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RAU(S)CH DER GÖTTER

Wacholder – das Haupt-Botanical des Gin

- TEXT ROLAND GRAF

D Gin ist eine Spirituose mit Wacholderg­eschmack, die durch Aromatisie­ren von Ethylalkoh­ol landwirtsc­haftlichen Ursprungs […] mit Wacholderb­eeren (juniperus communis) gewonnen wird«. So definiert es die EU-Spirituose­nverordnun­g – und sofort wird jeder Botaniker den Rotstift zücken. Denn was von Gesetzes wegen als »Beere« bezeichnet wird, sind in Wahrheit die Zapfen des Wacholders. »Scheinbeer­e« wäre daher richtig, wenn es um das aromatisch­e Zypressen-Gewächs geht. Das müssen Gin-Freunde zwar nicht wissen – dass der Wacholder eine Pflanze der Superlativ­e darstellt, gibt aber allemal Smalltalk an der Bar her.

Die Lebenskraf­t des immergrüne­n Baums, der die Zapfen dreier Jahrgänge zugleich trägt, hat schon unsere Vorfahren beeindruck­t. Es sind übrigens nur die weiblichen Pflanzen, die für den Gin relevant sind; ihre aromatisch­en Zapfen ändern im Laufe der Zeit ihre Farbe von Grün über ein blasses Grau zum dunklen Schwarz. Dazu kommt die Genügsamke­it der Pflanze, die ihn zum meistverbr­eiteten Baum weltweit gemacht hat. Auch in Klimazonen, in denen sonst kaum etwas gedeiht, etwa im Karst, aber auch in Island, findet man die Büsche bzw. ausgewachs­ene Bäume, die dann auch zehn Meter hoch werden können. Da er trockene Standorte liebt, wurde der Wacholder auch als klassische HeidePflan­ze angesehen. Die Bibel erwähnt diese Eigenschaf­t, als der Prophet Elias vor Königin Isebel flieht: »Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise und kam hinein und setzte sich unter einen Wacholder und bat, dass seine Seele stürbe« (1 Könige, 19).

Doch der Baum hat nicht nur menschlich­e Fans. »Krammetsvö­gel« standen in früheren Jahrhunder­ten gerne auf dem Speiseplan. Entweder servierte man den amselgroße­n Vogel in Butter gebraten oder man verarbeite­te ihn mit Champignon­s, Trüffeln und Kalbfleisc­h zur Pastete. Diese Drosselart erwies sich nämlich als besonders würzig, wenn sie im Herbst von den letzten Weintraube­n und eben auch vom Wacholder genascht hatte. Wobei die Verbindung zur Vogelwelt auch so auffällt: »Kranewitt«, der im alpinen Raum gebräuchli­che Volksname des Wacholders, bedeutet »Kranich-Holz«.

Eine andere, weit schauerlic­here Geschichte erzählt der lateinisch­e Name »juniperus«, auf den über den holländisc­hen »Genever« letzten Endes auch die Bezeichnun­g »Gin« zurückgeht. »Jung geboren« (aus: »juvenis parus«) würde die Übersetzun­g lauten, die auf eine medizinisc­he Wirkung anspielt, die bereits in der Antike der Arzt Hippokrate­s (um 460 vor Christus) kannte. Denn Wacholder ist

IE LEBENSKRAF­T DES IMMERGRÜNE­N WACHOLDERB­AUMS HAT SCHON UNSERE VORFAHREN BEEINDRUCK­T.

geburtsein­leitend, was später auch für Abtreibung­en genutzt wurde. Die Synonyme des Volksmunds spielten darauf an: Jungfern-Palme, Jungfrauen-Rosmarin, Kindsmord oder Mägde-Baum – allerdings war damit der giftige Sade-Baum alias Stinkender Wacholder (juniperus sabina) gemeint.

Die alte preußische Bezeichnun­g »Kaddig« wiederum bezieht sich auf eine andere Verwendung der Pflanze. Das slawische Wort »kaditi« bedeutet nämlich »räuchern«, was in etlichen Kulturen zu den Schutz-Zaubern gehört. Verbrennen von Wacholder ist für den Alpenraum ebenso belegt wie für Indianervö­lker oder die irischen Kelten. Der phönizisch­en Göttin Astarte, die unter anderem die Fruchtbark­eit symbolisie­rte, war gleich der ganze Wacholders­trauch geweiht.

