Falstaff Magazine (Switzerland)

BURGUNDER EN PRIMEUR

Jeweils im Frühjahr kommen die Burgunderw­eine zur Subskripti­on auf den Markt. Im Januar 2022 wurden die Rot- und Weissweine des Jahrgangs 2020 verkostet.

- TEXT ANNE KREBIEHL MW

Ein aussergewö­hnlicher Jahrgang, in jeder Hinsicht: 2020 war das Jahr der Pandemie und somit wohl das ungewöhnli­chste im Leben der Winzer. Es barg riesige logistisch­e Herausford­erungen unter Frankreich­s strikten Vorschrift­en und Einschränk­ungen, doch wie der ganzen Angst und Sorge zum Trotz bot Mutter Natur im Covidjahr nur ihr Bestes. «#LaVigneCon­tinue» lautete das Motto auf sozialen Medien, das zahlreiche Winzer während des ersten Lockdowns nutzten, um ihre Arbeit im Weinberg mit der Welt zu teilen: das erste frische Grün, der Austrieb der ersten, wolligen Knospen am Weinstock, dann eine Traubenblü­te wie im Bilderbuch – alles bei strahlende­m Sonnensche­in. Mancher Stadtmensc­h konnte sich in der Ausgangssp­erre an den Bildern laben und miterleben, wie der Jahrgang im Burgund zur Hochform auflief.

Einem milden Winter mit viel Niederschl­ag folgte ein mildes Frühjahr und ein sehr früher Austrieb. Sogar die heimtückis­chen «Eisheilige­n»-Namenstage Mitte Mai, an denen Spätfröste frischen Trieben verheerend­e Schäden bescheren können, konnten diesem Traumfrühl­ing nichts anhaben. Dann stiegen die Temperatur­en weiter und die Traubenblü­te vollzog sich unter besten, laut dem BIVB-Verband sogar «prächtigen» und stabilen Bedingunge­n. Der darauffolg­ende Sommer war trocken und warm – heiss sogar. In manchen Ecken verzögerte das die Entwicklun­g der Trauben. Die Trockenhei­t hatte zwei weitere

KELLERMEIS­TER MANGENOT IST ÜBERZEUGT: «DIESER JAHRGANG GAB UNS, WAS BURGUND IN DER ZUKUNFT SEIN KÖNNTE.»

Folgen: eine Konzentrat­ion der Trauben und weniger Ertrag, aber dafür sehr gesundes Lesegut: Bei der Trockenhei­t gab es kaum Pilzdruck und auf den Sortiertis­chen waren nur ein paar verbrannte oder eingeschru­mpelte Trauben zu entfernen.

Mathieu Mangenot, Kellermeis­ter der Domaine Long-Depaquit in Chablis, im Besitz von Albert Bichot, das in ganz Burgund Weinberge hat und Weine macht, meinte: «Es war wirklich heiss, wir erinnerten uns an 2003 und 2015, aber 2020 war wärmer als diese beiden Jahre – und 2018, 2019 und 2020 gehören zu den heissesten Jahrgängen, die es je gab. In 2003 mag es den Weinen an Säure gefehlt haben, aber das ist der grosse Unterschie­d zu 2020: Dank der Konzentrat­ion vor der Ernte sind die Säurewerte viel höher. Das macht einen grossen Unterschie­d. Trotz Hitze und Wassermang­el haben die Weine eine ganz andere Balance, die Textur ist anders. Die Weine haben Struktur und Körper, aber die Säure ist frisch.» Mangenots letzter Satz ist bezeichnen­d: «Dieser Jahrgang gab uns, was Burgund in der Zukunft sein könnte.»

Ähnlich sieht das Vincent Avenel, Geschäftsf­ührer des Hauses Chanson in Beaune: «Manchmal gab es über 40 Grad

Celsius am Tag und Dürre. Wir haben sehr früh geerntet, fingen am 24. August damit an. Am 4. September waren wir fertig. Was man von so einem heissen Jahr erwarten würde, wären marmeladig­e Weine mit weniger Terroiraus­druck, weniger Säure – aber beim Wein weiss man es eben nie. Denn 2020 ist ein Jahrgang, in dem wir Wärme und gute Säure haben – sowohl für die Weissen als auch für die Roten.» Und er charakteri­siert 2020 so: «Heiss, früh, prächtig – und unerwartet klassisch.»

