Die digitale Bombe
Können Cyberangriffe wirklich innerhalb kürzester Zeit Bürgerkriege auslösen? Oder wird die Schlagkraft der lästigen Würmer und Viren einfach überschätzt? Eine Bestandsaufnahme.
Die Bezeichnung ist wohl etwas übertrieben, aber die Botschaft kommt an: „Wenn du länger in dem Geschäft arbeitest, wirst du paranoid und zum sozialen Krüppel.“Wieland Alge ist Österreich-Chef des auf Software-Entwicklung spezialisierten Unternehmens Barracuda Networks und ein ausgewiesener Experte in Bezug auf IT-Sicherheit. Mit seinen Systemen sollen Computer vor feindlichen Angriffen geschützt werden.
Flame, ein Schadprogramm, das Ende Mai entdeckt wurde, hat eine Diskussion wieder aufkochen lassen. Eine Diskussion über hochkomplexe Hightech-Schädlinge und deren fatale Auswirkungen. So können mit Flame befallene Computer etwa ferngesteuert und ausspioniert werden – sogar Gespräche, die vordemComputer geführt werden, kann Flame über die computereigenen Mikrofone mithören und aufnehmen. „So etwas wie Flame kann man in ein paar Monaten einfach basteln“, sagt Wieland Alge. „Beeindruckend ist aber, wie perfekt die Umsetzung geplant wurde.“Seit Jahren soll der Schädling gezielt und von internationalen Sicherheitsfirmen unbemerkt auf wenige Computer, vorwiegend im Nahen Osten, angesetztworden sein.
Was als „Cyberwar“schon vor mehr als zwanzig Jahren seinen rustikalen Anfang nahm (siehe rechts), setzt sich nun also in wesentlich komplexererAusprägung fort. Der Kampf mit den Mitteln der Informatik soll mittlerweile einen Schaden im dreistelligen Milliardenbereich angerichtet haben, gab das Analystenhaus mi2g Intelligence Unit vor einem Jahr bekannt. Nurwenig später rief die deutsche Bundesregierung ein nationales Cyber-Abwehrzentrum ins Leben. Weltweit fürchtet man die Cyberangriffe, deren Auswirkungen so fürchterlich sein sollen. „Fünf Tage nach einem Cyberangriff auf unsere Stromnetze hätten wir in Deutschland Bürgerkrieg“, warnt etwa der Sicherheitsforscher Helmut Pohl von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg.
Studentischer Konter
Adam Liff sieht die Thematik entspannter. Der Amerikaner studiert Politik an der renommierten Princeton-Universität und publizierte vor Kurzem einen viel beachteten Text im „Journal of Strategic Studies“. Liff behauptet, dass Cybertechnologie zu einer Entschärfung von Konflikten führt. Weil auch westliche Militärmächte die Folgen eines Cyberkrieges nicht abschätzen können, würden sie imMoment Staaten mit schwachem konventionellem Militär aus Angst vor digitalenKonflikten respektvoller behandeln.
Ein Mythos, so Adam Liff, sei es, dass hoch entwickelte Cyberwaffen billig und leicht verfügbar sind. Ihre Entwicklung erfordere viel Geld, Zeit und einen hohen Geheimhaltungsaufwand. Akteure wie das Terrornetzwerk Al Kaida haben laut Liff nicht die finanziellen Mittel, um die Infrastruktur von gut geschützten Staaten zu schädigen.
Das siehtWieland Alge ähnlich. Trotzdem lässt ihn die Tatsache, „dass es Sachen wie Flame gibt, schlecht schlafen“. Er vermutet, dass vor allem in derWirtschaftsspionage viele „flameartige Dinge herumgeistern“. Die zwar keinen Cyberwar, keinen Krieg zwischen zwei Ländern, heraufbeschwören werden, aber Volkswirtschaften nachhaltig schädigen. „Digitales Armageddon“will Alge keines voraussagen. „Das haben andere in den letzten Jahrzehnten lange genug getan.“