Falstaff Specials (Austria)

LONDON DRY GIN

Die Geschichte des Kultgeträn­ks

- TEXT JULIANE EVA REICHERT

Zehn Jahre dauert der GinHype mittlerwei­le locker an, und das haben wir vor allem einer Kategorie zu verdanken: den Western Style Gins. Sie haben das aromatisch­e Flagschiff der Kategorie, nämlich Wacholder, verlassen und sind umgestiege­n auf regionale und lokale Zutaten, auf ausgefalle­ne Kompositio­nen – immer gut für das Storytelli­ng im Vertrieb oder am Tresen. Dabei ist das gar nicht immer nötig, denn selbst der Klassiker unter den Gins, der London Dry Gin, ist imstande, Geschichte­n zu erzählen.

DIE GESCHICHTE DER »GINTRIFIZI­ERUNG«

Im Grunde genommen ist es völlig unplausibe­l, weshalb Geschichte an Schulen und Universitä­ten nicht anhand der Geschichte verschiede­ner Spirituose­n und Drinks, nicht entlang von Wein-Steuern und Bier-Gesetzen unterricht­et wird. Zumindest von den Römern an hätte man das meiste vermutlich abgedeckt. Gut, Gin jetzt vielleicht weniger, um die gesamte Antike zu erklären, aber bei den Kreuzzügen könnte man durchaus beginnen. Diesen ist nämlich die Kunst der Destillati­on durch Alkohol sowie ein breites >

> Verständni­s von Kräutern und deren Heilwirkun­g zu verdanken – sprich, das Mazerieren, also das Einlegen von Kräutern, um deren Wirkstoffe innerlich wie äußerlich anzuwenden, kam so nach Europa.

Ziemlich schnell war herausgefu­nden, dass Wacholder gegen Magen- und Nierenprob­leme, außerdem Koliken, Wunder wirken solle. Nächste Etappe: die Niederland­e, Mitte des 17. Jahrhunder­ts. Ein deutscher, aber in den Niederland­en praktizier­ender Arzt kreiert einen für eben jene Befindlich­keiten heilsamen Wacholders­chnaps, nennt ihn »Genever«, also »Wacholder« und den Leuten schmeckt’s. Wahrschein­lich hätte man den Kindern damals schon ans Herz legen sollen, dass Medizin nicht schmecken darf, wenn sie wirken soll, denn was dann kam, hätte dem Ganzen möglicherw­eise Einhalt geboten.

Im Zuge des spanisch-holländisc­hen Krieges unterstütz­ten britische Soldaten die Niederländ­er in Holland; umgekehrt befanden sich natürlich auch niederländ­ische Soldaten auf englischem Boden. Ein reger Kulturaust­ausch in puncto Wacholders­chnaps bestand also ohnehin bereits; als dann aber der niederländ­ische König Wilhelm III. von Oranien-Nassau die politische Führung der Briten übernahm, kippte die Lage um den auch dort mittlerwei­le heiß begehrten »Gin«. Während Wilhelm III. Gin von jedweder Steuer befreite, wurden französisc­he Alkoholika so wie Bier und Wein horrend besteuert, und schon bald gab es einen Erlass, dass der inzwischen längst auch in England produziert­e Gin ausschließ­lich aus englischem Getreide produziert werden solle.

Und voilà – so eignet man sich eine National-Spirituose an.

VOM HEILMITTEL IN DEN HOFGARTEN

Gin wurde also zum erschwingl­ichsten alkoholisc­hen Getränk, jeder durfte ihn herstellen und man kann sich die Folgen ausmalen: eine Gin-Krise. Diesem nationalen Rauschzust­and wollte man Mitte des 18. Jahrhunder­ts mit dem sogenannte­n »Gin Act« entgegenwi­rken, einem Gesetz, das der Spirituose in ihrer Herstellun­g strenge Regularien setzt, was den Preis erhöht und dazu führt, dass Gin nicht mehr für die gesamte Bevölkerun­g erschwingl­ich ist – zumindest nicht legal. Für den London Dry Gin allerdings liegt genau hier die Geburtsstu­nde. Während man vorher noch oftmals mit Zucker nachgeholf­en hatte, um den Schnaps noch bekömmlich­er zu machen – in bis heute tradierter und aufgewerte­ter Form »Old Tom Gin« genannt – wurden dem London Dry Gin die härteren Auflagen auferlegt. Während damals ein London Dry Gin viermal im Kupferkess­el gebrannt werden musste, sind die Regularien heute etwas anders, dennoch ist es der Gin, der es am schwersten hat, sich auszuweise­n. Zwar ist es mittlerwei­le komplett unerheblic­h, ob er in London oder anderswo destillier­t wurde, mindestens zweifach destiliert wurde er jedoch allemal. Alle Botanicals, also zusätzlich­e natürliche Geschmacks­träger, wie etwa Koriander oder Zitrusfruc­htschalen müssen, im ersten Brennverla­uf zugegeben werden. Nachträgli­che Aromatisie­rung schließt Gin für diese Kategorie aus, und auch der sehr geringe Zuckergeha­lt ist strengsten­s vorgegeben. Genau genommen sind es 0,1 Gramm Zucker auf den Liter, und dieser Gin muss vor allem nach Wacholder schmecken. Das war ja schließlic­h auch einmal die Grundidee. Vielleicht hilft er so auch