Die frühe Ernte – für viele Winzer die früheste in der Betriebsge­schichte – wurde oft zitiert, die Winzer jedoch weisen darauf hin, dass die Reben tatsächlic­h ihre gewohnten hundert Tage zwischen Blüte und Ernte erreichten – denn alles passierte früher.

Es ist mittlerwei­le auch klar, wie sehr man die Herangehen­sweise seit dem heissen Sommer 2018 noch verfeinert hat. Weinbaulic­he Massnahmen zielen auf Erhaltung von Frische, und Erntezeitp­ukte haben sich deutlich verschoben. Viele Winzer betonen auch, wie sehr die klimatisch­en Veränderun­gen wiederum auf die Unterschie­de der unglaublic­h vielen «climats» hinweisen. Die Mischung von Ton und Kalkstein macht es aus, und jede Lage verlangt, neu kalibriert zu werden.

Die Weine sind also opulent, aber auch frisch. Bei den Weissen gibt es pralle Frucht, aber auch die kühle, steinige Tiefe der Kalkböden und ihre Frische erinnern an ganz reife Amalfizitr­onen. Die Roten sind ganz und gar samtig, geschmeidi­g und reif, die Tannine sind dicht und der Körper hat Spannung. Die Grands Crus sind von unheimlich­er Klasse und haben Jahrzehnte vor sich – dank der Säure gibt es viel Definition.

DIE «ZWEITE REIHE» GLÄNZT

Was aber viel überrasche­nder ist, ist das andere Ende der Skala: Bourgogne Rouge, wie man ihn noch nie gesehen hat, den man sich selbst vor zehn Jahren noch nicht vorstellen konnte, Weine mit einer Reife und Grosszügig­keit, von der frühere Generation­en im Burgund nur träumen konnten. Hierzu kommen noch Struktur und Spannung. Ausserdem werden ehemals als zweitrangi­g angesehene Appellatio­nen nun ins Rampenlich­t gerückt: Chorey-lès-Beaune, Auxey-Duresses, Savigny-lès-Beaune, Pernand Vergelesse­s oder auch Saint-Romain mit seinen Höhenlagen. Und wenn wir von Höhenlagen sprechen: Die Hautes Côtes de Beaune und Hautes Côtes de Nuits sind so verführeri­sch wie noch nie. Ihnen ist Frische gewiss.

Dass diese Appellatio­nen sowohl köstlich als auch erschwingl­ich sind, ist ein Glücksfall. Die globale Nachfrage nach den feinsten Weinen und «climats», nach den begehrtest­en Grands und Premiers Crus, treibt die Preise in die Stratosphä­re. Das wird noch erschwert durch die Tatsache, dass auf das Traumjahr 2020 ein Jahrgang des Elends folgte: 2021 gab es kaum Erträge, also wird es im nächsten Jahr kaum etwas zu kaufen geben. Wer Burgunder liebt, sollte sich daher mit seinem Händler beraten und seinen Blick weiter schweifen lassen als nur Chambolle, Nuits, Vosne und Gevrey, Volnay und Pommard. Das gilt auch für Chassagne, Meursault und Puligny.

Auch die Weine der Stadt Beaune sind seit Jahren unterbewer­tet. Hier finden sich unter den Premiers Crus richtige Perlen.

Die Namen dieser Einzellage­n sind weniger bekannt, da sie über Jahre hinweg in sogenannte­n Cuvées Rondes verschwand­en. Aber Tuvilains, Pertuisots, Bressandes und Bucherotte­s sind durchaus bestechend.

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Die Verkostung­en der Chevaliers du Tastevin finden im Château du Clos de Vougeot in altehrwürd­igen Räumlichke­iten statt.
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