StillerSezierer der Abgründe
Florian Flicker durchleuchtete in seinen Filmen die Seelenlandschaften Österreichs. Er starb im Alter von 49 Jahren an Krebs.
Er zählte zum engen Kreis des viel beschworenen „österreichischen Filmwunders“: Florian Flicker war der stillste unter den international prämierten Regisseuren. Einer, der sich seine Worte genau zurechtlegte. Einer, der seine aus Beobachtungen genährten Zweifel ins mitfühlende Sezieren menschlicher Seelenlandschaften steckte. Zwei Tage nach seinem 49. Geburtstag erlag der gebürtige Salzburger am Samstag einem Krebsleiden.
Flicker näherte sich seinen Figuren intuitiv an. Er liebte das Kammerspiel, menschliche Abgründe in scheinbaren Idyllen, undurchsichtige Zwischentöne, das Sezieren des typisch Österreichischen, ambivalente Gefühlswelten. Und in diese entließ er Zuseher seiner Filme oft.
In „Grenzgänger“zum Beispiel pflanzte er eine verstörende Dreiecksgeschichte in Niederösterreichs Grenzsumpf der March-Au rund um einen Wirt und seine Frau, die sich in einer kriminellen Idylle eingenistet haben und ihr Gehalt mit Fluchthilfe aufbessern. Der Schein kippt, als ein Grundwehrdiener auf das Pärchen angesetzt wird. Gastfreundschaft und Fremdenfeindlichkeit an einemWirtshaustisch. Blicke sagen in diesem archaischen Machtspiel mehr als Worte. Ein nervenaufreibender Sog, der Zuschauer an ihre Grenzen
Im Kammerspiel „Grenzgänger“sagt ein Blick von Schauspielerin AndreaWenzl mehr alsWorte
treibt, den die Jury beim Österreichischen Filmpreis 2003 mit drei Preisen – u. a. für Flickers Drehbuch – bedachte und der auch in Sarajevo punktete.
Eine Filmschule besuchte Flicker nie, erst später, schon erfolgreich, dozierte er an der Wiener Filmakademie. Er war Autodidakt, der auf Super 8 in Kurzfilmen wie „Landscape“oder „Colors Farben Couleurs“experimentierte, seinen Zugang zu Film in Kollektiven von Hamburg bis Wien auslotete.
Einem breiteren Publikum bekannt wurde seine Arbeit durch den tragikomischen Film „Der Überfall“(2000) mit Roland Düringer und JosefHader. ImGenrefilm fühlte sich Flicker, der selbst ein Grenzgänger war, wohl – davon zeugen das Roadmovie „SuzieWashington“(1998), die Doku „No Name City“(2006) oder bereits sein Science-Fiction-Kultfilm „HalbeWelt“(1993). Bei der Diagonale bedankte sich Flicker 2001 für den Großen DiagonalePreis mit dem skeptischen Satz: „Es kann bei der Verschiedenheit unserer Arbeiten eigentlich keinen Gewinner geben.“
Beim stillen, aber unnachgiebigen Sezieren und Grenzenüberschreiten hätten wir ihm – wie auch dem im April verstorbenen Michael Glawogger – gerne noch länger zugesehen.
JULIA SCHAFFERHOFER