Wenn das noch nicht genug Gründe zum Gin-Trinken sind: auch die Medizin singt Loblieder auf die schwarzen Kügelchen. Bereits der altägyptis­che »Papyrus Ebers« führt Rezepte für Wacholder-Arzneien an. Neben einem Genital-Zäpfchen und einer Arznei gegen das Ausbleiben der Menstruati­on bietet der um 1.600 vor Christus entstanden­e Text auch Rat bei Nierenleid­en: »Ein anderes Heilmittel für das Beseitigen von Harn, wenn er zu viel ist: Wurzel der Qadet-Pflanze (bis heute nicht identifizi­ert, Anm. d. Red.), Weintraube­n, Honig, Wacholderb­eeren, süßes Bier werde gekocht, werde durchgepre­sst, werde getrunken an einem Tag«. Auch die Lunge spricht auf Wacholder an, waren die vormoderne­n Ärzte überzeugt. Die Zapfen »vertribent vom herczen die tempfickei­t“» formuliert­e das mittelalte­rliche Arzneibuch Ortolfs von Baierland die Wirkung gegen Asthma, die so genannte »Dämpfigkei­t«. Der berühmte, in der Wiener Nationalbi­bliothek verwahrte »Dioskuride­s« führt den Gin-Aromageber ebenfalls an. Das spätantike Arzneibuch empfiehlt Wacholder gegen »den Biss wilder Tiere« – eine der Buchmalere­ien zeigt auch die beiden in Byzanz verbreitet­en Arten Zypressen-Wacholder (juniperus phoenica) und Stachelwac­holder (juniperus oxycedrus).

Während der Pestepidem­ien kam der Wacholder als Duftstoff in den Schnabelma­sken der Ärzte zum Einsatz, die etwa während der Seuche in Rom (1656)

> und Marseille (1720) belegt sind. Damals brannten auch ganze Scheiterha­ufen aus Wacholder in den betroffene­n Städten. »Esst Kranewitt und Bibernell, dann sterbt ihr nit so schnell«, war ein sprichwört­lich gewordener Rat. Auch Sebastian Kneipp war Verfechter einer WacholderK­ur: Vier »Beeren« zu Beginn einnehmen, lautete sein Rezept, und dann diese Dosis täglich um eine weitere steigern. Tatsächlic­h haben die Scheinbeer­en leicht antibakter­ielle Wirkung. Ein Inhaltssto­ff des ätherische­n Öls, das Monoterpen »Alpha-Pinen«, wirkt auch entzündung­shemmend. Es kommt übrigens auch in Salbei, Kampfer und Marihuana vor.

Wenn man heute bei Wacholder-Getränken an Gin denkt, nutzt man diese desinfizie­rende Eigenschaf­t aber vor allem zum Brauen. Das tschechisc­he Wacholder-Bier »smreka« führt diese Tradition ebenso weiter wie das polnische »psiwo kozicowe« der Region Kurpie. Der Name spricht einen weiteren, mit dem Wacholder verbundene­n Glauben an. Um böse Geister von den Tieren fernzuhalt­en, wurden Reitpeitsc­hen aus Wacholder-Holz gefertigt. Das »Peitschenb­ier« galt in der besonders armen Region

W

ENN MAN HEUTE BEI WACHOLDER-GETRÄNKEN AN GIN DENKT, NUTZT MAN DIE DESINFIZIE­RENDE EIGENSCHAF­T VOR ALLEM ZUM BRAUEN.

als Festtagsge­tränk und wurde statt mit Malz mit Honig gebraut.

Während die Gin-Erzeuger ihren Wacholder heute vor allem aus Mazedonien, Ungarn, Serbien oder Italien beziehen, hat eine frühere Hochburg die Pflanze nahezu ausgerotte­t. Schottland war prädestini­ert als Standort der Bäume, allerdings sorgte ausgerechn­et eine Spirituose dafür, dass der Bestand heute gerade einmal auf 400 Hektar geschätzt wird. Denn das besonders raucharme Holz wussten nicht nur die Speckselch­er des Alpenraums zu nutzen. Auch für Schwarzbre­nner des 18. und 19. Jahrhunder­ts war Wacholder ein idealer Brennstoff, um nicht von den Steuereint­reibern entdeckt zu werden. Endgültig den Garaus machten dem reichen Vorkommen aber die »Highland Clearings«. Bis 1860 wurden die ansässigen Bauern vertrieben, um flächendec­kend die Schafzucht einzuführe­n, und auch der Wacholder wurde gerodet. Doch immerhin halten die Whiskybren­ner bis heute der »Gin-Pflanze« die Treue: Neue Brennblase­n werden mit Wacholderz­weigen ausgeräuch­ert, um die Anlage zu »versüßen«. Es geht in der Spirituose­nwelt offenbar nicht ohne die schwarzen Scheinbeer­en! <

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Wie viele andere Spirituose­n begann der Gin seinen Siegeszug zunächst als Medizin.
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Es sind vor allem die ätherische­n Öle, die Wacholder zu einem hervorrage­nden Botanical für Gin machen.
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 ??  ?? Im Gin steckt viel sorgfältig­e Entwicklun­gsarbeit und Gespür für exzellente­n Geschmack.
Im Gin steckt viel sorgfältig­e Entwicklun­gsarbeit und Gespür für exzellente­n Geschmack.
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 ??  ?? Der Geschmack der Wacholderb­eere ist komplex: harzig-würzig und fruchtig, leicht bitter, mit etwas Süße.
Der Geschmack der Wacholderb­eere ist komplex: harzig-würzig und fruchtig, leicht bitter, mit etwas Süße.
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