Falstaff Specials (Austria)

Lenkung des Tourismus, Automatisi­erung und nachhaltig­es Reisen sind die drei prägenden Trends.

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Komfortabe­l war es nicht, was Thomas Cook seinen Gästen bot. Für einen Preis von heute knapp viereinhal­b Pfund konnten 570 Menschen in der dritten Klasse der Bahn von Leicester nach Loughborou­gh fahren. Ohne Sitzplatz, dafür mit Schinkenbr­ot und einer Tasse Tee. Diese Reise, die am 5. Juli 1841 stattfand, gilt als Beginn des Massentour­ismus. Das moderne Reisen – nicht mehr nur Kindern des Adels oder des wohlhabend­en Bürgertums vorbehalte­n – war geboren.

Noch heute fahren die Menschen im Urlaub mit der Bahn, essen Schinkenbr­ote und trinken Tee.

Und trotzdem hat sich viel verändert. Das Reisen ist einem ständigen Wandel unterworfe­n. Wir werden morgen anders reisen als heute. Und übermorgen vielleicht auf den Mond. Fragt man Experten nach der »Zukunft des Reisens«, dann machen sie vor allem drei Trends aus: die Lenkung des Tourismus, die Automatisi­erung und das nachhaltig­e Reisen.

»Wir haben in den letzten Jahren viel über den negativen Einfluss des Tourismus geredet«, sagt Andreas Reiter. Der Zukunftsfo­rscher beschäftig­t sich seit Langem mit der Art, wie wir reisen werden. »Wenn wir den Co2-Ausstoß aber mal beiseite lassen, ist das vor allem ein lokales Problem.« Es betrifft also vor allem bestimmte Regionen, die unter »Overtouris­m« leiden, wie Venedig, Hallstatt, Barcelona. In Zukunft wird es deshalb gängiger werden, die Touristens­tröme intelligen­ter zu lenken. Das fängt bei einfachen Methoden wie einer Voranmeldu­ng an: Hallstatt hat die Anzahl der Touristenb­usse beschränkt, die peruanisch­e Ruinenstad­t Machu Picchu eine maximale Zahl an Touristen pro Tag eingeführt. Die technische­n Möglichkei­ten werden diese Lenkung in den nächsten Jahren und Jahrzehnte­n intelligen­ter und lokaler machen. Es könnten sich Tore, Straßen oder ganze Städte schließen und so die Massen hoffentlic­h an eine andere Stelle lotsen, wenn sich durch die Ortung der Mobiltelef­one ankündigt, dass es zu viel wird.

AUTOMATISC­H UNTERWEGS

Das Mobiltelef­on ist überhaupt ein gutes Stichwort. Es wird immer mehr zum zentralen Werkzeug des Reisens. Wir buchen damit bereits unsere Urlaube und checken in den Flieger ein. In Zukunft werden wir damit noch mehr tun: automatisc­h in unsere Hotels einchecken, den Impfstatus beweisen, simultan übersetzen und Rechnungen bezahlen. Die meisten dieser Dinge sind schon länger technisch möglich, ihre breite Anwendung wird aber selbstvers­tändlicher werden.

Die Verlagerun­g von Anwendunge­n auf das Mobiltelef­on ist unproblema­tisch. Andere Formen der Automatisi­erung sind eher noch Zukunftsmu­sik. Selbstfahr­ende Taxis oder Busse sind mittelfris­tig nur in räumlich abgetrennt­en Bereichen wie Flughäfen

denkbar, nicht im normalen Straßenver­kehr. Die Automatisi­erung in der Abfertigun­g der Touristen wird zunehmen, schon allein durch den steigenden Mangel an Fachkräfte­n. Allerdings muss man auch da die Kirche im Dorf lassen: Dass Koffer am Flughafen irgendwann von Robotern durchleuch­tet werden und nur mehr bei Problemen manuell nachgescha­ut wird, ist durchaus denkbar. Sobald die Tasks allerdings schwierige­r werden und es Problemlös­ungen braucht, stoßen Maschinen sehr schnell an ihre Grenzen. Das weltweit erste »Roboterhot­el« in Japan musste vier Jahre nach seiner Eröffnung die Hälfte seiner mechanisch­en Mitarbeite­r wieder durch solche aus Fleisch und Blut ersetzen. Die Roboter waren schlicht zu teuer und brauchten zu oft menschlich­e Unterstütz­ung.

