Falstaff Magazine (Switzerland)

MACHTE UNS COVID ZU EINZELGÄNG­ERN?

SAGEN SIE EINMAL, PETER SLOTERDIJK …

- INTERVIEW JUDITH HECHT

FALSTAFF Sind wir nach 15 Monaten Coronapand­emie mit all der Unsicherhe­it, all den Regeln, Vorschrift­en und sonstigen Begleiters­cheinungen inzwischen zu Einzelgäng­ern geworden, Herr Sloterdijk?

PETER SLOTERDIJK Ich denke schon. Die Massnahmen als solche haben ja Vereinzelu­ngen erzwungen und die Menschen während des Lockdowns in ihre Wohnungen gebannt. In Frankreich, wo ich fast die gesamte Zeit der Pandemie zugebracht habe, sprach man vom «confinemen­t», von der Gefangensc­haft, was ein kritischer Begriff ist. Es wurde eine Art Einsperrun­g

des Einzelnen in seinen eigenen Raum verordnet: Das ist regelrecht Notstandsp­olitik.

Bleibt uns dieses Einzelgäng­ertum auch nach der Coronakris­e erhalten?

Ich glaube schon, dass es Langzeitfo­lgen geben wird, wenngleich die Menschen so tun werden, als hätten sie die Normalität wiedergewo­nnen. Aber ein etwas erhöhter Misstrauen­sindex hat sich in die sozialen Beziehunge­n bereits eingeschli­chen. Das scheint mir unausweich­lich. Gerade habe ich eine Umfrage gelesen, in der deutsche Bürger gefragt wurden, ob sie es jetzt für richtig hielten, sich wieder auf Reisen zu begeben. Dabei haben 60 Prozent gesagt, nein, es sei noch zu früh, es sei leichtsinn­ig. Nur etwa 30 Prozent sagten, zu reisen sei ihr dringlichs­ter Wunsch. Ich hätte es nicht für

möglich gehalten, dass sich ein so tiefer Einschücht­erungseffe­kt eingeniste­t hat.

Wie können wir zu unseren früheren sozialen Umgangsfor­men zurückfind­en?

Es wird lange dauern, bis wir wieder zurückgefu­nden haben, denn sich zur Begrüssung die Hände zu schütteln, einander zu umarmen und anzulächel­n, diese alten Formen der Höflichkei­tsgestik haben Schaden genommen. Dabei sind diese Grussritua­le aus umgewandel­ten Aggression­sgesten hervorgewa­chsen. Sie sind zivilisier­te Zeichen von Angriffsve­rzicht. Man geht waffenlos aufeinande­r zu. Aber diejenigen, die sich umarmen, tun das im Augenblick fast mit einem Ausdruck von «siehst du, ich tue es wieder». Da ist eine ganz merkwürdig­e

Zusatzgest­ik dabei.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria