Falstaff Magazine (Switzerland)
«ELEGANT IN DIE ZUKUNFT»
Anne Krebiehl, MW und Chefredakteurin von Falstaff International, wünscht sich in Zeiten des Klimawandels von den Winzern, dass diese bei aller Kraft nicht Frische und Finesse vergessen.
WEINSTILE IM WANDEL DER ZEITEN
Kraft, Körper, Wucht, Eiche, Alkohol: Im ausgehenden 20. Jahrhundert und auch noch im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts galten diese Attribute als unabdingbar für «grosse» Weine. Mehr war mehr und wurde auch so bewertet. Es regnete regelrecht Punkte eines gewissen amerikanischen Kritikers für solche Weine. Ja, es war Robert Parkers Einfluss, der diese Mode mit seiner Vorliebe für runde, füllige Weine eingeläutet hatte. Auf einmal war reife, volle, pralle Frucht alles – und das bedeutete oft auch Überreife. Diese neue Reife traf im Keller auch auf ganz neue Möglichkeiten: Mit Umkehr-Osmose wurden Weine konzentriert, mit Mikro-Oxigenation ungestüme, kräftig extrahierte Tannine geschmeidig gemacht. Manchmal waren gar 100 Prozent neue Eichenfässer nicht genug – nein, man verlegte den Wein ein zweites Mal in neue Gebinde, um mit 200 Prozent neuer Eiche aufzutrumpfen. Es ist nicht zu leugnen, dass dieser Ausbau – in gesundem Masse natürlich – manchen Stilen entgegenkommt. Er steht Weinen mit naturgegebener Grosszügigkeit sogar ausgezeichnet. Ein australischer Shiraz aus dem Barossa, ein kalifornischer Zinfandel, ein apulischer Primitivo werden so ihrer eigentlichen Statur gerecht. Aber auch graziler Pinot Noir musste diese Modewelle durchleiden – und dann schlug das Pendel zurück. In Kalifornien kam es von 2011 bis 2016 sogar zu einer Gegenbewegung namens «In Pursuit of Balance». Auch Weissweine entgingen der Mode nicht. Die ersten Grossen Gewächse des VDP meinten noch, sich nur durch Kraft etablieren zu können – zeitgleich konnten sich die damals noch wuchtigen Spätburgunder der Ahr als erste deutsche Pinots international behaupten. Meist fielen diesem Stil jedoch Attribute wie Eleganz, Frische, Spannung und Nuance zum Opfer.
Um den Pendelschlag zur Reife hin zu verstehen, müssen wir weiter zurückschauen. Er entfernte sich nämlich ganz zu Recht von der ehemaligen Unreife: Warum wurden im 20. Jahrhundert gute Jahrgänge so gefeiert? Weil sie selten waren, weil unreifes Lesegut oftmals die Regel war, weil chaptalisiert werden musste, um 12,5 Volumenprozent
zu erreichen. Das war die Regel: Oftmals wurden saure, magere Rotweine klassischer französischer Weinbaugebiete mit nordafrikanischer Fülle abgerundet. In alten Büchern ist von «Hermitaged» Burgundern zu lesen: kümmerlicher Pinot Noir, aufgebessert mit reiferem Wein der etwas weiter südlich gelegenen Rhône. Ja, zu diesen Zeiten galt Burgunder aus diesem Grund als kräftig und Bordeaux als elegant. Das sind die Weine, von denen Sammler heute schwärmen: Weine, die auch mit zahmen 12,5 Prozent wunderbar gereift sind.
Dieser klassisch-elegante Stil geriet nahezu in Vergessenheit, aber man besann sich zurück. Nicht nur als Modebewegung, sondern als Weiterentwicklung. Der Klimawandel lehrt uns, was Typizität eigentlich bedeutet. Heute kämpfen die Winzer nicht mehr um Reife, sondern um Frische. Eleganz ist wieder da, vielschichtige Nuance auch. Kraft und Reife, die Herkunft verdecken, sind passé, Eiche ist zurückgeschraubt, Säure spricht und illuminiert. Lang leben Transparenz und Frische.