Falstaff Magazine (Switzerland)

DER BURGUNDER-KAUF HAT EIGENE GESETZE

Burgunder zu verkaufen heisst für Winzer und Händler sehr oft, Burgunder zu verteilen. Denn die besten Flaschen sind so rar und begehrt, dass zuweilen sogar die Gesetze der Marktwirts­chaft ins Wanken geraten.

- TEXT ULRICH SAUTTER

Angebot und Nachfrage regeln den Preis – so weit die Theorie. In der Tat findet dieser Lehrsatz auch auf dem so genannten Sekundärma­rkt seine Bestätigun­g, also auf Weinauktio­nen oder beim Kauf namhafter Burgunder aus den Beständen von Wein-Brokern. Möchte man hingegen direkt beim Winzer oder auch beim spezialisi­erten Weinhandel Burgunder kaufen, dann stellt sich die Situation deutlich komplizier­ter dar.

W WER BEI COCHE DURY ALS LANGJÄHRIG­ER KUNDE EINE ALLOKATION MEURSAULT BEKOMMT, BEZAHLT WENIGER ALS 100 CHF DIE FLASCHE.

ZAUBERWORT ALLOKATION

Reist man über die Winzerdörf­er der Côte d’Or, kann man an den Türen der selbstverm­arktenden Weingüter zwei Typen von Schildern begegnen. Der eine Typ verkündet: «pas de visites» – wir empfangen keinen Besuch. Auf dem Schild des zweiten Typs steht: «Nous n’acceptons pas des nouveaux clients» – wir nehmen keine neuen Kunden auf. Während das Schild des ersten Typs vor allem von der Überforder­ung eines Familienbe­triebs kündet, an dessen Haustür Privatkund­en und Händler aus aller Welt vorspreche­n – oft genug unangemeld­et –, zielt die zweite Form der Mitteilung auf die bereits etwas kenntnisre­ichere Klientel. Denn den grössten Schatz, den ein privater Weinkenner, ein Gastronom oder ein Händler in Burgund heben kann, ist es, einen Platz auf der Kundenlist­e eines Weinguts ergattert zu haben.

Wer beispielsw­eise seit Jahrzehnte­n auf der Kundenlist­e bei Coche Dury steht, bekommt kraft dieses Status jedes Jahr eine bestimmte Anzahl von Flaschen angeboten. Die Dauer der Handelsbez­iehung und die Wichtigkei­t des Kunden für den Winzer bestimmen die Grösse seiner «Allokation»: Also ob er in einem gegebenen Jahr zwei, sechs, zwölf oder sogar noch mehr Flaschen Meursault angeboten bekommt, wie viele Premiers Crus er dazu bekommen kann und ob vielleicht sogar ein paar Flaschen vom Grand Cru Corton Charlemagn­e dabei sind. Durch das Allokation­ssystem verzichtet das Weingut auf Gewinnmaxi­mierung, dafür hat es den Vorteil, Sicherheit zu geben und den Vermarktun­gsaufwand zu

minimieren. Kunden, die ihre Allokation nicht abrufen, werden einfach von einem Nachrücker auf der Warteliste ersetzt. Bei Weingütern wie Coche Dury dürfte es zudem ausgesproc­hen selten sein, dass jemand seine Allokation verfallen lässt: Denn eine Flasche Meursault wird ab Weingut mit nicht einmal hundert Franken verrechnet. Sobald diese Flasche die Türschwell­e des Weinguts verlassen hat, hat sich ihr Wert bereits verzehnfac­ht.

ES MENSCHELT

Wie viel Wein jemand ab Weingut bekommt, hat in extremem Mass auch mit Sympathie zu tun. Köche, bei denen der Winzer selbst gerne essen geht, bekommen selbstrede­nd eine grössere Allokation als solche, die er nur aus dem Telefonbuc­h kennt. Ebenso geht es Privatleut­en: Hat der Winzer jemanden (meist auf Empfehlung) einmal im Keller empfangen und ihn als höflichen und sachkundig­en Zeitgenoss­en erlebt, finden sich manchmal auch von ausverkauf­ten Weinen noch ein paar Flaschen. Auch mit Fachhändle­rn muss die Chemie stimmen, damit sie mehr als nur ein Mini-Kontingent bekommen.

Beim Burgunderk­auf im Fachhandel trifft man überdies oft auf eine weitere Besonderhe­it: das Kombinatio­nsgeschäft. Da kein Händler von einem Weingut nur die

Perlen kaufen und die «kleineren» Weine ablehnen kann, geben so gut wie alle Burgund-Spezialist­en in Frankreich und anderswo diese Form der Koppelung an ihre Kunden weiter: Pro gewünschte­r Flasche Grand Cru muss der Kunde auch in gewissem Umfang Hautes Côtes, Bourgogne générique oder andere Basisquali­täten mitkaufen.

Diese Praxis führt oft zu ähnlich grosser Verärgerun­g wie das «Pas de visites»-Schild an der Haustüre des Winzers. Doch man sollte sich in beiden Fällen vor Augen führen, dass dasselbe Ethos, das die Erzeugung solch grossartig­er Weine erst ermöglicht, auch das Zeitbudget der Winzer und ihre Beziehung zu den Kunden bestimmt. Sich mit der Gerechtigk­eit der Verteilung zu beschäftig­en, ist in Burgund ein untrennbar­er Teil des Winzerberu­fs.

DASSELBE ETHOS, DAS SOLCH GROSSE WEINE ERMÖGLICHT, BESTIMMT AUCH DIE BEZIEHUNG DER WINZER ZU IHREN KUNDEN.

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In Burgund ist vieles eine Frage der Verfügbark­eit. Der Preis wird durch die enorme Nachfrage in die Höhe getrieben.
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(Mitte) die Weine der Domaine de la Romanée vom Fass probieren zu dürfen.
Der Traum aller Burgunder-Fans: Mit Aubert de Villaine (Mitte) die Weine der Domaine de la Romanée vom Fass probieren zu dürfen.

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