Genug ist nicht genug
Der bayerische Sänger und Poet Konstantin Wecker über sein ausschweifendes Leben und die Gefahr moralinsaurer Begriffe.
Ihm war nichts Menschliches fremd. Und auch heute noch, im Alter von inzwischen 65 Jahren, lebt er. Voller Hingabe und bisweilen über die Grenzen hinaus. Vorsätzlich. „Und im Dienste der Wissenschaft“, wie Konstantin Wecker – freilich im Scherz – bemerkt. „Ich erkunde, wie viel man so einem Körper noch zumuten kann . . .“
„Luxuria“heißt sie, diese eine der sieben Todsünden, und beschreibt die Ausschweifung und auch die Wolllust. Dinge, die auch Wecker immer wieder beschrieben hat in seinen vielen Liedern. Und es kommt wohl nicht von ungefähr, dass ausgerechnet die Platte „Genug ist nicht genug“aus dem Jahre 1977 den endgültigen Durchbruch des damals 30-Jährigen bedeutete. „Auszuschweifen ist schön und gleichzeitig auch notwendig, aber man muss selbst erkennen, wie viel Ausschweifen man sich gestatten darf. Ich selbst habe es lange Zeit nicht erkannt.“Stichwort Kokain, doch dazu später.
Wie hat er damals, am Beginn seiner großen Karriere, gesungen und singt es heute noch? „Komm, wir brechen morgen aus / und dann stellen wir uns gegen den Wind. / Nur die Götter geh’n zugrunde, / wenn wir endlich gottlos sind. / Auf den ersten Rängen preist man / dienstbeflissen und wie immer die Moral. / Doch mein Ego ist mir heilig / und ihr Wohlergehen ist mir sehr egal. / Genug ist nicht genug, / ich lass mich nicht belügen. / Schon Schweigen ist Betrug, / genug kann nie genügen.“
„Dieses Lied ist das Lied eines 30-Jährigen. Heute würde ich es so nicht mehr schreiben“, sagt das Kraftpaket aus Bayern am Vormittag nach einem Konzert, und die etwas angeschlagene Stimme verrät, dass er nach dem Auftritt noch ein Rendezvous mit der Ausschweifung hatte. Aber auch das ist nichts Neues und oft besungen:„Was für eineNacht – / so warm und geduldig, / setzt euch näher zu uns her, / schenk noch einmal ein. / Das wird ein Fest, / ohne Marschmusik und Fahnen, / ohneWaffen und Grenzen, / lieber grenzenlos Wein.“
Aber warum sagt er nun, dass er „Genug ist nicht genug“so nicht mehr schriebe? „Wegen einer Zeile, wegen ,Doch mein Ego ist mir heilig‘. Natürlich ist das Ego eine wichtige Sache, aber mit den Jahren sollte man es doch ein wenig hintanstellen und nicht unbedingt heiligsprechen.“
DerWeg in die Hölle
Mit dem Begriff „Todsünde“hat Wecker ganz allgemein so seine Schwierigkeiten. „Ich bin in der Schule, im Internat, sehr streng katholisch erzogen worden. Die Lehrer haben uns eingebläut, dass die Sünde, dieTodsünde, unwiderruflich in die Hölle führt. Und das kann junge Mädchen und Buben so verschrecken, dass sich das einbrennt in der Seele. Die Lehrer waren so etwas wie die Gesetzgeber und Gott der verlängerte Arm dieser Gesetze, weil er ja alles sieht. Für mich gab es daher meinen lieben Papa und nicht den lieben Gott. Der liebe Gott hat mir Angst gemacht.“Und so beschlich den Freidenker KonstantinWecker auch noch im Alter von über 50 Jahren ein sehr mulmiges Gefühl, als er ein Amt betrat und aus der Kirche aus. „Ich fürchtete, ein Blitz könnte mich treffen oder die Erde sich auftun und mich verschlucken, so tief war das eingegraben in mir. Aber wir schweifen ab.“
Stimmt, also wieder zurück zur Ausschweifung. „Das ist“, sagt Wecker, „in erster Linie einmal einwunderschönesWort. Auszuschweifen an einem sonnigen Sommersonntag, Muße zu haben auf dem Weg von A nach B, sich Dinge anzuschauen, zu riechen,