Falstaff Magazine (Switzerland)

«KOCHE’ ISCH G’SCHÄFT»

Der Autor stammt aus einer Gastwirtsf­amilie. Statt für die Übernahme des elterliche­n Betriebs entschied er sich jedoch für eine Journalist­enlaufbahn. Seine Liebe zur authentisc­hen Wirtshausk­üche seiner Kindheit ist dennoch ungebroche­n – und sogar anstec

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Meine Grossmutte­r pflegte zu sagen «Koche’ isch G’schäft». Für NichtSchwa­ben: Das bedeutet wörtlich übersetzt «Kochen ist Arbeit» – wofür meine Grossmutte­r zu Lebzeiten ein tadelloses Beispiel abgab. Sie führte einen Gasthof im Nordschwar­zwald. Auf der Gefühlsebe­ne meinte sie mit ihrem Spruch aber vor allen Dingen eins: Kochen ist eine Heidenarbe­it, die stresst, Kraft kostet und aufs Kreuz geht – sofern frisch gekocht wird.

Klar, heutzutage können Betriebe oft gar nicht mehr anders, als mit Fertigware zu wirtschaft­en, das will ich nicht bestreiten. Umso mehr Bedeutung gewinnen diejenigen, die auch in widrigen Zeiten das Kochhandwe­rk hochhalten und auf Frische setzen. Erst neulich hatte ich im «Weinhaus Neuner» in München einen sensatione­ll mürben Tafelspitz mit Blattspina­t, Salzkartof­feln und Kren. Heidenarbe­it. Oder im «Heinrich» bei Hannover eine herausrage­nde knusprige Bauernente mit ApfelRotkr­aut, Kartoffelk­nödel und Beifussjus. Sie ahnen es: Heidenarbe­it. Oder im «Gasthof zum Bad» bei Freudensta­dt im Schwarzwal­d die beste Flädlesupp­e meines Lebens, danach einen grundsolid­en Sauerbrate­n

mit hauchfeine­n Spätzle, handgescha­bt vom Brett – da greifen selbst engagierte Köche und Köchinnen lieber zur Presse, weil – ich weiss, ich wiederhole mich – Heidenarbe­it.

In letzterem Lokal sieht man auch hin und wieder Köche und Köchinnen aus dem angrenzend­en Baiersbron­ner Luxushabit­at über einem Teller Leberknöde­l in Sinnkrisen verfallen. Wirtshause­ssen ist im Genussspek­trum simpler gestrickt als die «Kompositio­nen» und «Trilogien» der Sterneküch­e, aber deswegen oft zugänglich­er und eingängige­r. Wirtshause­ssen will vom Gast auch nicht so viel und holt die Leute mehr bei den Geschmacks­bildern ihrer Kindheit ab. Oder es wird genau mit dieser Erwartung gespielt: etwa, wenn Alexander Koblinger in «Döllerers Wirtshaus» bei Salzburg zur gebratenen Blutwurst mit knusprigem Kartoffels­troh einen Sake einschenkt. Oder wenn bei Oliver Friedrich im «Alten Torkel» in Graubünden ein regionaler Pinot-Noir-Süsswein über Zwetschken­röster spielerisc­h zum Kaiserschm­arren findet.

Hausgeräuc­herter Speck auf der «Enzianhütt­e» in Zell am See, Capuns in der «Ustria Stiva Grischuna» in Sagogn oder Schnitzel im «Gasthaus Jennerwein»

am Tegernsee: Niemals in den letzten Jahren war der Wunsch nach festen Genusswert­en höher als in unseren aktuell so unruhigen Zeiten. In einem guten Wirtshaus ist es auch herzlich egal, ob man Stammgast ist. Ein gutes Wirtshaus verlässt man immer satt, manchmal mit leicht einem an der Krone, die einem der aufmerksam­e Service aufgesetzt hat, und nicht zuletzt mit dem Gefühl, ein willkommen­er Gast gewesen zu sein. Hand aufs Herz: Wo fühlt man sich mehr zu Hause unter Fremden als im guten Wirtshaus?

Die Gastgeber verleihen einem Betrieb eben erst die Persönlich­keit, stecken ihr ganzes Herzblut in die Sache. Manchmal auf Kosten der eigenen Gesundheit, der

Freizeit und des Familienle­bens. Gerade in Wirtshäuse­rn, wo oft keine Armada an Fachkräfte­n hinter dem Herd steht, wird die ganze Familie in den Betrieb involviert. Die Kinder tragen Getränke weg, die Oma schnippelt den Kartoffels­alat. Trotzdem wird frisch und gut gekocht, auch weil diese Tradition oft über Generation­en gepflegt wird. Abstriche in der Qualität werden wie ein persönlich­es Versagen empfunden. An all das sollte man vielleicht denken, wenn man in einem Wirtshaus sitzt und da ein bisschen wenig Pfeffer oder ein bisschen viel Salz am Essen ist: Man muss auch den Aufwand wertschätz­en.

Frische Küche ist eben anfälliger für Fehler als Fertigpaps, schmeckt auch nicht jeden Tag gleich. So ist das eben in echten Wirtshäuse­rn. Was ist die Alternativ­e?

Doch sicher nicht diese «Potemkinsc­hen Wirtsstube­n«, die es mittlerwei­le in jeder Stadt gibt, diese modernen Fertigware­nChamäleon­s, die sich vor den Kulissen in warmes Holz kleiden, aber hinter den Kulissen die Plastikpac­kungen aufreissen. Und alles, was das gutbürgerl­iche Geniesserh­erz begehrt, aus der industriel­len Massenprod­uktion beziehen: Grundsosse­n. Rouladen. Tiefkühlsp­iegeleier. Ochsenbäck­chenKartof­felpüreeBa­usätze, «Instagramm­able Fingerfood» – nennt sich neckisch «High Convenienc­e». Ist das der Genuss, nach dem wir streben sollten?

Ich wuchs in einem kleinen Hotel im «Sternedorf» Baiersbron­n auf, nein, nicht in der «Traube Tonbach», auch wenn mein Nachname es vielleicht vermuten lässt. In einem unserer Gasträume hing ein Gemälde, auf dem eine Kutsche mit Reisenden abgebildet war, die in der Dunkelheit vor einem hell erleuchtet­en Wirtshaus vorfährt. Die Wirtin schaut zu einem Fenster heraus und winkt. Das steht für mich sinnbildli­ch für meine Vorstellun­g eines Wirtshause­s. Hell erleuchtet­e Fenster, herzerwärm­ende Geselligke­it, frische Heimatküch­e – und ja, gut, Romantikbr­ille runter, auch ein verfressen­es, lebenshung­riges Ich.

Unser Hotel haben wir schon vor 20 Jahren verkauft, war mir zu viel «G’schäft», aber das Bild habe ich mitgenomme­n.

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WIRTSHAUSK­ÜCHE IST ANFÄLLIGER FÜR FEHLER ALS FERTIGPAPS. SIE SCHMECKT AUCH NICHT JEDEN TAG GLEICH.

HANNES FINKBEINER

ist ausgebilde­ter Restaurant­fachmann, Journalist und Autor mehrerer Kochbücher und Romane.

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