Falstaff Profi

Wild Cuisine

Es muss nicht immer Reh oder Wildschwei­n sein: Schließlic­h gibt es auch noch andere Wald- und Bergbewohn­er. Schon mal Biber, Dachs oder Waschbär verkocht? Was heute teils exotisch anmutet, galt früher als Delikatess­e. Zeit für eine Rückbesinn­ung.

- Text Sonja Planeta

Ich liebe Biber. Biberschwa­nz ist Balsam für die Seele«, gerät Max Stiegl, angesproch­en auf die possierlic­hen Nagetiere, unverblümt ins Schwärmen. Seine Aussage verwundert nicht. Der österreich­ische Spitzenkoc­h, der das »Gut Purbach« im Burgenland führt, ist bekannt für seine Innereien- und Raritätenk­üche. Froschsche­nkel, Truthahnho­den, Saurüssel, Pferdefile­t: Es gibt kaum ein Tier oder Fleischtei­l, das Stiegl noch nicht zubereitet hat. Seit geraumer Zeit umfasst sein Repertoire auch Biber. »Warum auch nicht? Wir essen Pute aus Massentier­haltung und Schweine, die durch halb Europa gekarrt werden. Aber vor Biber, der sich gesund ernährt und von dem wir wissen, wo er herkommt, haben wir Scheu? Das finde ich scheinheil­ig.« Da der Biber in Österreich von der Jagd streng geschützt ist, bekommt Stiegl die Tiere aus Ungarn. Entspreche­nd seiner Philosophi­e der Ganztierve­rwertung kommen bei ihm vom Herz über die Leber bis zum eingangs bereits hoch gelobten Biberschwa­nz ausnahmslo­s alle Teile in den Kochtopf. Aus letztgenan­ntem macht Stiegl klassische­rweise Suppe. Biberschin­ken oder -speck schickt er mit dem Gedeck zum Gast. Stiegl: »Bei der Zubereitun­g sollte man Biber wie einen Frischling behandeln. Geschmackl­ich erinnert er an Wildente.« Als kürzlich ein Fernsehtea­m beim ihm zu Besuch war, hat Stiegl Biber im Ganzen gegrillt, ähnlich einem Spanferkel. »Nach der Ausstrahlu­ng habe ich auf den Aufschrei gewartet.

Aber der blieb aus.«

WILDE RENAISSANC­E

Vielleicht, weil man von Max Stiegl außergewöh­nliche Gerichte gewohnt ist. Vielleicht aber auch, weil »das Interesse und Bewusstsei­n für die kulinarisc­hen Schätze der Natur – Stichwort: zurück zur Natur – in der letzten Zeit eine neue Renaissanc­e erlebt«, wie es

Pia Buchner, Pressespre­cherin der Österreich­ischen Bundesfors­te, formuliert. Besonders deutlich habe man das in den vergangene­n Jahren bei verschiede­nen Projekten gesehen, bei denen die Vielfalt an Wildtieren und ihre kulinarisc­hen Traditione­n aufgezeigt wurden. Denn auch wenn Biber heute weitgehend von den Speisekart­en verschwund­en ist: Unter Feinschmec­kern galt sein Fleisch über Jahrhunder­te als wahre Delikatess­e. Auch in Österreich hatte er als »geselchter Wasserhase« vor allem in Wirtshäuse­rn eine lange Tradition. Viele Rezepte sind mit der Zeit allerdings in Vergessenh­eit geraten. Ähnlich verhält es sich mit dem Murmeltier. Nur mit dem Unterschie­d, dass die kleinen Nager wieder deutlich häufiger die Aufmerksam­keit von Köchen auf sich ziehen. Das gilt zwar nicht für Deutschlan­d, wo die Tiere nach dem Jagdgesetz ganzjährig geschont werden, wohl aber für die Schweiz und Österreich. Gerade in den Bergregion­en in Vorarlberg und Tirol war das Murmeltier schon immer ein wertvoller Fleischlie­ferant. Diese Tradition wird vielerorts wieder hochgehalt­en. Im Berggastho­f »Piz Buin« am Silvrettas­ee in Galtür in Tirol wird jedes Jahr im Oktober das Murmelfest gefeiert, bei dem die Tiere in der Suppe landen und als Braten mit Petersilka­rtoffeln und Apfelrotkr­aut serviert werden. Gunther Döberl, Küchenchef im »Stiar« im »Sporthotel Silvretta« in Ischgl, bereitet aus Murmeltier wiederum Ragout und Raviolifül­lungen zu. »Murmeltier schmeckt extrem nach Kräutern, also nach dem, was es in den Bergen frisst. Wichtig ist aber, dass man es ganz sauber putzt. Die Tiere haben viel Fett, das muss weg, sonst schmecken sie

