Staatsanwalt las bei Prozess aus Buch von Bestseller-autor
Um Verbrechen geht’s vor Gericht immer. Dass ein Ankläger aus dem Buch „Verbrechen“vorträgt, ist sein Alleinstellungsmerkmal. Wozu das alles? Weil der, der angeklagt war, das Verbrechen nicht begangen hat.
„Uns bleibt immer noch die Familie“, dürfte sich William G. nach einer Messerattacke im Lokal „Casablanca“vielleicht gedacht haben. Jedenfalls stapfte er gestern an der Seite seiner Anverwandten
ins Wiener „Landl“; trug Jeans, rosa Hemd und Sneakers. William G. wirkte dabei so, als würde er seine Mama durchs Graue Haus führen und nicht selbst unter düsterem Verdacht (präzise gesagt: zweifacher Mordversuch) stehen.
Dass jemand, dem ein so schweres Delikt angelastet wird, als freier Mann, ohne Handschellen und Wachebeamte in den Saal kommt, sei „mehr als ungewöhnlich“, räumte Staatsanwalt Bernd Ziska ein. Dann wurde es noch ungewöhnlicher: Der Ankläger las aus „Verbrechen“von Bestsellerautor Ferdinand von Schirach (ein Verteidiger!) vor, wirkte dabei so, als müsse er den Prozess verteidigen: „Die Staatsanwaltschaft gewinnt nicht und verliert nicht. Sie hat keine Leidenschaft außer das Gesetz.“
Hintergrund der Lesestunde: William G. soll – wie berichtet – nach einer Firmen-weihnachtsfeier im November zwei Kroaten mit einem Messer schwer verletzt haben. Der 36-Jährige räumte die Tat im Polizeiverhör auch ein, allerdings übersetzte dort ein Somali-dolmetsch für den Filipino. Dieser zog später das Geständnis zurück und betonte auch gestern: „Ich bin unschuldig. Das war eine Geschichte des Dolmetschers.“
Auch an der Tatwaffe haftete fremde DNA; bereits vor dem Prozess setzte die Richterin William G. daher auf freien Fuß. Die Verhandlung fand dennoch statt.
Ob Staatsanwälte gewinnen und verlieren, sei dahingestellt. Einer hat gestern jedenfalls gewonnen – William G., die Freiheit. Er wurde (nicht rechtskräftig) von den Geschworenen freigesprochen