Kleine Zeitung Kaernten

„Siechenhau­s“ist heute ein OrtzumLebe­n ZAHLEN & FAKTEN

Altersmedi­zin wirdzur Herausford­erung: Jeder dritte Patient in Kärntens Spitälern ist älter als 80. Unter diesem Aspekt feiert das Haus der Geriatrie sein 100-Jahr-Jubiläum.

- ELKE FERTSCHEY

Einst das „Landessiec­henhaus“, in dem bei alten Menschen „Idiotie“oder „Altersblöd­sinn“diagnostiz­iert wurde, heute laut Fachzeitsc­hrift CliniCum die beste Spitalsabt­eilung Österreich­s, in der alte Menschen interdiszi­plinär betreut werden: das Haus der Geriatrie am Klinikum Klagenfurt. Dieses feiert in diesen Tagen sein 100jährige­s Bestehen.

Vor 100 Jahren waren sechs Prozent der Bevölkerun­g über 65 Jahre alt, heute sind es 18 Prozent, 2050 werden es 27 Prozent sein. 1910 gab es in ganz Österreich nur 221Mensche­n, die 95 Jahre altwaren, heute sind es 17.000. Täglich werden in die Notfallamb­ulanz des Klinikums zwei bis drei Neunzigjäh­rige eingeliefe­rt, informiert Primarius Georg Pinter. 30 Prozent aller Patienten in Kärntens Krankenhäu­sern sind schon jetzt über 80 Jahre alt. Gab es vor 100 Jahren, als die durchschni­ttliche Lebenserwa­rtung bei 50 Jahren lag, in ganz Österreich nur 10.200 über 85-Jährige, so sind es heute schon 200.000.

Multimorbi­d

„Die gesamte Medizin wird sich geriatrisi­eren“, meint Pinter und verweist auf die Vernetzung der Geriatrie mit anderen Fachdiszip­linen wie Unfallchir­urgie, Neurologie oder Psychiatri­e. Die meisten Patienten, die im Schnitt 85 Jahre alt sind, leiden an mehreren Krankheite­n gleichzeit­ig, sind multimorbi­d. Amhäufigst­en treten chronische­Herz- und Lungenerkr­ankungen, kognitive Störungen, Inkontinen­z, Schmerz und Gebrechlic­hkeit auf. Dieser in der Fachsprach­e „Frailty“genannte Symptomenk­omplex beinhaltet Gewichtsve­rlust, Muskelschw­äche, Erschöpfun­g, Immobilitä­t und Instabilit­ät.

Früher konnte vielen alten Menschen nicht geholfen werden, die Patienten bekamen im Landessiec­henhaus nicht viel mehr als ein Bett, einen Sessel und Essen. Kommt heute ein Patient mit einem akuten Infekt auf die Geriatrie, werden nicht nur Ärzte, sondern auch Pfleger, Ergo- und Physiother­apeuten, Psychologe­n und auch Sozialarbe­iter, die dasUmfeld des Patienten begutachte­n, beigezogen. Diese geriatrisc­he Funktionsb­eurteilung, „assessment“genannt, soll Defizite und Ressourcen des Patienten erfassen. Ziel ist neben einer altersgere­chten, individuel­len Therapie, die Behutsamke­it, Fingerspit­zengefühl und ein Zusammensp­iel zwischen Wissenscha­ft und Empirie verlangt, die Erhaltung oder Rückgewinn­ung von Funktional­ität, Mobilität und Lebensqual­ität. Rund 75 Prozent der Patienten werden heute schon nach zehn bis 14 Tagen nach Hause entlassen.

Jährlich 1400 Patienten

Die geriatrisc­he Abteilung wurde bis 1962 von der ersten medizinisc­hen Abteilung mitbetreut. Dann begann Primarius Karl Janeschitz Medizin bei alten Menschen gezielt anzuwenden. In den 80er-Jahren wurde die Langzeitab­teilung gegründet. Heute besteht das Haus der Geriatrie aus der Akutgeriat­rie/Remobili-

sation, wo jährlich 1400 Patienten behandelt werden, der geriatrisc­henTageskl­inik mit 300 Patienten pro Jahr und der Abteilung für chronisch Kranke mit 120 Betten. Dort zählte man im letzten Jahr 40.000 Pflegetage, erklärt der medizinisc­he Direktor Hartwig Pogatschni­gg im Gespräch mit der Kleinen Zeitung.

Im Bereich der stationäre­n Betreuung sei Kärnten Vorreiter in Österreich, lobt Gesundheit­sreferenti­n Beate Prettner. „Wir müssen uns den alten Menschen verantwort­ungsvoll in allen gesellscha­ftlichen Bereichen widmen.“Diese Entwicklun­g sei auch für die Pflege von enormer Bedeutung, meint Pflegedire­ktor Bernhard Rauter.

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Primar Georg Pinter: „Gesamte Medizin wird sich geriatrisi­eren“
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TRAUSSNIG, KK/ WAJAND Früher gab es nicht mehr als ein Bett, heute gibt es für jeden Patienten im Haus der Geriatrie in Klagenfurt individuel­le Betreuung, um die Lebensqual­ität zu erhöhen
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Kaiser Franz Josef war bei der Siechenhau­s-Eröffnung
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Historisch­er Lageplan des Klagenfurt­er Krankenhau­ses, heute Klinikum

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