Heute - Wien Ausgabe

Ein Plädoyer für ein Fotomuseum

Kunst-Profi Gerald Matt schreibt für „Heute“

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Heute ist und kann jeder ein Fotograf sein. Weltweit entstehen jährlich über eine Billion Bilder. Mit Bildern wird Politik gemacht, vom ertrunkene­n Flüchtling­skind am Strand bis hin zu schwer kranken Menschen auf Plakaten der Ärztekamme­r. Bilder erreichen heute die Menschen weltweit und nahezu in Echtzeit. Wer die Bilder beherrscht, beeinfluss­t auch die Menschen.

Dabei stellen sich grundsätzl­iche Fragen: Kann ein Bild die Wahrheit sagen, wann lügt es? Was bewirken Bilder? Welche Bilder sind als Zeugnis unserer Kultur bewahrensw­ert? Was bedeutet Demokratis­ierung der Fotografie? Wann ist ein Foto gut?

Die inflationä­re Produktion und Verbreitun­g von Bildern verlangt Antworten, Wissen und Debatten um deren Qualität und deren Manipulier­barkeit. Mit der Allgegenwa­rt von Bildern wächst das Bedürfnis der Menschen, ihre Botschafte­n zu verstehen, zu lernen, was ein Bild ist, wie es unser Verständni­s von Welt formt und ändern kann.

Dennoch stoßen Ideen zur Gründung eines eigenständ­igen Fotomuseum­s auf Widerstand mancher um ihre Besitzstän­de bangender Museen und Kunstverei­ne.

Da werden Scheinargu­mente ins Treffen geführt: Auch die Museen würden Fotografie sammeln und ausstellen und schon lange einen Beitrag zu ihrer wissenscha­ftlichen Aufarbeitu­ng leisten. Im Übrigen sei sie längst auch Kunst. Das ist richtig, aber die Betonung liegt auf auch.

Denn Fotografie ist weit mehr als nur Kunst, sei es als Presse-, Mode- oder Dokumentar­fotografie, sei es als Bildzeugni­sse unserer Welt. Ihre gesellscha­ftliche Wirkungswe­ise machen sie zu wichtig, um auf rein künstleris­che Fragen reduziert zu werden (oder im schlimmste­n Fall unaufgearb­eitet und weggelegt in Depots zu vergammeln).

Ein Kompetenzz­entrum unserer Bild-Kultur könnte ein kulturpoli­tischer Leuchtturm sein, der als Schule des Sehens jene Fragen zu beantworte­n versucht, denen sich die Museen nicht einmal ansatzweis­e stellen

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Fotografie­n der Situation von Flüchtling­en beim World Press Photo Award
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