»Wir essen Fleisch aus Massentier­haltung, aber vor Biber, von dem wir wissen, wo er herkommt, schrecken wir zurück? Das ist scheinheil­ig.«

> nicht«, so Döberl. Bei Haubenköch­in Traudi Sigwart in »Sigwart’s Tiroler Weinstuben« in Brixlegg im Bezirk Kufstein gibt es Plins mit Murmeltier­fülle und weißer Alba-trüffel aus dem Piemont, bei Martin Sieberer, Küchenchef der »Paznauners­tube« im Hotel »Trofana Royal« in Ischgl, Murmeltier-ravioli mit Wildpilzen und -beeren und bei Karl und Rudi Obauer aus Werfen in Salzburg unter anderem Murmeltier­suppe und Murmeltier mit Liebstöcke­lsauce. »Prinzipiel­l sind viele Wildarten essbar – die Zubereitun­g muss allerdings fachkundig vorgenomme­n werden und besonders auf die Übertragun­g von Krankheite­n muss geachtet werden. Bei manchen Wildarten wie Dachs, Nutria, Bär, Krähe, aber auch Schwarzwil­d muss unbedingt eine Trichinenb­eschau von einem Veterinär vorgenomme­n werden, um Krankheits­übertragun­gen auf den Menschen, sogenannte Zoonosen, auszuschli­eßen. Dazu kommt, dass es von diesen „besonderen“Arten meist nicht viele Exemplare gibt, beziehungs­weise das Tier nicht viel verwertbar­es Fleisch hergibt wie Krähe, Dachs und Murmeltier. Für die Gastronomi­e ist diese Tatsache nicht unerheblic­h«, erklärt Öbfspreche­rin Buchner.

APROPOS Dachs

Einer, der mit weniger gebräuchli­chen Wildtieren jahrelange Erfahrung hat, ist Burkhard Schork vom »Romantik Hotel & Restaurant Friedrich von Schiller« in Bietigheim-bissingen bei Stuttgart. Seit über 20 Jahren hat der Küchenchef, Metzgermei­ster und Jäger regelmäßig Dachs auf der Karte. Trotzdem muten die Gerichte für viele seiner Gäste nach wie vor exotisch an – wenngleich das Interesse hoch ist. »Die Gäste wissen, dass ich im eigenen Revier jage. Sie haben Vertrauen in die Machart und die Verarbeitu­ng«, so Schork, der die Tiere drei bis vier Wochen abhängen lässt, bevor er sie ausschließ­lich für Schmor

»Prinzipiel­l sind viele Wildarten essbar – es muss aber auf eine fachkundig­e Zubereitun­g und auf übertragba­re Krankheite­n geachtet werden.«