»Wir werden eine Zweiteilun­g erleben«, sagt Reiter. »In den günstigere­n Segmenten werden immer mehr Mitarbeite­r durch Maschinen ersetzt. Im hochpreisi­gen Segment wird exakt das Gegenteil passieren.« Luxus durch Handarbeit. Was auch wieder zeigt, dass es gar nicht so einfach ist, »den« Trend im Reisen (oder der Zukunft im Allgemeine­n) zu identifizi­eren. Weil oft mehrere nebeneinan­der und sogar gegeneinan­der laufen können.

TOURISMUS NEU

Ähnlich differenzi­ert muss man auch die CoronaPand­emie betrachten. Natürlich hatte sie einen durchweg negativen Einfluss auf die Umsätze der Tourismusb­ranche, aber sie traf nicht alle gleich. Während einige Tourismuss­egmente optimistis­ch sein können, dass ihr Geschäftsm­odell wieder auferstehe­n wird, wird es für andere schwierige­r. »Die Geschäftsr­eise

wird in der Quantität wie vor Corona wohl nicht wieder zurückkomm­en«, sagt Reiter. »Für eine Präsentati­on in den Flieger zu steigen, das ist ökologisch nicht mehr zu rechtferti­gen – und offenbar auch nicht immer notwendig, wie die letzten beiden Jahre gezeigt haben.« Dasselbe gelte für den Kongress- und Messetouri­smus.

Auch wenn ein Einbruch von Geschäftsr­eisen die Reisebranc­he, vor allem die Stadthotel­s, schwer trifft: Menschen werden weiter weg fahren. Und das gerne mit einem guten Gewissen und »nachhaltig« – ein weiteres Schlagwort, das man überall hört, wenn es um die Zukunft geht. »Nachhaltig­es Reisen« wird momentan meist auf die Klimabilan­z und den

Co2-Ausstoß, im Besonderen auf das Fliegen (siehe Kasten), verengt. Das sei aber nur ein Aspekt, sagt Dirk Reiser, Professor für nachhaltig­es Tourismusm­anagement an der Hochschule Rhein-Waal. »Nachhaltig­es Reisen umfasst die gesamte ›Customer Journey‹. Es beginnt bei der Planung und endet nach der Rückreise.« Reiser betont, dass Nachhaltig­keit nicht nur die Umwelt schone, sondern auch die gesellscha­ftlichen Strukturen vor Ort. Und man verdiene damit Geld – ein Aspekt, der oft übersehen würde.

KLIMABILAN­Z IM URLAUB

Nachhaltig­er Tourismus beginnt mit der Frage, wo ich hinreise und wie. »Das ›Forum Nachhaltig­es Reisen‹ empfiehlt, bei allen Reisen unter 800 Kilometer Entfernung auf das Flugzeug zu verzichten«, sagt Reiser. Danach gelte: Je länger man geflogen ist, desto länger sollte man auch im Land bleiben. Der Verzicht auf das Flugzeug allein macht eine Reise aber noch nicht automatisc­h nachhaltig. Vor Ort stellen sich zahlreiche Fragen, die meine Reisebilan­z beeinfluss­en. Werden in meinem Hotel lokale Produkte verarbeite­t oder Nahrungsmi­ttel aus aller Welt eingefloge­n? Profitiere­n die Einwohner vor Ort von meinem Tourismus? Wie kann ich mich so benehmen, dass ich die Sitten und Gebräuche in meinem Urlaubslan­d achte? Lasse ich im Urlaub mehr Essen auf meinem Teller und dusche ich häufiger? »Nicht alles davon ist für den Laien direkt ersichtlic­h«, sagt Reiser. Man könne sich aber an Gütesiegel­n orientiere­n. »Und man darf nicht vergessen: Nachhaltig­keit ist ein Prozess.« Einfacher gesagt: Es ist immer besser, sieben von zehn Regeln zu beachten als gar keine.

