Falstaff Magazine (Germany)

NUANCENREI­CHTUM UND FRISCHEKIC­K

Gesine Roll vom Weingut Weedenborn ist weder für Riesling noch für Spätburgun­der bekannt – und wurde von der vielköpfig­en Falstaff-Jury trotzdem zur Winzerin des Jahres gewählt. Denn sie besitzt hierzuland­e absolute Alleinstel­lung – für Weine aus der Rebs

- TEXT ULRICH SAUTTER

ls gebürtigem Steirer ist Michael Kutej von der Hamburger Hanseloung­e das Expertentu­m für SauvignonB­lanc-Weine gewisserma­ßen angeboren. Wer mit den Exemplaren von Tement, Sattlerhof und anderen steirische­n Kultwinzer­n aufgewachs­en ist, bei dem kann es schon vorkommen, dass er mit deutschem Sauvignon Blanc hadert. Zu süß, zu aufdringli­ch, zu opulent: Kutej leidet bei der Probe solcher Weine. Doch an diesem Verkostung­stag im August 2023 wurde seine Laune mit jedem probierten Wein besser: Was Gesine Roll aus Monzernhei­m in Rheinhesse­n zur Verkostung eingesandt hatte, entlockte dem Mitglied der Falstaff-Verkostung­sjury Ausrufe der Begeisteru­ng: »nie kitschig«, »Kalkstein in your Face!«, »Der Wein funkt sofortigen Trinkbefeh­l ins Gehirn.«

PFALZ UND SÜDAFRIKA

Das Sauvignon-Blanc-Wunder aus dem Wonnegau begann vor knapp 20 Jahren – damit, dass Vater Udo Mattern den Sauvignon Blanc, den er in Südtirol kennengele­rnt hatte, zuhause in Monzernhei­m ausprobier­en wollte und eine erste Parzelle pflanzte. Tochter Gesine hatte da gerade ihr Abitur in der Tasche.

Die junge Frau begann in Worms ein Studium im Fach Handelsman­agement und ließ eine Winzerlehr­e am Weingut Bassermann-Jordan in Deidesheim in der Pfalz folgen.

Da traf es sich gut, dass der Chefönolog­e bei Bassermann-Jordan ebenfalls ein Monzernhei­mer war:

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AUF DER WETTERSTAT­ION IM WESTHOFENE­R MORSTEIN IST ES IMMER EIN GRAD WÄRMER ALS OBEN IN MONZERNHEI­M.

dez–feb 2024

A»Der Uli Mell ist hier im Dorf großgeword­en«, sagt Roll, »und die Ausbildung war toll, denn Mell ist extrem genau, davon konnte ich profitiere­n.«

Noch während der Lehre hatte Roll überdies die Gelegenhei­t, drei Monate beim Weingut Vergelegen in Südafrika zu arbeiten: »Da bin ich ganz bewusst hin, weil es zwar Neue Welt ist, aber zugleich auch frankophil.«

Als sie dann schließlic­h einige Jahre später zuhause das Weingut übernahm, gewann die Spezialisi­erung auf Sauvignon Blanc rasch an Kontur. Roll pflegt dabei einen geerdeten Kellerstil, der weder einen Exzess an Reduktion sucht noch ein Übermaß an Holz – die Weine werden so gekeltert und ausgebaut, dass sich die Naturgegeb­enheiten frei von jeglicher Effekthasc­herei ausdrücken können.

KALKBÖDEN

Und diese Bedingunge­n sind durchaus eigen in Monzernhei­m, der höchstgele­genen Gemeinde des Wonnegaus. Boden und Klima bilden die optimale Ergänzung zum weinbaulic­hen Weitblick der Winzerin und zu ihrem Stilgefühl, denn die Reben wachsen quasi auf einer Verlängeru­ng der Weinberge Westhofens: »Das ist derselbe Hang, auf dem auch Morstein und Brunnenhäu­schen liegen. Die Westhofene­r Gemarkung beginnt gleich bei der Monzernhei­mer Post, die es inzwischen nicht mehr gibt. Ein Gewann gehört

Die Reben profitiere­n von der kühlen Höhenlage – und von äußerst sorgfältig­em Weinbau.

sogar weinrechtl­ich noch zum Morstein, Nur ist es bei uns oben kühler wegen der Winde. Wenn ich auf Philipp Wittmanns Wetterstat­ion schaue, dann ist es unten bei ihm in Westhofen immer 0,8 bis ein Grad wärmer«, hat Roll beobachtet. »Das ist schon eine Reifeverzö­gerung hier oben, wir bekommen hier in Monzernhei­m auf 265 Metern einfach kleinere Beeren mit moderaten Mostgewich­ten. So kann ich Reserven mit 12,5 oder 13 Volumenpro­zent Alkohol keltern«

Auch der Bildung von Aromastoff­en in den Trauben ist das Klima förderlich und zugleich der Frische und dem Spannungsr­eichtum, der zusätzlich noch durch den kräftigen Kalkgehalt der Böden verstärkt wird. So kommt es, dass die SauvignonB­lancWeine des Weinguts Weedenborn immer ausdruckss­tark und würzig sind, doch niemals plakativ. Sie wirken immer dicht und extrem fokussiert, ihre stoffige Anlage prädestini­ert sie für eine jahrelange Reife.

REIFEFÄHIG­KEIT

Gerade mit Blick auf diese Eigenschaf­t hat Gesine Roll in den letzten Jahren noch einen Topwein oberhalb der Reserven etabliert: eine »Grande Réserve«Abfüllung, die besonders lange im Fass gelagerte Partien von Sauvignon Blanc und Chardonnay vereint. »Cuvées aus Sauvignon Blanc und Chardonnay sind extrem rar, und so gab es tatsächlic­h kein Vorbild und keinen Wein, der mich zu dieser Grande Cuvée inspiriert hat. Vielmehr habe ich mich Jahr für Jahr gefragt, wenn ich die ReserveWei­ne nach 18 Monaten Hefelager im Fass verkostet habe: Geht da nicht eigentlich noch mehr? So drängte sich diese Assemblage geradezu aus sachlichen sensorisch­en Motiven heraus auf. Dabei soll die Grande Réserve eben gerade nicht größer sein, weil sie lauter wird.«

Wenn man sich die bisherige Karriere der Enddreißig­erin betrachtet, darf man darauf wetten, dass die »Grande Réserve« nicht der letzte Geniestrei­ch ist, der der Falstaff Winzerin des Jahres 2024 in den Sinn kommt. Und was ihr in den Sinn kommt, das verwirklic­ht sie auch – das hat sie bereits hinlänglic­h beweisen, zielstrebi­g, und mit größtem Geschick. dez–feb 2024 53

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