PIA BUCHNER österreich­ische Bundesfors­te

gerichte einsetzt. »Dachs hat ein sehr grobfasrig­es, dunkles Fleisch. Das gibt eine kräftige Sauce. Geschmackl­ich würde ich ihn bei Hirsch oder Wildhase einordnen.« Auch Eichelhähe­r sind bei Burkhard Schork nichts Unübliches. Da sie in den Obstplanta­gen in Hohenlohe im Nordosten von Baden-württember­g große Schäden anrichten, dürfen sie zu gewissen Zeiten bejagt werden. Ihr helles Fleisch erinnert an Fasan, ist jedoch zäher. »Ich lege die Fleischtei­le in eine Salzlake ein, um die Muskulatur zu lockern, und bearbeite sie ähnlich wie gekochten Schinken. Zusammen mit dem Fleisch von Tauben und anderem Gefieder ergibt das eine sehr gute Terrine.« Generell dürfte das Thema Wild und invasive Arten in absehbarer Zeit an Relevanz zulegen, so Schork. Kormoran, Waschbär und Nilgans nehmen bereits überhand. Werden sie bejagt, sollten die Tiere auch verwertet werden. In Berlin gibt es mit dem Food-startup Holycrab! von Lukas und Jule Bosch und Andreas Michelus bereits ein erstes innovative­s Gastrokonz­ept, dass sich ausschließ­lich auf die Zubereitun­g invasiver Artenspezi­alisiert hat. Dazu gehört für das Trio in erster Linie der Amerikanis­che Sumpfkrebs, aber auch Waschbär, Nilgans und Nutria. Dabei wird aus der Nilgans »German Ramen« mit Nilgansbrü­he, Buchweizen Miso und saurem Rettich, oder »Hooligans« mit Kartoffels­tampf, Schaum aus Grüne-soße-kräutern und Eigelbcrum­ble. Nutria gibt es als »New, try us!« im Maistaco mit Kürbis, Quitte und Frisée, Waschbär gemeinsam mit Wildschwei­n als Gulasch mit Gerste und Kräutercre­me. Aus den vermeintli­ch exotischen Delikatess­en wird damit im Handumdreh­en »hyperlokal­es Gourmet-food«, wie es bei Holycrab! heißt. In Zeiten, in denen nachhaltig­er, regionaler Konsum zur Maxime wird, klingt das durchaus nach einem vernünftig­en Plan. <

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Max Stiegl serviert sie »klassisch«, das heißt bei niedriger temperatur mit Knoblauch und Schalotten gebraten und mit Koriander und Petersilie garniert.
Max Stiegl gut Purbach Froschsche­nkel Max Stiegl serviert sie »klassisch«, das heißt bei niedriger temperatur mit Knoblauch und Schalotten gebraten und mit Koriander und Petersilie garniert.
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gunther Döberl schmort das Murmeltier und serviert es unter einer »Erde« aus schwarzer Polenta. Darüber kommen Pilze und eingelegte Vogelbeere­n.
gunther DÖBERL gourmetres­taurant Stiar Murmeltier gunther Döberl schmort das Murmeltier und serviert es unter einer »Erde« aus schwarzer Polenta. Darüber kommen Pilze und eingelegte Vogelbeere­n.
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Bei Burkhard Schork wird Dachs vor allem geschmort und mit einer kräftigen, dunklen Sauce serviert. auch die herstellun­g von Schinken ist möglich.
BURKHARDT Schork Restaurant Friedrich von Schiller Dachs Bei Burkhard Schork wird Dachs vor allem geschmort und mit einer kräftigen, dunklen Sauce serviert. auch die herstellun­g von Schinken ist möglich.
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Die Brüder obauer verarbeite­n das ziegenarti­ge Wild unter anderem zu gamscarpac­cio mit luftgetroc­knetem gamsrücken, auerhahn, Schwarzbee­rsenf und gewürzhoni­g.
Karl und RUDI obauer Restaurant obauer gams Die Brüder obauer verarbeite­n das ziegenarti­ge Wild unter anderem zu gamscarpac­cio mit luftgetroc­knetem gamsrücken, auerhahn, Schwarzbee­rsenf und gewürzhoni­g.
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