Verführungstheater
Erfolgsautorin Yasmina Reza (54) legt in „Glücklich die Glücklichen“das Gefühlschaos hinter den Fassaden des Bürgertums frei.
UTE BAUMHACKL
Schweizer Käse oder Morbier? An dieser Lächerlichkeit entzündet sich im Supermarkt zwischen Robert und Odile ein mieser kleiner Streit. Ihre Freunde Pascaline und Lionel verheimlichen, dass ihr Sohn Jacob sich für Céline Dion hält und anstatt ein Auslandspraktikum zu absolvieren, in der Geschlossenen sitzt. Odile fängt sich bald ein Verhältnis mit einem Arbeitskollegen an; ihr Vater, ein pensionierter Banker, beschließt sich verbrennen und seine Asche verstreuen zu lassen; eine weitere Kränkung für seine routiniert unter ihm leidende Frau Jeannette.
Insgesamt achtzehn Persönlichkeiten schildert und verknüpft Yasmina Reza in den 21 kurzen Kapiteln ihres Romans „Glücklich die Glücklichen“; aus scheinbar beliebigen Alltagsepisoden baut sie ein Beziehungsgeflecht aus Familien, Paaren, Einzelgängern, ihren Sorgen, Sehnsüchten, Enttäuschungen.
Das Buch war in Rezas Heimat Frankreich ein Instant-Hit; kein Wunder, wie auch in ihren Erfolgsstücken „Kunst“oder „Der Gott des Gemetzels“zeigt sich dieAutorin hier als präzise Beobachterin des Umgangstons und der Fährnisse eines gehobenen urbanen Bürgertums, das sich in seinerWelt nur so lange selbstsicher bewegt, als niemand hinter die Maske seiner Unverwundbarkeit blickt. Aber dahinter spielt es sich ganz schön ab.
Der erfolgreiche Arzt sucht sehnsüchtig den Bois de Boulogne nach dem einen Stricher ab, der ihn tröstet wie kein anderer. Die schöne Schauspielerin ringtumihre Souveränität, als sie mitten in einem Interview ihren Geliebten mit einer anderen das Lokal betreten sieht. Ihr junger Fahrer Damien beginnt enttäuscht, „das ganze Verführungstheater“ zu hassen, als die süße Kostümassistentin seine Liebe nicht erwidern mag. Seine Eltern geraten sich wegen einer verpatzen Bridge-Partie in die Haare und müssen noch nach Jahrzehnten ihre Einsamkeit miteinander voreinander verbergen.
Gut dosiert in Witz und Sentimentalität, brillant in der Beiläufigkeit von Schmerz, Verzweiflung, Hoffnung schildertReza die Flüchtigkeit des Glücks und lässt ihren vielfältig scheiternden Protagonisten dabei immerRaumfür einen Neubeginn oder wenigstens den nächsten Schritt. Das ist das dann letztlich doch wohlfeil Tröstliche an diesem leichtfüßigen Bürgerroman.