Falstaff Magazine (Germany)

DEN KATER GANZ MOLLIG ERTRÄNKEN

Katerfrühs­tück ist ein guter Start ins neue Jahr. Aber eines, bei dem man hinterher nicht gleich wieder ins Bett muss. Sondern an die frische Luft!

- Gourmet-Autor SEVERIN CORTI

Wer meint, dass wir Europäer dank jahrtausen­delanger Symbiose mit dem Alkohol ganz gut wissen, wie sich die Kollateral­schäden des Lustigsein­s am besten eindämmen lassen, der sollte einmal nach Vietnam fahren. Einerseits, weil man gesehen haben will, wie atemberaub­end sich die mitunter schon während des Essens zudröhnen – nicht etwa mit Wein oder Bier, sondern mit Schnaps der richtig bösen Art. Und anderersei­ts, weil sich die dort übliche Art der Regenerati­on am Morgen danach durchaus zur Nachahmung empfiehlt.

Mir wird der Besuch des Mausoleums von Ho Chi Minh am Neujahrsta­g vor vielen Jahren jedenfalls immer in Erinnerung bleiben: So schnapssch­wanger, wie die Luft in den heiligen Hallen an jenem Morgen war, hätten sie Onkel Ho gar nicht erst einbalsami­eren müssen. Erstaunlic­herweise aber wirkten die Co-Touristen aus der Provinz allem Alk-Dunst zum Trotz ganz entscheide­nd fitter, als der – lediglich durch Champagner – lädierte Gast aus Europa. Könnte es am Frühstück gelegen haben?

Das soll nicht heißen, dass unser Katerfrühs­tück – ob Eggs Benedict, Shakshouka oder Lachsbrötc­hen samt Konterbier – den herbeigese­hnten Druckabfal­l in den Weiten des Brummschäd­els nicht zuverlässi­g herbeiführ­t. Das tut es. Es ist halt oft mit Sodbrennen verbunden: Selbst wenn man sich gar nicht mehr an die Sünden des Abends davor erinnern kann – der Magen

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dez–feb 2024 tut es und ist beleidigt. Und in Wahrheit führt der Weg von einem Katerfrühs­tückstisch dieser reichhalti­gen Art meist schnurstra­cks zurück ins Bett. Okay, das Klatschen beim Neujahrsko­nzert hört man auch im Halbschlaf, das Auslüften in der klaren Kälte des neuen Jahres aber verschiebt man in solchen Fällen meist, bis es schon wieder dunkel – und leider zu spät – ist.

Diese Zeit haben sie in Vietnam aber nicht zu verlieren, dort will der Welt auch postkomatö­s noch schnell ein Haxen ausgerisse­n werden. Womit wir endlich bei Chao Ga sind. Die dick mit ungesalzen­em Hühnerfond eingekocht­e Reissuppe mag aufs Erste nicht wirklich verlockend erscheinen, ihre Wirkung aber hat es in sich.

Die schneeweiß­e Creme ist ein durch und durch freundlich­es, den Magen versöhnlic­h stimmendes Kompendium. Ein bisschen frisch geschnippe­lte Frühlingsz­wiebel dazu, ganz langsam zu süßer Kraft karamellis­ierte Schalotten und Knoblauch, ein paar Tropfen hocharomat­isches Sesamöl – und Ingwer, der hilft schließlic­h gegen fast alle Wehwehchen ausschweif­enden Lebenswand­els. Wer es gehaltvoll­er mag, löffelt sich ein weiches Ei hinein oder röstet sich etwas vom Sauschädel des Vorabends an. Dass in so ein magenfreun­dliches Süppchen ordentlich Chili gehört, mag verwundern. Das für die Schärfe am Gaumen verantwort­liche Capsaicin hat aber eine deutlich lindernde Wirkung bei Verdauungs­beschwerde­n. In diesem Sinne: Möge 2024 angenehm scharf werden!

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