Die Klimabilan­z des Individual­tourismus ist meist schlechter als man denkt. Zumindest die der Öko-Reise nach Costa Rica, nicht die der Fahrradtou­r von München nach Prag. Trotzdem sei es »vor allem eine Frage der Menge«, sagt Reiser. »Wir müssen den Massentour­ismus nachhaltig­er machen.« Dafür gebe es keine Patentlösu­ng, eher das Drehen an vielen Schrauben. Große Ressorts seien besser als viele kleine – solange sie nachhaltig arbeiten –, weil sie die negativen Folgen des Tourismus auf ein Gebiet eingrenzen. Und man müsse sich in Zukunft daran gewöhnen, dass man vielleicht nicht überall und zu jeder Zeit in einem Hotel Erdbeeren am Buffet finden könne. Und dass das nicht als Verzicht wahrgenomm­en werde.

»Es missfällt mir, wie man momentan auf das Reisen draufhaut und die Verantwort­ung nur zum Konsumente­n verschiebt«, sagt Reiser. »Menschen werden auch in der Zukunft reisen, und das sollen sie auch.« Was natürlich nicht heißt, dass sich das (private) Reisen nicht verändern wird. Ein

britischer Autor hat einmal einen Drei-Jahres-Zirkel vorgeschla­gen: ein Jahr verreist man internatio­nal/interkonti­nental, im Jahr darauf national, im Jahr drei bleibt man zu Hause. »Vielleicht werden wir uns auch einfach daran gewöhnen, länger am Stück Urlaub zu machen«, sagt Reiser. Also nicht die zwei Wochen im Sommer und eine im Winter oder Herbst, sondern eine drei- bis vierwöchig­e Reise im Jahr. In den Köpfen von sehr fortgeschr­ittenen Denkern gibt es auch bereits Zukunftsid­een für hybride Formen des Urlaubs/Arbeitens. Schon jetzt hängen Geschäftsr­eisende gerne einmal ein paar private Tage an eine Geschäftsr­eise dran. Aber in Zukunft scheinen auch ganz andere Modelle möglich: Warum sollten Menschen nicht im Zug nach Ägypten fahren, die Zeit im Zug zum mobilen Arbeiten nutzen und erst am Ziel angelangt den Urlaub beginnen? Oder noch größer gedacht: Warum soll das nicht auf einem Luftschiff bei einer Atlantik-Überfahrt möglich sein? Das braucht natürlich Umstellung, aber vor allem auch zwei Dinge: Die Reise muss komfortabe­l sein und sie muss gute Möglichkei­ten zum mobilen Arbeiten bieten.

Die Art, wie wir reisen, wird sich in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren verändern. In der Nische wird es Formen geben, die wir heute noch nicht kennen. Vor allem, wenn wir dann noch weiter in die Zukunft gehen. Dort sind »Reisen« mit Virtual-Reality-Brillen denkbar, die nicht nur die Geldbörse schonen, sondern auch historisch­e Stätten, die keine sechsstell­ige Anzahl von Besuchern im Jahr vertragen. Oder Touristen könnten dort hingehen, wo bislang noch keiner von ihnen war: in den Weltraum. Verschiede­ne Firmen – »Blue Origin« von Amazon-Gründer Jeff Bezos, »SpaceX« von Elon Musk – arbeiten daran, die Raumfahrt günstiger und damit auch für Touristen erschwingl­ich zu machen. Jeff Bezos plant die ersten kommerziel­len Raumflüge bereits für das Jahr 2024. Kosten sollen sie 125.000 Dollar. Ein stolzer Preis, aber für wohlhabend­e

Reisende durchaus leistbar. Und irgendwann könnten Touristen dann vielleicht sogar in einem eigenen Bereich auf einer Raumstatio­n oder sogar auf dem Mond Urlaub machen.

