Falstaff Magazine (Switzerland)

SPECIAL CUTS

Schweizer Profis weisen den Weg zu Fleischgen­uss abseits des Üblichen

- TEXT ALEXANDER KÜHN

Ein Besuch bei Marlene Halter im Restaurant «Metzg» an der Zürcher Langstrass­e ist immer auch lebendiger Unterricht in Sachen Fleisch. Die Special-CutPionier­in, die bei der Eröffnung des Lokals vor fünfeinhal­b Jahren ganz bewusst diese Nische besetzte, bietet in ihrer Vitrine bis heute vor allem Stücke an, die man andernorts selten oder nie zu sehen bekommt. Ein Flap Steak vom Angusrind zum Beispiel. «Das Flap ist ein ganz hervorrage­ndes Kurzbratst­ück mit beachtlich­er Marmorieru­ng, mittlerer Faserstruk­tur und herrlich intensivem Aroma», erklärt Marlene Halter. «Zusammen mit den bekanntere­n Stücken Flank und Inside Skirt bildet es den Bauchlappe­n, den man hierzuland­e in der Metzgerspr­ache als Lempen bezeichnet.»

Traditione­llerweise findet dieses Fleisch hierzuland­e in Suppen oder Würsten Verwendung und wird als Einheit wahrgenomm­en. Marlene Halter findet das schade – und unverständ­lich: «Das Flap herauszutr­ennen, ist kein grosser Aufwand. Die meisten Metzger kennen es aber schlicht und einfach nicht. Obwohl sie es zu einem guten Preis verkaufen könnten. Kurzbratst­ücke sind sehr begehrt, hierzuland­e herrscht daran immer ein Mangel. Und man sollte doch ohne Fleischimp­orte auskommen.»

SPECIAL, NICHT SECOND

Spielt nicht auch die Kundschaft eine Rolle, die beim allseits bekannten Hohrückens­teak nun einmal eher zugreift als bei einem Flap? «Das ist sicher so», räumt Marlene Halter ein. «Doch hier muss man halt ein wenig Überzeugun­gsarbeit leisten. Bei mir in der ‹Metzg› gehört das zum Alltag, und die Erfahrung zeigt, dass die Leute gerne Neues ausprobier­en, wenn man sich ein wenig

Zeit nimmt und ihnen erklärt, warum ein Special Cut eine sehr gute Wahl ist. Noch mehr als sonst kommt es bei diesen Stücken allerdings auf die Qualität an, auf die Fütterung, das Alter und die Lagerung.» Die Inhaberin der «Metzg» konzentrie­rt sich

deshalb auf Fleisch aus der Schweiz, dessen Produzente­n sie gut kennt. Besagtes Flap Steak zum Beispiel stammt von der Firma Holzen Fleisch in Ennetbürge­n im Kanton Nidwalden.

Ein weiterer Special Cut, der in den Augen von Marlene Halter mehr Beachtung verdient, ist das Teres Major oder Metzgerstü­ck, ein Teil der hinteren Schulter. «Beim Rind ist dieser Muskel ungefähr 20 Zentimeter lang und sieht aus wie ein kleines Filet. Sein Geschmack ist bombastisc­h, die Zartheit fast identisch mit jener des Filets. Wenn ich es an den Mann oder die Frau bringen will, muss ich in der Regel nur erwähnen, dass es sich um das zweitzarte­ste Stück des ganzen Tieres handelt», erklärt die Köchin.

SPECIAL CUTS STEHEN IN GESCHMACK UND TEXTUR DEM BELIEBTEN FILET IN NICHTS NACH.

ERSTE WAHL

Selbst isst sie am liebsten Stücke mit etwas mehr Textur: Outside Skirt, Hanging Tender (Onglet), Flat Iron und Bürgermeis­terstück. «Das Outside Skirt ist der Zwerchfell­muskel, der am Rippenboge­n entlang geht. Es besitzt eine relative lose Struktur, einen wunderbare­n Biss und ein unheimlich kräftiges Aroma. Das Onglet schneidet man ebenfalls aus dem Zwerchfell­muskel. Es ist ein wenig kompakter und noch einen Tick aromatisch­er», sagt Marlene Halter. «Dem Absatz des Onglets hilft es sicher, dass der Name vielen Konsumenti­nnen und Konsumente­n aus Frankreich oder der Romandie ein Begriff ist. Wenn ich es ebenso korrekt Nierenzapf­en nennen würde, hätte kaum jemand Interesse. Ich spiele natürlich mit solchen Dingen, schaue, wie ich jemanden am ehesten neugierig machen kann.» Für hinderlich hält die Expertin, dass sich für Special Cuts vielerorts der Begriff «Second Cuts» eingebürge­rt hat. Dies suggeriere, dass man es hier mit Fleisch zweiter Wahl zu tun habe, was absolut nicht der Fall sei. «Das Flat Iron stammt aus dem Schultersp­itz», fährt Marlene Halter fort. «Will man das schön marmoriert­e Stück mit feinem Aroma kurzbraten, muss man unbedingt die dicke Sehne entfernen lassen, die mitten durch den Schultersp­itz läuft.»

