Eine Liebeserklärung an Raissa
Michail Gorbatschow hat sein fünftes Buch geschrieben, eine Autobiografie: Die widmet der einstmals mächtigste Mann der Sowjetunion nicht nur der Politik, sondern seiner verstorbenen Frau.
Wenn jemand viel Außergewöhnliches erlebt und geleistet hat, bleibt ihm oft nur, mit den ganz gewöhnlichen Dingen des Lebens zu punkten. Kreml-Herrscher legen im AllgemeinenWert darauf, ihr Privatleben abzuschirmen und stattdessen mit den Errungenschaften ihrer Macht zu prahlen. Michail Gorbatschow dagegen widmet einen großen Teil seiner Autobiografie einer zärtlichen Liebeserklärung an verstorbene Frau Raissa, die er im Studentenalter kennenlernte und die sein Leben prägte – auch über ihren Tod 1999 hinaus. Von der ersten Begegnung mit dem „eleganten, sehr zarten, rothaarigen Mädchen“, das anfangs keinerlei Interesse an ihm zeigte, erzählt Gorbatschow im Detail. Von den Treffen auf denMoskauer Lenin-Bergen, von seinen doch mäßig geschickten Versuchen, näher mit ihr in Kontakt zu kommen. „Ich reagierte idiotisch“, schreibt der 82-Jährige in der Rückschau. Das erste Händchenhalten, Eis-Essen, sogar von einer Abtreibung berichtet er. Stellenweise erfährt man mehr, als einem lieb ist, und doch wird deutlich, dass auch die Beziehung, die Gorbatschow mit seiner Frau führte, außergewöhnlich war. Dass er gerade auch ihren Tod mit den politischen Konflikten in Verbindung bringt, die mit dem Zerfall der Sowjetunion auch sein persönliches Karriereseine Ende bedeuteten, verleiht dem Schicksal der beiden etwasTragisches.
Gorbatschow lässt in dem 550Seiten-Wälzer wichtige Stationen seines Lebens Revue passieren. Es gelingt ihm, über seine Verdienste beim Fall der Berliner Mauer zu schreiben, ohne sich übermäßig zum Helden zu stilisieren. Zugleich nutzt er die Gelegenheit, die in Russland bis heute nicht verstummende Kritik zu entkräften, mit Glasnost und Perestroika habe er der Sowjetunion den Todesstoß versetzt. „Mir tut es heute noch leid, dass ich das Schiff, an dessen Steuer ich stehen durfte, nicht in ruhige Gewässer habe lenken können“, bedauert er. Doch die wilden Wasser spülten Veränderung herbei. „Was die Gegner und Kritiker der Perestroika heute auch sagen mögen, es war eine wunderbare Zeit“, schreibt Gorbatschow. „Wir haben den Menschen frei gemacht“. NINA KOREN