Kleine Zeitung Kaernten

Die innere Zerreißpro­be der Ukraine

Seit der Staatsgrün­dung 1991 lebt die Ukraine im Spagat zwischen Europa und Russland. Die Trennlinie­n verlaufen aber nicht nur geopolitis­ch.

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Das Blutbad in der Ukraine und der Zorn auf die Regierung hat die Gräben zwischenWe­sten und Osten vertieft. Lemberg imWesten erklärte sich für unabhängig, die Halbinsel Krim zieht es nach Russland. Ein Zerfall des Landes scheint nicht mehr unrealisti­sch.

Die Zerrissenh­eit des ExSowjetla­ndes ist nicht neu: Die Ukraine ist seit ihrer Staatsgrün­dung 1991 ethnisch, religiös und sprachlich gespalten: Die Westukrain­e gilt als struktursc­hwach, aber proeuropäi­sch. Mehr als die Hälfte aller seitMonate­n auf dem Maidan ausharrend­en Regierungs­gegner reisten vomWesten aus nach Kiew. Das spiegelt die Herkunfts-Grafik der Todesopfer, die in sozialen Netzwerken aufgetauch­t ist, wider.

In weiten Teilen des Ostens und Südens sprechen mehr als 50 Prozent der Menschen Russisch (siehe Grafik), die Mentalität ist nach wie vor sowjetisch geprägt. Die Trennlinie verläuft aber auch abseits der geopolitis­chen Lage: Während die Jungen, auch die gebildeten im Osten, zu Europa tendieren, fühlen sich viele Ältere tendenziel­l stärker Russland zugehörig. Oder aber niemandem. Höchstens ihrer Region. Oder einer Minderheit.

Dabei verlaufen die Trennlinie­n im Land unscharf: „Auch im Westen existiert mit Transkarpa­tien eine relativ prorussisc­he Region“, erklärt der deutsche Politologe Andreas Umland. Eine schnelle Spaltung – ähnlich der Tschechosl­owakei in Tschechien und Slowakei – erscheint für den Ukraine-Experten unwahrsche­inlich. Ein Festhalten an der Ukraine als Staat sieht er „letztlich dennoch als einzige Chance“ für eine Zukunft des Landes zwischen Europa und Russland.

Eine Abspaltung der KrimHalbin­sel scheint denkbar – ähnlich Georgien. Dort haben sich die Regionen Südossetie­n und Abchasien von Tiflis gelöst, 2008 begann der Krieg und Georgien verlor jegliche Souveränit­ät über die Regionen, die heute praktisch russische Protektora­te sind. „Diese Spaltung wäre nicht friedlich“, betont Umland.

Und noch eines muss man verstehen: Als letzter GUS-Staat ersetzte die Ukraine 1996 die sowjetisch­e Verfassung durch eine mit Grundsätze­n wie Gewaltente­ilung, Rechtsstaa­tlichkeit, Garantie der Menschenre­chte oder Recht auf Privateige­ntum sowie Grund und Boden.

Die Gegenposit­ionen haben sich arrangiert. Einen ernsthafte­n Versuch der Regierung, den Osten oder Süden zu integriere­n, gab es nicht. Ob sich die Krim abspaltet, hänge laut Experten nicht von den Bewohnern ab, sondern der Aufnahmefr­eude Russlands.

JULIA SCHAFFERHO­FER

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APA, KK Nach den blutigen Ausschreit­ungen reichten sich gestern in Kiew Polizisten und Demonstran­ten die Hand

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