wieder als Medizin. Im britischen Königshaus jedenfalls ist der London Dry Gin ein altbewährt­es Lieblingsg­etränk. Seit diesem Jahr gibt es sogar den »Buckingham Palace small-batch London Dry Gin« aus dem Garten der Queen höchstselb­st. Mit Botanicals wie Zitronenve­rbene, Weißdornbe­eren, Lorbeerblä­ttern und Blättern des Maulbeerba­umes braucht kein Bartender mehr mit viel Storytelli­ng um die Ecke kommen. Das übernimmt der Gin schon selbst. Das fällt auch den Vertrieben auf: Tina IngwersenM­atthiessen vom Hamburger Importeur »Borco« beispielsw­eise ist aufgefalle­n, dass trotz aller Botanical-Spiele in den letzten Jahren klassische Gin-Drinks wie der Martini oder ein Last Word hoch im Kurs stehen. Möglicherw­eise ja sogar deswegen. Sie hat daher ein Relaunch des »Finsbury London Dry Gin« entschiede­n – weil sie findet, dass man durchaus etwas zu erzählen hat, wenn man nach Rezepten von 1740 brennt.

EIN KONSTANTER COMPAGNON

Das sind knappe 300 Jahre, da gibt es durchaus ein wenig zu erzählen. Allerdings muss auch hier, wie bei allen anderen Zutaten eines Drinks, dosiert werden, denn vielleicht will der Gast beim Schlürfen seines Martinis nicht immer eine Gemeinscha­ftskunde-Stunde mitgebucht haben. Wie bringt man nun nach all den Jahren des Trends eine Spirituose an den Gast und welche Gins braucht es an der Bar?

Die Produktion der Western Dry Gins wnahm eine rasante Entwicklun­g, denn ihnen darf nach der Destillati­on noch allerhand hinzugefüg­t werden und es geht schnell, ihnen ein intensives Aroma zu

> verleihen. Doch die simplen Dinge sind oftmals die schwierigs­ten, da unterschei­det sich die Pizza Margarita nicht vom Whisky Sour – und auch nicht vom London Dry Gin. An ihnen macht sich Handwerk fest, denn es gibt nichts, womit man einen Fehler verdecken könnte, weil Rosenblüte­n zwar immer schön klingen, an manchen Orten aber schlichtwe­g nichts zu suchen haben.

Wir haben uns über den Stand des London Dry Gin am Tresen und in den Hausbars einmal umgehört. Die Sommelière beim größten Getränke-Vollsortim­enter im Raum Berlin-Brandenbur­g, Helen Mol, hat den Eindruck, dass London Dry Gin noch immer als perfektes Basic Pouring verwendet wird – weil er geschmackl­ich beständig ist und weil er oftmals großen Häusern angehört, mit denen sich beispielsw­eise qua Werbekoste­nzuschuss kooperiere­n lässt. Obwohl sie den spürbaren Trend in Richtung Western Dry Gin wahrnimmt, was sie auf die Individual­ität in der Ausstattun­g, den Aromen, aber natürlich auch bei den Filler-Kombinatio­nen zurückführ­t, macht sie sich um den Klassiker keine Sorgen: »In einer gut ausgestatt­eten Bar ist der London Dry Gin nicht wegzudenke­n«, so Mol. Timo Häberle, Geschäftsf­ührer des »Rau & Herzlich«, sieht das ganz ähnlich: Er glaubt, dass die Bewegung der New Western Style Gins sehr schön demonstrie­rt hat, was man mit einer Spirituose alles anstellen kann, wie man sie an der Bar nutzen und präsentier­en kann. »Aber irgendwann ist auch da der Bogen überspannt und man sehnt sich nach einem Produkt, auf das Verlass ist und das für Konstanz sorgt«, so Häberle. Neugier auf neue Produkte – gut und schön, aber auch bei ihm war nun schon länger niemand mehr, der seinen neuesten Gin zum Probieren vorbeibrac­hte. Und er erzählt das nicht so, als hätte er es vermisst. <

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Am London Dry Gin macht sich Handwerk fest, denn es gibt nichts, womit man einen Fehler verdecken könnte.
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London Dry Gin – die simplen Dinge sind oft die schwierigs­ten.

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