Radikale Kundenorientierung
Studierende wollen es einfach haben. Vor allem, wenn sie nur für ein Semester in eine andere Stadt kommen, interessiert es die wenigsten, sich um Internetverbindungen oder um eine Reinigung zu kümmern. 2013 hat Value One (ja, die vom Viertel Zwei) in Wien ihr erstes modernes Studentenhaus eröffnet, das genau diese Zielgruppe bedient. Das Konzept: Einziehen – und das war’s. Die Wohnungen sind komplett möbliert, es gibt zahlreiche Gemeinschaftsräume, Fitness sowieso, und alles ist im (doch recht stattlichen) Mietpreis enthalten, all-in, also Betriebskosten, Highspeed-Internet, monatliche Apartmentreinigung. Die Idee gefiel den
Studierenden genauso wie den Investoren, die solche Häuser gerne in ihr Portfolio aufnehmen.
Ähnlich radikal hat sich TSH The Student Hotel aufgestellt, ein aus den Niederlanden kommender Betreiber von hybriden Häusern, eine Mischung aus Studentenwohnheim, Hotel, Hostel, Lernräumen, Co-Working und Suiten für längere Aufenthalte. In Wien bespielt die Marke ein von S+B entwickeltes Haus Am Tabor. Die Konzepte funktionieren, Milestone gibt es mittlerweile an acht Standorten (Polen, den Niederlanden, Portugal, Deutschland und Österreich), TSH betreibt 15 Häuser quer durch Europa.
Während sich die Anzahl der Studierenden in einer Stadt nicht unbedingt immer vermehrt, macht es uns eine andere Zielgruppe extrem leicht, auf sie zu wetten. Kaum etwas ist sicherer zu prognostizieren, als dass unsere Gesellschaft unterjüngt sein wird – oder weniger charmant ausgedrückt: Wir überaltern. Und das ist auch eine gesellschaftliche Herausforderung, Stichwort soziale Nachhaltigkeit. Umso beachtenswerter eigentlich, dass sich noch so wenige dieser Zielgruppe angenommen haben. Schon jetzt fehlen 80.000 betreute Wohneinheiten, bis 2030 müssten 101.500 Wohnungen zum Bestand dazukommen, um den Bedarf zu decken, rechnet man bei Silver Living, dem Platzhirschen im frei finanzierten Wohnbau für Seniorenwohnanlagen, vor. Ein Markt von 17,2 Milliarden Euro – so hoch schätzt Silver Living die nötigen Investitionen. In
beschrieben: 60+, voller Tatendrang, wollen in einer aktiven Gemeinschaft leben und schätzen den Komfort, für den Fall der Fälle zusätzliche Services zu nutzen. Anders als bei klassischen Silver-Living-Projekten werden diese Objekte größer und auch etwas teurer für die MieterInnen.
Seniorenwohnen zu entwickeln bedeutet, sich in Lebensweise und Gedankenwelt dieser Generation hineinzufühlen, weiß Architekt Klaus Duda. Er hat bereits
zahlreiche Pflegeheime und Projekte für Betreutes Wohnen geplant. Duda: „Es beginnt in der Entwicklungsphase von Projekten, in der soziale Infrastruktur, Freiräume und Grundrisskonfigurationen zu beachten sind, geht über in die Entwurfsphase, in der Material- und Farbkonzepten großes Augenmerk zu schenken ist, und führt schlussendlich zur Ausführungsund Besiedlungsphase, in der sensibel auf die individuellen Bedürfnisse der BewohnerInnen einzugehen ist, um Atmosphäre zu schaffen.“Konkret seien z. B. Farb- und Beleuchtungskonzepte, Innenraumgestaltung und Begrünung sowie Leitsysteme und Sicherheitseinrichtungen zu beachten. Auch kleine Kommunikationszonen in der Nähe der Wohnungen tragen zu Wohlbefinden und sozialem Austausch bei. Jedenfalls sollten konkrete Wünsche nach selbstbestimmtem Leben, Sicherheit und sozialer Integration berücksichtigt werden und auch ein möglichst „normales“Leben inmitten der Gesellschaft geboten werden.
Mischnutzung und ESG-Pluspunkte
Die bewusste Integration von Seniorenwohnen im urbanen und ländlichen Bereich werde für die Immobilienwirtschaft im gewerblichen und gemeinnützigen Segment eine der Herausforderungen in den nächsten Jahren sein, ist Samantha Riepl, Geschäftsführerin von RegioPlan Consulting sowie von SR Immobilien, überzeugt. Denn die Zeiten, in denen man Altenheime als singuläre Nutzung irgendwo an den Stadtrand und damit aus einer belebten, anregenden Gegend verbannte, sind vorbei. Riepl: „Die aktuellen Markttrends kommen dieser Herausforderung in vielen Aspekten entgegen. Derzeit wird eine gesteigerte Entwicklung von multifunktionalen Projekten und Wohnbau mit ca. 73 Prozent verzeichnet. Bei einer geplanten Gesamtnettonutzfläche von ca. 9 Millionen Quadratmeter entspricht das ca. 6,7 Millionen Quadratmeter in den nächsten Jahren der geplanten Assetklassen der Top-Stadtentwicklungsgebiete in Österreich.“
Wiedereingliederung in die Gesellschaft
Seniorenwohnen kann im Zuge von MixedUse-Projekten ein bedeutender Faktor sein, ist Riepl überzeugt. Ein derart soziales Investment bei gleichzeitiger umweltfreundlicher Bauweise ergänzt die ökologischen, sozialen und ökonomischen Anforderungen an Immobilien. Plus: „Ein intelligenter Standort bietet Perspektiven. Oft unbeachtet, jedoch nicht weniger relevant ist dabei der wertvolle Erfahrungs- und Wissensschatz der Silver Ager, dem oftmals das Gefühl von Isolation und Vereinsamung gegenübersteht. Ein Ausbau durch die freiwillig angebotene Wiedereingliederung von Senioren in Forschung und Lehre kann dabei ein weiterer Schritt in die richtige Richtung sein“, verweist Riepl auf einen wichtigen sozialen Mehrwert.
Ob nun Studierende oder Best Ager – oder weitere klar definierte Nutzer wie Alleinerziehende, MusikerInnen oder Businessgäste – je klarer eine Zielgruppe analysierbar ist, desto passgenauere Immobilien können entwickelt werden. Desto höher die Zufriedenheit. Erst danach sollten die Folder gedruckt werden. Weil wenn das Produkt nicht gut ist, bringt noch so viel Werbung auf Dauer auch nichts.