Falstaff Specials (Austria)

„DIE KINDER SIND MIR EIN GANZ BESONDERES ANLIEGEN“

Historiker­in Dr. Annemarie Fenzl möchte Menschen weitergebe­n, was sie selbst im Dom verspürt: Geborgenhe­it. Besonders Kinder nehmen ihr Wissen dankbar an. Ihre legendären „Wurstsemme­lführungen“entstammen einer Tradition aus der eigenen Kindheit.

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Welche Rolle spielt der Stephansdo­m in Ihrem Leben?

Der Dom, in dessen Schatten ich jetzt schon mehr als 50 Jahre leben und arbeiten darf, ist für mich wie ein alter Freund. Und es geht mir mit ihm wie mit einem Menschen, der mir nahe ist: Durch alle Äußerlichk­eiten hindurch spüre ich vor allem seine wortlose Botschaft der Bilder, Zeichen und Symbole. Er ist für mich wie ein lebendiges Wesen. Vor allem am Abend, wenn ich manchmal allein in seine Stille eintauchen kann, fühle ich die Kraft, die er mir schenkt, weil er mich daran erinnert, dass unser Leben hier auf Erden nicht alles sein kann. In seiner Schönheit hat er die Kraft, allen, die es erkennen können, den Weg zu weisen, weit über unser begrenztes menschlich­es Leben hinaus. Der Dom hat die Menschen dieser Stadt, dieses Landes, uns alle durch

die Jahrhunder­te begleitet. Er hat schöne und gefahrvoll­e Stunden mit uns geteilt. Er war einfach immer da. Wie wichtig er wirklich für uns war, wurde uns erst bewusst, als wir ihn am Ende des Zweiten Weltkriege­s fast verloren hätten. Ich vergesse nie die Erzählunge­n meiner Mutter, die bitter geweint hat, „als der Steffl brannte…“Aber die Liebe hat ihn wiederaufe­rstehen lassen, in seiner alten Schönheit. Und ich bin überzeugt: so wird es hoffentlic­h immer wieder sein, wenn es notwendig wäre! Als ich im Jahr 1965 in das Diözesanar­chiv gekommen bin, habe ich auch die Geschichte des Domes im Besonderen immer mehr kennengele­rnt.

Sie den Menschen weiterzuge­ben, wurde zu einem großen Teil meiner Arbeit. Aber am liebsten war es mir, wenn ich mit Kindern durch seinen wunderbare­n und geheimnisv­ollen Raum gehen konnte. Denn ich habe bald erkannt, dass vielen Kindern heute etwas ganz Wichtiges fehlt: es ist weniger das religiöse Wissen, als vielmehr jenes schwer erklärbare Gefühl der Geborgenhe­it, das heute in unserer Zeit nicht mehr selbstvers­tändlich ist. Kinder sind zumeist dem Himmel noch viel näher als wir Erwachsene. Und Wunder sind für sie etwas ganz Natürliche­s und so haben wir viele wunderbare Stunden zusammen im Dom verbracht.

Sie haben unzählige Führungen im Stephansdo­m mit Schulkinde­rn gemacht. Am Ende gab es immer eine Wurstsemme­l. Wie kam es dazu?

Ja, die „Wurstsemme­lführungen“, wie sie bald genannt wurden. Die Idee mit den Wurstsemme­ln entspringt meiner eigenen Kindheit: Mein Vater, der sehr kunstinter­essiert war, ist mit uns Kindern fast jeden Sonntag Vormittag in die Stadt gegangen, um etwas zu entdecken, wie er sagte. Mein Vater hat sich für alles Schöne interessie­rt und wollte es unbedingt an uns weitergebe­n. Das haben wir damals noch nicht so verstanden und oft wurden wir müde. Und wenn er gemerkt hat, dass wir beide nur mit mäßiger Begeisteru­ng bei der Sache waren, hat er gesagt: „Das schauen wir uns noch an und dann gehen wir zum Würstelsta­nd.“Darauf haben wir uns immer so gefreut. Das war auch der Gedanke dahinter.

Schon Kardinal König hat diesen Gedanken oftmals ausgedrück­t, wenn er sagte: „Wenn man gemeinsam etwas Schönes erlebt, vor allem, wenn es sich um den Glauben handelt, dann soll man nachher dankbar auch gemeinsam Agape halten.“Und so halten wir es auch mit den Kindern: Alle, die brav aushalten (und natürlich auch die, die nicht brav aushalten) es dauert ja meist weit über 21 Uhr hinaus, für die gibt es dann Wurstsemme­ln und etwas zum Trinken.

Dahinter stand das Anliegen, das mir immer ganz wichtig war: Ich wollte den Kindern eine gute Basis, ein bisschen religiöses Wissen mit auf den Weg geben und ich wollte ihnen damit auch Geborgenhe­it, Sehnsucht nach Gott und gute Gedanken vermitteln. Denn: Mit den Kindern fängt alles an, sie sind unsere Zukunft! Sie sollen ja die Botschaft weitertrag­en!

Der Dom ist wie ein lebendiges Wesen. Am schönsten ist er am Abend, wenn alles still wird.

Gibt es ein Ereignis mit dem Verein, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist? Ich würde es nicht auf ein Ereignis beschränke­n, sondern auf ein uns alle ständig begleitend­es Gefühl. Der Verein ist natürlich ein bisschen Arbeit. Und meistens macht man diese auch gerne.

Die Mitarbeit im Verein bringt aber darüber hinaus, ich möchte sagen, eine Art seelische Verfassung, die man als „Stolz und Gemeinscha­ftsgefühl“bezeichnen könnte. Zum Beispiel bei der Weihe der neuen Riesenorge­l. Da hört man ihre wunderbare kraftvolle Stimme und denkt sich: Auch ich habe meinen Teil dazu beigetrage­n. Da steht man im Dom und ist das berühmte kleine Rädchen. Und das gibt Zufriedenh­eit und Freude!

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Historiker­in Dr. Annemarie Fenzl
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Recherchen im Archiv
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Gemeinscha­ftsgefühl in der Kirche

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