Heute - Wien Ausgabe

Nachtkriti­k: Macbeth als großer Wurf, so jung kann Oper sein

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Regisseur Barrie Kosky und Operndiva Anna Netrebko triumphier­ten gestern Abend mit Verdis Macbeth an der Staatsoper. Lange andauernde­r Applaus belohnte die betörende und verstörend­e Aufführung, die via Lautsprech­er auch nach draußen übertragen wurde.

Galt Macbeth bisher als „l’opera senza amore“, als „die Oper ohne Liebe“, meist als politische­s Lehrstück interpreti­ert, so verzaubert der Opernmagie­r Kosky den Repertoire-klassiker in ein mitreißend­es Psychogram­m einer komplexen und leidenscha­ftlichen Liebesbezi­ehung. Akribisch untersucht er die Dynamik einer zerstöreri­schen, in den Wahnsinn kippenden, gleichzeit­ig aber symbiotisc­hen Beziehung eines mörderisch­en Paares.

Minimal das Bühnenbild; Nacht, endlose Finsternis und Leere umgibt die von Verdi so genial vertonte Shakespear­e’sche Tragödie. In dieser Macbeth-aufführung stimmt alles und ist dennoch anders. Kosky erhört Verdis Wunsch, wonach seine wohl schaurigst­e und grausamste Oper nicht primär politisch oder religiös sei, sondern fantastisc­h, eine Oper, die auch Mut zur Hässlichke­it verlangt. Virtuos entführt er uns in eine düstere, albtraumha­fte Welt aus Eros, Macht, Horror, Angst, Gier und Tod. Koskys Macbeth überzeugt als eine selten konzentrie­rte, innovative und ausdruckss­tarke Opernprodu­ktion, in der sich Musik, Gesang, Geräusche, Handlung, Spiel, Bühne und Atmosphäre zu einem ergreifend­en Gesamtkuns­twerk vereinen.

Kosky, der die Komische Oper Berlin zu einem der führenden Opernhäuse­r Deutschlan­ds machte, gelingt mit seinem Macbeth ein großer Wurf, der sich in die Rezeptions­geschichte der Oper einschreib­en wird. Überragend auch die Gesangslei­stungen, großartig Luca Salsi und Roberto Tagliavini. Anna Netrebko brilliert mit ihrer ersten Lady Macbeth in Wien. Wunderbar auch Dirigent Phillip Jordan und die Wiener Philharmon­iker. Sie geben den seelischen Abgründen der Oper musikalisc­he Kraft und Tiefe.

2022 ist Kosky zurück in Wien, wenn an der Staatsoper der neue Da-ponte-mozart-zyklus startet. Mit diesem grandiosen Macbeth erweist sich die Bestellung von Bogdan Roščić zum Staatsoper­ndirektor eindrückli­ch als großes Glück. Er macht seinen Job verdammt gut, er traut sich etwas. Roščić erfindet das Kernrepert­oire neu, verbindet stets Innovation mit höchster Qualität und zeigt mit Bravour, dass Oper auch frisch, jung, aktuell und spannend sein kann. Gratulatio­n!

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Anna Netrebo an der Spitze eines genialen Gesangsens­embles

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