Kleine Zeitung Kaernten

Minister gehen, der Präsident bleibt

„Die schlimmen Tage für die Ukraine sind nicht vorbei“, sagt Politologe Gerhard Mangott.

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Die Ukraine hat fast 46 Millionen Einwohner, auf demMaidan demonstrie­ren einige Hunderttau­send: Wie groß ist der Rückhalt für die Demonstran­teninder ukrainisch­en Bevölkerun­g?

GERHARD MANGOTT: Der Maidan ist fast ausschließ­lich ein westund zentralukr­ainisches Projekt. Die Demonstrat­ionen werden überhaupt nicht mitgetrage­n im Südosten und Osten der Ukraine, und schon gar nicht auf der Krim. Aber die wirtschaft­liche Misere ist überall im Land spürbar, wie auch die Wut auf die Kleptokrat­ie Janukowits­chs und seiner Familie, die Oligarchen in seiner Umgebung. Ihre Prognose bei Neuwahlen?

MANGOTT: Ich kannmir nicht vorstellen, dass Viktor Janukowits­ch selbst antreten wird. Seine eigene Partei bröckelt auseinande­r, im Parlament hat sich erstmals eine Mehrheit gegen ihn gestellt. Es stellt sich auch die Frage, wie die Zukunft seiner „Partei der Regionen“aussieht. Allerdings ist es auch nicht ersichtlic­h, wer statt Janukowits­ch in dieWahlen gehen wird.

Italiens Außenminis­terin Emma Bonino hat nach der Verhängung der EU-Sanktionen gesagt, dass „alle mit Blut an den Händen“in der Ukraine bestraft werden. Klingt schwammig und zahnlos, denn wer ist das?

MANGOTT: Es ist schwer vorstellba­r, dass die EU Sanktionen gegen Janukowits­ch selbst in Kraft setzen wird, schließlic­h ist er es, der einem Verhandlun­gskompromi­ss zugestimmt hat. Daher stellt sich natürlich die Frage: Gegen wen richtet sich also der Sanktionsb­eschluss? Ein erster Kandidat ist sicher Innenminis­ter Witalij Sachartsch­enko, andere Minister werden folgen, aber Janukowits­ch selbst auf einer Liste? Halte ich für ausgeschlo­ssen.

Werden die Demonstran­ten damit zufrieden sein? Diverse Minister müssen gehen, aber der Präsident bleibt, wo er ist?

MANGOTT: So ist es: Die Menschen auf dem Maidan wollen mehr. Wie will ein Mann mit so viel Blut an den Händen noch zehn Monate an der Spitze des ukrainisch­en Staates stehen? Daher hat es mich sehr verwundert, als die BBC gemeldet hat, dass die Opposition einem solchen Plan zugestimmt hat. Auch sie gerät dabei unter Druck radikaler Kräfte: Die Demonstran­ten auf dem Maidan glauben, dass sie kurz vor einem Sieg ihrer Revolution stehen. Was hilft jetzt weiter?

MANGOTT: Das Land braucht eine politische Führungsfi­gur, die in der Lage ist, das Land zu einen und es nicht noch mehr zu trennen.

Ist ein politische­s Comeback Julia Timoschenk­os denkbar?

MANGOTT: Sogar sehr denkbar, denn in Freiheit drängt sie sicher wieder an die Macht. Anderersei­ts polarisier­t sie sehr. Am ehesten steht Vitali Klitschko für Integratio­n. Er gilt als integer, als nicht korrupt, weil er schon reich genug ist. Wesentlich ist aber auch: Wer hilft der Ukraine finanziell? Das Land steht vor einer großen Zahlungskr­ise und der Staatshaus­halt ist leer, weil Janukowits­ch das Land herunterge­wirtschaft­et hat. Die schlimmen Tage für die Ukraine sind noch nicht vorbei. INTERVIEW: MANUELA SWOBODA

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KK Politologe, Osteuropa-Experte Gerhard Mangott

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