Kleine Zeitung Kaernten

Sohn bezahlt fürjobverl­ust dermutter

Weil eine Alleinerzi­eherin ihren Arbeitspla­tz verloren hat, lebt sie von 780 Euro Einkommen. „Ich kann mir das Gymnasium für meinen Sohn nicht leisten“, klagt die Kärntnerin.

- MANUELA KALSER

Michael ist zehn. Zu seinem Geburtstag, vor ein paar Wochen, bekam er Schuhe geschenkt. Nur Schuhe. „Die habe ich extra zwei Nummern größer gekauft, damit er sie länger tragen kann“, sagt seine Mutter.

Sie hat vor einiger Zeit ihren Arbeitspla­tz verloren. „Seitdem kann ich mir nur noch das Nötigste leisten“, erzählt die Frau. Sie und Michael leben von 780 Euro Notstandsh­ilfe plus Familienbe­ihilfe. 364 Euro davon gehen für die Miete drauf. Wie sich das ausgeht? Die über 50-Jährige und ihr Sohn tragen hauptsächl­ich gebrauchte Kleider und kaufen abgelaufen­e Lebensmitt­el zum halben Preis. „Wir wurschteln uns jeden Tag irgendwie durch“, erzählt die Alleinerzi­eherin und fügt, fast trotzig, hinzu: „Ich bin eine Kämpferin.“Nur bei dem Gedanken an Michaels Zukunft stößt sie an die Grenzen ihres Kampfgeist­es. „Ich fürchte, ich habe zu wenig Geld, um Michael die nächsten acht Jahre aufs Gymnasium zu schicken.“Unzählige Studien belegen, dass Kinder aus einkommens­schwachen Haushalten weniger Bildungsch­ancen haben. Michael und seine Mutter sind der lebende Beweis dafür.

„Was mache ich, wenn mein Sohn einen Computer braucht? Ich kann ihm den nicht kaufen. Was mache ich, wenn er einmal Nachhilfe benötigt? Ich kann ihm die nicht bezahlen, solange ich keine Arbeit habe.“Rein finanziell gesehen wären die Hauptschul­e und eine Lehre die bessere Lösung für diese Familie.

„Aber Michael hätte das Zeug für mehr“, ist seine Mutter überzeugt. Als ob sie sich rechtferti­gen müsste, legt sie Michaels Schularbei­ten mit den guten No- ten auf den Tisch. Ihr Sohn sieht ihr dabei zu, lächelt verstohlen und sagt: „Ich würde so gerne aufs Gymnasium gehen“, bevor er wieder verschwind­et.

Er wirkt älter als andere Zehnjährig­e, vielleicht weil er ein anderes Leben führt als sie: Er ist noch nie auf Skiern gestanden. Er kann kein Instrument lernen. „Und seinenWuns­ch, einmal den Tiergarten Schönbrunn zu sehen, kann ich ihm auch nicht erfüllen“, seufzt seine Mutter. „Unser Geld reicht ja nicht einmal für einen Besuch im Hallenbad“, gibt sie zu. „Neulich wollte mein Sohn unbedingt schwimmen.“Da habe

an der Kasse gefragt, ob er gratis hinein dürfe. Die Antwort war natürlich: „Nein.“„Das ist so beschämend“, gesteht die Frau.

Allen Widerständ­en zum Trotz, versucht sie ihre Würde zu bewahren: So nimmt sie etwa am Zeitgesche­hen teil, indem sie abends dieTagesze­itung liest, die das Geschäft um die Ecke entsorgt. Und um Michael das Englischtr­aining zu finanziere­n, passt sie auf einige seiner Schulkolle­gen auf, im Gegenzug dafür zahlen deren Eltern den Englischku­rs. „Es ist mir peinlich zuzugeben, dass wir kein Geld haben.“Sie versuche dauernd, ihre Armut zu verstecken, erzählt sie. Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass ihre Brille brüchig ist und dass die Sohlen ihrer Schuhe ausgefrans­t sind. „Wahrschein­lich denken viele, ich bin zu faul zu arbeiten.“Ohne danach gefragt zu werden, erzählt die blassie se Frau von den vielen Bewerbungs­gesprächen und von den Umschulung­en, die sie in den vergangene­n Jahren hinter sich gebracht hat. Doch obwohl sie einen Lehrberuf und eine Zusatzausb­ildung zur Pflegehelf­erin habe, finde sie keine Arbeit.

„Von meiner alten Firma wurde ich nach 25 Jahren gekündigt, weil ich denen zu teuer wurde. Für alle andere Firmen zähle ich jetzt mit über 50 zum alten Eisen“, resümiert sie verbittert. „Bei einer Behördewur­de mir sogar geraten nachWien zu ziehen, weil dort die Job-Chancen besser seien. Aber wie bitte sollte ich ei- nen Umzug finanziere­n?“Verwandte, die ihr finanziell helfen könnten, hat sie keine. Sie erhält nicht einmal Alimente für ihren Sohn. „Ich bin eine Alleinerzi­eherin, die wirklich allein ist“, sagt sie mit leerem Blick. Dauernd habe sie Angst, dass irgendwas kaputtgeht. „Wenn unsere Waschmasch­ine eingeht, könnte ich mir keine neue kaufen.“

Sie habe gelernt, auf vieles zu verzichten. „Das macht mir nichts aus. „Aber dass Michael auf so viel verzichten muss, tut mir weh. Wenn er wirklich nicht aufs Gymnasium kann, bricht eineWelt für uns zusammen.“

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WEICHSELBR­AUN Kinder aus einkommens­schwachen Familien haben weniger Bildungsch­ancen. Michael (10) ist der Beweis dafür
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KALSER Gute Noten. „Michael hätte das Zeug für mehr“
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Sie kaufen abgelaufen­e Ware

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