PIONIERE DES STÄDTEBAUS
aspern Die Seestadt Wiens ist sich ihrer Verantwortung und auch ihrer Möglichkeiten bewusst, wenn es um Klimaschutz geht. Einfacher machen es sich die Verantwortlichen dadurch nicht, wie Gerhard Schuster im Interview mit ImmobilienwirtschaftChefredakteur Heimo Rollett klar macht.
Alle reden davon, das Klima retten zu wollen. Die Seestadt will sogar einen bemerkenswert großen Beitrag leisten. Frech gefragt: Sind Sie da nicht sogar etwas übermotiviert?
Gerhard Schuster: Im Gegenteil! Die Potenziale und Hebel einer Stadtentwicklung in der Größe der Seestadt sind gewaltig und auf der Ebene einzelner Gebäude so niemals erfüllbar. Wir haben also nicht nur viel vor, sondern auch große Verantwortung. Für den großen Wurf braucht es natürlich eine ambitionierte Vision, aber auch erreichbare Ziele. Als echtes Klimaschutzprojekt setzen wir auf vielen Ebenen an: von der Energieinfrastruktur oder der Mobilität über den richtigen Nutzungsmix für die 15-Minuten-Stadt bis hin zu besonders klimasensiblen Freiräumen, die langfristig hohen Aufenthaltskomfort schaffen.
Was tun Sie konkret?
Schuster: Zum Beispiel investieren wir zum Teil Jahre in die Planungsgrundlagen für neue Quartiere, erarbeiten Bebauungsleitfäden, städtebauliche Handbücher und umfassende Klimadaten für unsere Wettbewerbe, die zu Detailplanungen führen. Wir haben mit dem TQB-Monitor der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (ÖGNB) schon zu Beginn einen Qualitätsstandard eingeführt, der die Planungs- und Ausführungsqualität aller Projekte regelt. Vor Kurzem haben wir mit aspern klimafit einen neuen Gebäudestandard vorgestellt, der uns helfen wird, den CO - Fußabdruck künftiger SeestädterInnen deutlich zu reduzieren.
Klappt das alles wie vorgestellt?
Schuster: Wir sind sehr erfolgreich, aber natürlich gibt es immer Herausforderungen. Gerade jetzt, wo Bauprojekte unter extremem Kostendruck stehen, wird es für alle schwieriger, hohe Qualitätsstandards leistbar umzusetzen.
Wir sind aber in der glücklichen Lage, dass wir nach wie vor Partner haben bzw. gewinnen können, die langfristig denken und mit uns echte Pionierarbeit leisten wollen. Das hat der Seestadt ja auch eine immense Dichte an nationalen und internationalen Auszeichnungen eingebracht. Von 51 kürzlich mit klimaaktiv- bzw. ÖGNB-Auszeichnungen bedachten Projekten stehen zum Beispiel 12 in der Seestadt. Auch unser Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit für das Pionierquartier der Seestadt macht uns sehr stolz.
Die Zeit drängt, geht es schnell genug?
Schuster: Natürlich ist der Faktor Zeit in der Stadtentwicklung kritisch. Wir haben gelernt, dass zwar viele unserer Ziele kurz- und mittelfristig durchaus erreichbar sind, wie zum Beispiel ambitionierte Energie- oder Mobilitätskonzepte. Aber multifunktionale Freiräume brauchen ungleich mehr Zeit, um hohe Aufenthaltsqualität zu bieten, denn die Natur lässt sich nur bedingt beschleunigen. Und angesichts der offenkundigen Klimaveränderung besteht gerade hier eine hohe Erwartungshaltung – die wir zugegebenermaßen mit unserem Markenversprechen auch geschürt haben.
Sie machen es sich also eigentlich immer schwerer. Was haben Sie bislang von den Zielen denn schon erreicht?
Schuster: Wenn wir unser sogenanntes Mengengerüst anschauen, haben wir unser Soll an nachhaltigen, vielfältigen und gleichzeitig leistbaren Wohn- und Arbeitsräumen bisher absolut erreicht. Die Tatsache, dass diese sich sehr gut füllen, ist ebenso eine Bestätigung wie die wiederholt abgefragte hohe Zufriedenheit mit dem Standort sowohl bei der Wohnbevölkerung als auch der Wirtschaft. Ein wichtiges aktuelles Stichwort ist der Bodenverbrauch: Hier sind wir hervorragend unterwegs. Unsere 62 m2 pro EinwohnerIn liegen sogar deutlich unter dem ausgezeichneten Wert von Gesamtwien mit 100 m2. In ländlichen Gegenden sind 600 bis 1.000 m2 keine Seltenheit. Ähnliches gilt für unsere Mobilitätswerte wie Kfz-Dichte oder motorisierter Verkehrsanteil im Modal Mix – obwohl noch nicht einmal alle Bestandteile des geplanten ÖV-Angebots umgesetzt sind.