Der Krieg und die Bilder
In unserer Redaktion gibt es klareRegeln imUmgang mit Schreckensbildern: Wir zeigen keine Toten. Auch nur die Andeutung empört manche Leser. DasTitelbild vomtödlichen Geisterfahrer-Unfall, das im Hintergrund klein das ausgespannteTuch zeigte, hinterdem man die Opfer vermuten konnte, war manchen schon zu viel, zu indiskret. Dennoch war es richtig, die Folgen von Alkoholismus am Steuer deutlich zu zeigen. Niemand muss die Toten sehen, um das zu verstehen.
Gilt das auch für Bilder vom Krieg? Unsere heutige Umfrage zum Thema fiel weniger eindeutig aus. Gewichtige Stimmen sprechen sich für die Publikation von Aufnahmen aus, die das Unaussprechliche zeigen. Bilder dieser Art könnten das Bewusstsein der Betrachter schärfen, gar Kriege beenden.
Es ist wohl kein Zufall, dass die beiden Kollegen, die den Gräueln des Krieges in ihrem Berufsleben am nächsten gekommen sind, diese Ansicht nicht teilen. Karim el-Gawhary, der für den ORF und „Die Presse“aus dem Nahen Osten berichtet, wirkt angewidert vom weitgehend ungefilterten Gebrauch von Gewaltbildern in arabischen Medien. Der Fotograf Marco Longari, der zahlreiche Kriege dokumentiert hat – zuletzt den in Gaza –, gerät geradezu in Zorn, wenn der Gebrauch drastischer Fotos zur Sprache kommt. Er hält deren Publikation für billiges Kalkül undglaubt nicht an den behaupteten pädagogischen Nutzen. Seine eigenen Fotos zeigen natürlich auch den Krieg. Sie beweisen, dass sich der Schrecken desKrieges auch ohne Leichenteile vermitteln lässt, unter Wahrung der Würde der Opfer. Sie wirken stärker, weil sie den Reflex des Wegdrehens nicht auslösen.
Terror lebt von Schreckensbildern. Sie verbreiten lähmende Furcht und dienen der Rekrutierung von Kämpfern. Willkürliche Machtausübung über Leben und Tod lockt junge Männer und Frauen in Zonen völliger Rechtlosigkeit. Dort steht die kaiserlich-römische Geste des gesenkten Daumens jedem zuGebot, der sich auf das tödliche Spiel einlässt. ero nennt die Regisseurin Kathryn Bigelow den Dealer in ihrem düsteren Film „Strange Days“. Nero handelt mit digitalen Totalsimulationen von Gewaltakten. Wie Drogen ziehen sich Menschen die grauenerregenden wirklichen Erlebnisse anderer ins Hirn und kommen nicht mehr los davon. Bigelow streift der Gedanke gar nicht, das geklonte Entsetzen könnte abschreckende oder gar heilende Wirkung ausüben. Es zieht die Süchtigen nur tiefer hinein in den Strudel der Abhängigkeit von immer stärkerem „Stoff“für ihr verarmtes Gefühlsleben.
Warum sollte das in der wirklichenWelt anders sein? Gewalt fördert Gewalt, sonst nichts.
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