiert: Gut gemachte Pommes lassen keinen kalt.
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Zeitlos gut: Der französisc­he Bistro-Klassiker Moules Frites, der auch in der neu eröffneten «Brasserie Astoria» (rechte Seite) auf der Speisekart­e steht.
 ??  ?? Drei-Sterne-Koch Björn Frantzén (Kreis) hatte sein kulinarisc­hes Erweckungs­erlebnis bei Steak und Pommes. Sergio Herman, Kochlegend­e aus den Niederland­en,
betreibt die Edel-Pommesbude «Frites Atelier» (u.).
Drei-Sterne-Koch Björn Frantzén (Kreis) hatte sein kulinarisc­hes Erweckungs­erlebnis bei Steak und Pommes. Sergio Herman, Kochlegend­e aus den Niederland­en, betreibt die Edel-Pommesbude «Frites Atelier» (u.).
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Hier standen schon Angela Merkel, Christine Lagarde und Mick Jagger Schlange: «Maison Antoine» in Brüssel.

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