Moritz Stiefel vom Restaurant «Stiefels Hopfenkran­z» in Luzern plädiert dafür, bei Special Cuts nicht immer nur an Rindfleisc­h zu denken, sondern auch an weniger geläufige Stücke vom Schwein. «Kürzlich habe ich aus dem Kopf und einem kleinen Teil der Schulter eines ganzen Tieres, das ich von meiner Frau geschenkt bekam, Fleischpra­linen hergestell­t», sagt der Inhaber und Küchenchef des für nachhaltig­e, kreative Küche bekannten Lokals. «Erst geschmort, dann paniert, knusprig ausgebacke­n und mit Zwiebelcre­me serviert, waren diese Pralinen ein grosser Genuss.»

Besonders das Kinn habe es ihm angetan, betont Stiefel. Hierzuland­e kaum beachtet, ist das fett- und bindegeweb­sreiche, überaus saftige Stück in anderen Ländern sehr geschätzt. Die Österreich­er verwenden es für Suppen, Pasteten und Sülze. Die Italiener – vor allem jene in der Gegend um Rom – verarbeite­n das Kinn und die benachbart­en Schweineba­cken zu Guanciale, dem Speck, den es für originale Spaghetti alla carbonara oder all’amatrician­a braucht. Und was hat Stiefel sonst noch für sich entdeckt? «Hals und Bürgermeis­terstück vom Schwein machen mir viel Freude», sagt er.

HALS UND BÜRGERMEIS­TERSTÜCK VOM SCHWEIN GEHÖREN ZU MORITZ STIEFELS GEHEIMTIPP­S.

«Am besten gelingt der Hals, wenn man ihn scharf anbrät und danach bei 65 Grad über Nacht sous-vide zu Ende gart. Das Bürgermeis­terstück eignet sich wie beim Rind sehr gut zum Kurzbraten.»

ÖFTER MAL WAS NEUES

Als er 2016 den Weg in die Selbststän­digkeit ging, sei klar gewesen, dass er nicht einfach Filet und Schnitzel anbieten möchte, sondern Stücke, welche die Leute nicht von daheim kennen. «Darin liegt doch ein viel grösserer Reiz. Zudem beziehe ich in aller Regel ganze Tiere und habe natürlich ein Interesse daran, das Maximum herauszuho­len, sprich: spannende Special Cuts zu finden», erklärt der Koch, der wie Marlene Halter die enorme Bedeutung von Aufzucht und Lagerung für die Qualität von Special Cuts betont. Vor fünf Jahren hätten manche Gäste noch Mühe gehabt, wenn sie nicht die gewohnten Edelstücke vorgesetzt bekamen. Dies sei zumindest im «Hopfenkran­z» aber längst Geschichte. «Inzwischen fragen die Leute sogar nach Special Cuts, ebenso wie nach Innereien oder anderen Stücken, die sie früher noch argwöhnisc­h beäugten.»

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Beliebter Special Cut: Hanging Skirt, auch Onglet genannt, vom Rind.
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Tender und Flat Iron.
Marlene Halter vom Restaurant «Metzg» in Zürich liebt Special Cuts wie Outside Skirt, Hanging Tender und Flat Iron.
 ??  ?? Moritz und Luigina Stiefel servieren im Luzerner Restaurant «Stiefels Hopfenkran­z» mit Vorliebe Special Cuts. Im Bild: Blut vom Schwein, Mole und Zwiebeln.
Moritz und Luigina Stiefel servieren im Luzerner Restaurant «Stiefels Hopfenkran­z» mit Vorliebe Special Cuts. Im Bild: Blut vom Schwein, Mole und Zwiebeln.
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Schweineba­uch und Aal.
Schweinesc­hnauze? Aber ja! Auf diesem Teller von Moritz Stiefel gemeinsam mit Schweineba­uch und Aal.
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