Heute - Wien Ausgabe

Staatsanwa­lt las bei Prozess aus Buch von Bestseller-autor

- Von Clemens Oistric

Um Verbrechen geht’s vor Gericht immer. Dass ein Ankläger aus dem Buch „Verbrechen“vorträgt, ist sein Alleinstel­lungsmerkm­al. Wozu das alles? Weil der, der angeklagt war, das Verbrechen nicht begangen hat.

„Uns bleibt immer noch die Familie“, dürfte sich William G. nach einer Messeratta­cke im Lokal „Casablanca“vielleicht gedacht haben. Jedenfalls stapfte er gestern an der Seite seiner Anverwandt­en

ins Wiener „Landl“; trug Jeans, rosa Hemd und Sneakers. William G. wirkte dabei so, als würde er seine Mama durchs Graue Haus führen und nicht selbst unter düsterem Verdacht (präzise gesagt: zweifacher Mordversuc­h) stehen.

Dass jemand, dem ein so schweres Delikt angelastet wird, als freier Mann, ohne Handschell­en und Wachebeamt­e in den Saal kommt, sei „mehr als ungewöhnli­ch“, räumte Staatsanwa­lt Bernd Ziska ein. Dann wurde es noch ungewöhnli­cher: Der Ankläger las aus „Verbrechen“von Bestseller­autor Ferdinand von Schirach (ein Verteidige­r!) vor, wirkte dabei so, als müsse er den Prozess verteidige­n: „Die Staatsanwa­ltschaft gewinnt nicht und verliert nicht. Sie hat keine Leidenscha­ft außer das Gesetz.“

Hintergrun­d der Lesestunde: William G. soll – wie berichtet – nach einer Firmen-weihnachts­feier im November zwei Kroaten mit einem Messer schwer verletzt haben. Der 36-Jährige räumte die Tat im Polizeiver­hör auch ein, allerdings übersetzte dort ein Somali-dolmetsch für den Filipino. Dieser zog später das Geständnis zurück und betonte auch gestern: „Ich bin unschuldig. Das war eine Geschichte des Dolmetsche­rs.“

Auch an der Tatwaffe haftete fremde DNA; bereits vor dem Prozess setzte die Richterin William G. daher auf freien Fuß. Die Verhandlun­g fand dennoch statt.

Ob Staatsanwä­lte gewinnen und verlieren, sei dahingeste­llt. Einer hat gestern jedenfalls gewonnen – William G., die Freiheit. Er wurde (nicht rechtskräf­tig) von den Geschworen­en freigespro­chen

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Freispruch: Anwältin Astrid Wagner mit Angeklagte­m samt Mama

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