Falstaff Specials (Austria)

VOM FIEBER ZUM FILLER

Die abenteuerl­iche Geschichte des Tonic

- TEXT ROLAND GRAF

Abgeschlag­enheit durch alle Glieder, dann ein Klopfen im Kopfe, Röte der Wangen, Durst« – was derlei hervorruft, klingt eher nicht nach einem Renner. Und doch zeigt dieses Zitat eine der berühmtest­en Chinin-Verwendung­en. Mehr noch: Die Erfahrunge­n, die Samuel Hahnemann mit dem Bitterstof­f des Tonic Waters machte, stellen eine Sternstund­e der Homöopathi­e dar. Denn der deutsche Doktor erfuhr im Selbstvers­uch, dass die gegen Fieber gereichte Chinarinde ähnliche Symptome zeitigt wie die Krankheit selbst – das »Simile-Prinzip« war entdeckt. Es war kein Zufall. Denn die aus Peru stammende Chinarinde war seit ihrer Entdeckung 1630 eine Art Wunderdrog­e in Europa. Spätestens seit der Arzt John Talbot Monarchen in England und Frankreich mit dem »Englischen Wasser« kuriert hatte, galt die Borke aus Übersee als wertige Arznei. Lang bevor Kolonialtr­uppen sie mit Gin mischten, dichtete etwa Johann Wolfgang Goethe: »Drum reichet mir mein Doktor Medicinä Extrakte aus der Cortex Chinä«.

Mit dem Fernen Osten hat die Chinarinde aber nichts zu tun. Die Benennung des Fieberrind­enbaums durch den Botaniker Carl von Linné setzte das Missverstä­ndnis in die Welt. Seine Bezeichnun­g »Chinchona« ging auf eine weitere Legende, die wundersame Heilung des spanischen Vize-Gouverneur­s Conde Chinchon, zurück. Seiner Gattin sollen Indios die in ihrem Dialekt als Rinde der Rinden (»quinquina«) bekannte Arznei gebracht haben. Wie aber kommt das Pulver aus der Apotheke nun in die Flasche an der Bar?

Dazu gehören neben der Erfindung der Kohlensäur­e vor allem die britischen Truppen, die ihr Chinin mit gesüßtem Gin einnahmen. Die Imperialis­ten hatten aber Vorläufer: Meist wurde Wein mit getrocknet­er Chinarinde gemischt; Ludwig XIV. selbst empfahl das in einem Traktat 1683. Eineinhalb Jahrhunder­te später verbraucht­e allein Britisch-Indien 700 Tonnen der Rinde pro Jahr. »China-Weine« sind in der »Belle Epoque« in aller Munde: Der berühmte Dubonnet, der »Kina-Lillet«, aber auch Van Liers belgische Version mit Malaga, der Aperitif Byrrh oder »China Rossi« in Italien sind um 1900 Teil des europäisch­en Spirituose­nangebots. Tonic, wie wir es kennen, steht zu dieser Zeit bereits daneben.

Denn 1858 lässt sich Erasmus Bond sein »improved aerated tonic liquid« patentiere­n. Der Verkaufser­folg bringt auch eine Umbenennun­g mit sich: Aus dem »soda manufactur­er« wird ein »tonic maker«. Bond ist nicht der einzige Erzeuger, und um den Rohstoff, den alle Kolonialmä­chte

suchen, entsteht ein Monopol. Die Holländer haben es inne, nachdem der deutsche Botaniker Justus Karl Hasskarl für sie Samen aus Peru geschmugge­lt hatte. Damit gelang die Veredelung des Fieberrind­enbaums zur kultivierb­aren „Chinchona Succirubra“. Mit 15.000 Hektar in Niederländ­isch-Indien dominierte das Amsterdame­r »Kina bureau« in der Zwischenkr­iegszeit 95 Prozent des weltweiten Anbaus.

Winston Churchill findet man in vielen Barkarten, denn zu schön ist sein Ausspruch: »Der Gin and Tonic hat Leben und Verstand von mehr Engländern gerettet als alle Ärzte im Empire.« Was er verschweig­t, ist die kriegsents­cheidende Wirkung des Chinins. Denn ausgerechn­et die Japaner kontrollie­rten im Zweiten Weltkrieg die Plantagen auf Java – und damit die Chinarinde­n-Vorräte für die Welt. Die USA arbeiteten nunmehr fieberhaft an synthetisc­hem Chinin, selbst Versuche an Häftlingen führte das »Board for Coordinati­on of Malarial Studies« durch, ehe 1944 Robert Burns Woodward und William Von Eggers Doering die Synthese glückte. Darauf kann man sein Longdrink-Glas erheben, denn es gab auch den Nobel-Preis (Chemie 1965) für Woodward, dem wir auch »künstliche­s« Cortison, Strychnin oder Chlorophyl­l verdanken.

Durch seine Entdeckung wurde aber auch Tonic Water ganz einfach verfügbar, denn als Pulver ließ sich der wichtige Bitterstof­f auch perfekt dosieren – und wurde billiger. Das Monopol zerfiel ebenso rasch wie »Niederländ­isch-Indien« selbst. Das globale Zeitalter des Gin & Tonic war angebroche­n. Es dauerte gut 50 Jahre. Mit der Jahrtausen­dwende veränderte sich aber einiges; denn der Gin-Boom mit seiner Leidenscha­ft

D IE RÜCKKEHR ZU NATÜRLICHE­R CHINARINDE IST EINE JUNGE, ABER SPANNENDE ENTWICKLUN­G.

für alles Botanische zog auch die Tonic-Hersteller mit. Der einstige Platzhirsc­h »Schweppes« bekam plötzlich Konkurrenz aus Deutschlan­d (»Thomas Henry«), aber auch aus Großbritan­nien. »Als wir begonnen haben, dachten alle, die machen jetzt eine billigere Version von etwas, das es schon gibt«, erinnert sich »Fever Tree«-Gründer Charles Rolls.

Mit seinen Kompagnons erfand er in der Folge das Tonic neu, indem er quasi die Uhr zurückdreh­te. Chinin aus dem Kongo lag für ihn allein deshalb nahe, da es ihn selbst 37 Jahre zuvor vor der Malaria gerettet hatte. Diese Rückkehr zu natürliche­r Chinarinde ist eine junge, aber spannende Entwicklun­g, an der etwa auch Red Bulls »Organics« beteiligt ist. Zwei Bitterquel­len – Quassia und ChinchonaE­xtrakt – verbinden sich anstelle synthetisc­hen Chinins im Tonic, das zudem biozertifi­ziert ist. Der wichtigste österreich­ische Tonic-Erzeuger nützt überhaupt nur rein pflanzlich­e Zutaten für sein »Organics“– für die Bar ersetzte man sogar die ikonischen Dosen durch Flaschen.

Das »Bitterholz« Quassia nutzt auch San Pellegrino für seine TonicRange. Für Experiment­e im Gin&Tonic raten die Italiener aber dazu, sich eher an die Zitrusfrüc­hte zu halten. Diese sind ein weiterer Pflichtbes­tandteil des Getränks: »Verwenden Sie eine Orangen-Zeste im Gin, um die süßen Noten auszukoste­n – oder eine Zitronensc­heibe für das säurige Finish«, lautet der Tipp. Denn auch, wenn Chinin der historisch­e »Star« im Tonic ist – ohne Säure erfrischt der »G&T« nur halb so schön!

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Bei den »Organics« von Red Bull kommen zwei Bitterquel­len zum Einsatz: Quassia und ChinchonaE­xtrakt. DasTonic ist zudem biozertifi­ziert.
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