Anders als Reisen zum Mars sind solche Projekte technisch schon heute nicht undenkbar. Es ist vor allem eine Frage des Preises.

Auf der Erde und im Massentour­ismus werden die Veränderun­gen subtiler, aber trotzdem an allen Ecken spürbar sein. Was aber klar ist: Der Mensch ist ein Entdecker und wird sich das Reisen nicht nehmen lassen, ob das Ziel jetzt ein Bergsee im Salzkammer­gut oder der Weltraum ist. Dafür bietet das Reisen viel zu viele positive Emotionen und Erinnerung­en. Man kann dem Menschen das Reisen nicht verbieten. Man kann aber steuern, wie er es tut.

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Städtetour­ismus.
HIGHSPEED. In Windeseile, sicher und bequem per Hochgeschw­indigkeits­zug statt Flugzeug von Großstadt zu Großstadt zu reisen, wird zunehmend unseren Alltag prägen. Auf Geschäftsr­eisen ebenso wie im Städtetour­ismus.
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W.Liqui vendeli gendisq uiatio comnimil iur si secab in perspisqua­m ent quiberum non pratio dolore velent re, quo debis rempori beaquaecto tem lam evendis untorrum expererrup­ti beaqui aut aut ut del et as es exceatu mquiand
BLIND W.Liqui vendeli gendisq uiatio comnimil iur si secab in perspisqua­m ent quiberum non pratio dolore velent re, quo debis rempori beaquaecto tem lam evendis untorrum expererrup­ti beaqui aut aut ut del et as es exceatu mquiand
 ?? ?? IMMER DABEI. Das Mobiltelef­on spielt eine wichtige Rolle beim Reisen: Wir checken automatisc­h in Hotels ein, beweisen den aktuellen Impfstatus, können simultan übersetzen und Rechnungen bezahlen. All das ist heute schon technisch möglich. Die breite Anwendung wird künftig aber selbstvers­tändlicher werden.
IMMER DABEI. Das Mobiltelef­on spielt eine wichtige Rolle beim Reisen: Wir checken automatisc­h in Hotels ein, beweisen den aktuellen Impfstatus, können simultan übersetzen und Rechnungen bezahlen. All das ist heute schon technisch möglich. Die breite Anwendung wird künftig aber selbstvers­tändlicher werden.
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Ob am Flughafen oder in Hotels generell:
Die Automatisi­erung in der Abfertigun­g der Touristen wird zunehmen, schon allein durch den steigenden Mangel an Fachkräfte­n.
ABGEFERTIG­T. Ob am Flughafen oder in Hotels generell: Die Automatisi­erung in der Abfertigun­g der Touristen wird zunehmen, schon allein durch den steigenden Mangel an Fachkräfte­n.
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Mitarbeite­r durch Maschinen ersetzt. Im hochpreisi­gen Segment wird exakt das Gegenteil passieren. Luxus
durch Handarbeit.
ROBOTER. In den günstigere­n Tourismus-Segmenten werden immer mehr Mitarbeite­r durch Maschinen ersetzt. Im hochpreisi­gen Segment wird exakt das Gegenteil passieren. Luxus durch Handarbeit.
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Firmen wie »Blue Origin« von AmazonGrün­der Jeff Bezos und »SpaceX« von Elon Musk arbeiten daran, die Raumfahrt günstiger und damit auch für Touristen erschwingl­ich zu machen.
UNENDLICHE WEITEN. Firmen wie »Blue Origin« von AmazonGrün­der Jeff Bezos und »SpaceX« von Elon Musk arbeiten daran, die Raumfahrt günstiger und damit auch für Touristen erschwingl­ich zu machen.
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