„. . . ist die Absenz von Lüge“
ORF-Moderatorin Claudia Reiterer erzählt, was es sie lehrte, als Pflegekind aufzuwachsen: Der Herkunft entkomme man schwer, Bildung sei ein Ausweg.
Sie waren Heimkind, Pflegekind, Klosterinternatsschülerin. Heute sind Sie Ehefrau und Mutter eines Neunjährigen. Wer oderwas ist für Sie Familie?
Meine Familie, das sind heute mein Mann und mein Sohn; spätestens seit ich mit 15 Jahren ins Internat für Krankenschwesternschülerinnen kam, waren das aber auch gute Freundinnen und Freunde. Ich wurde im Mai 1969 von einem Wiener Kinderheim an eine Pflegefamilie in der Steiermark ausgeliefert . . . Ausgeliefert?
Das Wort ist bewusst gewählt. Sie lieferten uns mit einem Lastwagen aus, zwei Kinder hier, drei dort. Aufgrund meinesNachnamens wusste ich immer, dass es nicht meine biologische Familie war. Meine Pflegeeltern hatten bereits eine leibliche Tochter, meine Schwester Marianne, die körperlich sehr schwer behindert
CLAUDIA REITERER:
REITERER:
war, und viel Zuwendung brauchte, da blieb für uns drei Pflegekinder nicht mehr viel Kraft übrig. Seit Lothar und Julian definiere ich es so: Familie ist Anwesenheit von sehr viel Liebe und die Absenz von Lüge; das Nest, in dem man immer willkommen ist, auch wenn man Mist gebaut hat.
Familie als Abwesenheit von Lüge – haben und hatten nicht alle Familien immer ihre Geheimnisse und Tabuthemen?
Freundinnen von mir – ein lesbisches Paar – haben einen kleinen Sohn, der mittels einer anonymen Samenspende gezeugt wurde. Bekannte rieten ihnen, zu erzählen, sein Erzeuger sei einUrlaubsflirt gewesen. Was hieße das für den Buben, wenn er es später herausfinden würde? Nicht nur, dass er ein Unfall gewesen sein sollte, sondern auch, dass seine Familie ihn belogen hätte. Obwohl er in Wahrheit ein absolutes Wunschkind ist! Aber ich kann
REITERER: