Ein gesundes Leben induziert auch ein gesundes Mikrobiom.
Oberfläche als erstrebenswert gilt. Zahlreiche Bakterien sind gefährliche Pathogene, lösen also im schlechten Fall Krankheiten aus. Listerien gelten als Hauptverursacher von Lebensmittelvergiftungen, Staphylokokken können Lungenentzündungen hervorrufen, Campylobacter für entzündliche Darmerkrankungen sorgen. Aber Bakterien sind eben viel mehr als Pathogene. Sie übernehmen lebenswichtige Funktionen im Körper. Und bilden sogar vielfach einen Schutzschild gegen ihre gefährlichen Verwandten.
Der bekannteste Hort für nützliche Bakterien ist der Darm. »Die natürlichen Bakterien im Körper beeinflussen als wichtiger Bestandteil der ›DarmHirn-Achse‹ wichtige Magendarmfunktionen«, sagt Thomas Frieling, Chefarzt der Gastroenterologie des Helios Klinikum Krefeld und Co-Autor des Buchs »Darm an Hirn!«. »Diese Bakterien entwickeln sich bereits bei der Geburt und passen sich dem Alter an.« Für das Mikrobiom im Darm hat sich der historische Begriff »Darmflora« durchgesetzt, obwohl Bakterien weder Pflanzen noch Tiere, sondern eine eigene Domäne unter den Lebewesen bilden. Die meisten der nützlichen Bakterien sitzen im Dickdarm. Dort sorgen sie nicht nur für eine gesunde Verdauung: 70 Prozent der menschlichen Abwehrzellen sitzen in der Darmschleimhaut. Sie sind also elementar wichtig für die Abwehr von Krankheiten.
»Die Beeinflussung des Mikrobioms kann durch viele Faktoren wie Essverhalten, körperliche und geistige Aktivität, Körpergewicht, emotionale Ausgeglichenheit, psychische Faktoren beeinflusst werden« sagt Frieling. »Vereinfacht dargestellt: Ein gesundes Leben induziert auch ein gesundes Mikrobiom. Vermieden werden sollten insbesondere eine einseitige Ernährung.« Eine ausgewogene Ernährung reiche in der Regel aus, sodass keine Nahrungsergänzungsmittel eingenommen werden müssten.
KEIME AUS DER URGESCHICHTE
Dass der menschliche Körper in der frühkindlichen Entwicklung auf die Zufuhr von Mikroorganismen von außen angewiesen ist, ergibt evolutionsgeschichtlich Sinn. Die Vorfahren des modernen Menschen lebten in der Steppe und waren dort unzähligen Keimen ausgesetzt. Der Körper musste einen Weg finden, damit umzugehen. Dieses Zusammenspiel funktioniert in unserer tendenziell sterileren Welt aber nicht mehr. Das führt dazu, dass der Körper – der im Grunde immer noch der Körper der Jäger und Sammler ist – sich wehrt. »Epidemiologisch sehen wir, dass die Menschen heute viel stärker unter immunologischen Erkrankungen wie Allergien leiden als früher«, sagt Gorkiewicz. Das hänge mit der mangelnden
Exposition mit diesen Keimen in der Kindheit zusammen, das sei wissenschaftlich gut belegt.
Und was heißt das jetzt konkret? Wie viel Hygiene ist sinnvoll? Wie so oft in der Wissenschaft ist die etwas unbefriedigende Antwort: So viel wie nötig, aber nicht zu viel. Bei einer Fläche, auf der ich rohes Huhn geschnitten habe, ist eine Desinfektion sinnvoll. Aber nicht jeder Bereich des Lebens kann und sollte keimfrei sein. In dem Moment, wo die Pandemie überwunden ist, bietet beispielsweise das Desinfizieren der Hände für einen Menschen ohne Immunschwäche keinen Vorteil zum Waschen mit Seife.
Das gilt im Übrigen auch für Kinder, bei denen vorsichtige Eltern schon vor der Pandemie eine gewisse Tendenz zur Überhygiene an den Tag legten. Experten sehen es eher entspannt, wenn ein Kind einmal etwas vom Boden aufhebt und in den Mund steckt. Vor alltäglichem Umweltschmutz müsse man es nicht beschützen. »Einem gesunden Kind schadet ein
DESINFEKTION.
Wie viel Hygiene ist sinnvoll, wie viel Desinfektion nötig? Mediziner haben dazu eine klare Meinung. Einem gesunden Kind schadet ein normaler Umgang mit Dreck nicht, sagt der Pathologe Gregor Gorkiewicz. Überhygiene sei eher schädlich als nützlich.
normaler Umgang mit Dreck nicht«, sagt Gorkiewicz. Natürlich müsse man im Einzelfall bewerten, ob ein Spielplatz an einer Straße mit hoher Abgasbelastung liegt oder die Sandkiste oft von Katzen frequentiert wird, die Toxoplasmose-Erreger übertragen können. »Überhygiene schadet aber eher, als dass sie nutzt.«
DRECK GEHÖRT ZUM LEBEN
Das heißt nicht, dass man nicht sinnvolle Hygiene-Maßnahmen aus der Pandemie mitnehmen kann. In der Zeit des Jahres, wo Atemwegsinfektionen ihren Höhepunkt haben, werden Menschen auch weiterhin Masken in öffentlichen Verkehrsmitteln tragen. Auch aus den Wartezimmern der Ärzte werden sie nicht ganz verschwinden und müssen sie auch nicht. Aber auch in der neuen Lust an der Sterilität sollte man nicht ganz vergessen: Ein bisschen Dreck gehört zum Leben dazu.