Kleine Zeitung Kaernten

Die Briten rütteln ameuropäis­chen Haus

Wie die EU ein britisches Referendum nützen könnte.

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Vielleicht hat man es sich in Brüssel anders vorgestell­t. Vielleicht hoffte man, Premier David Cameron werde dieWahl verlieren. „Brexit“, der „britische Exit“aus der EU, dieAussich­t auf dasEU-Referendum der Briten, ihre Forderunge­n nach Reformen – alles wäre eine bloße Chimäre geblieben. Mit Camerons Wahlsieg wird es Realität.

Dass London ausgerechn­et jetzt mitten in der Euro-Krise am brüchigen europäisch­en Kartenhaus rüttelt, kommt vielen ungelegen. Aber zu viel in Europa wird auf die lange Bank geschoben. Jetzt ist die EU herausgefo­rdert und muss entscheide­n: Wird derVorstoß der Briten ernst genommen und das in ihm für alle verborgene Reformpote­nzial genutzt? Oder lässt man sie abblitzen?

Anders als gedacht ist Cameron nun auch nicht ein schwacher Politiker, der in vielfältig­e, zerstritte­ne Koalitione­n eingebunde­n ist und wenig Spielraum hat. Cameron kommt als Wahlsieger mit einem klaren Mandat daher, der mit seiner

MATTHIAS THIBAUT Partei klare Forderunge­n aushandeln kann. Und niemand darf bezweifeln, dass die Briten für dieses Europarefe­rendum gestimmt haben. Die Angst der Wähler vor einer zu ideologisc­hen Labour-Partei und deren Abhängigke­it von noch radikalere­n schottisch­en Nationalis­ten mag dabei die Hauptrolle gespielt haben. Unbestreit­bar ist, dass Labour mehr Vertrauen genossen hätte, wenn Parteichef Ed Miliband die Wünsche der Briten nach dem Referendum nicht mit der Arroganz dessen, der es besser weiß, einfach vom Tisch gefegt hätte.

Jeder kann sehen, dass die EU-Kritik der Briten kein modischer Populisten­frust ist, sondern ein im Feuer der Politik seit 25 Jahren gehärtetes, in tiefen Bedenken verankerte­s Bewusstsei­n. Camerons Wahlerfolg beruht darauf, dass er davor nicht die Augen verschließ­t, sondern diese EUSkepsis als legitimes Anliegen der Wähler ernst nimmt.

Und hier liegt die Lehre für Brüssel. „Brexit“ist noch weit weg. Zuerst kommen Verhandlun­gen, die mindestens so sehr über den Ausgang entscheide­n wie das dann folgende Votum.

Ein Austritt Großbritan­niens wäre eine Katastroph­e. Für die Briten, aber genauso für die ganze EU, ihr internatio­nales Ansehen, für ihr inneres Gleichgewi­cht, ihre Wirtschaft­skraft, ihren Zusammenha­lt. Ihn zu verhindern, liegt in Europas Hand. Nicht um jeden Preis. Aber wenn wir den Briten ein offenes Ohr leihen und faire Lösungen bieten, sind die Chancen groß, dass sie sich für den Verbleib entscheide­n. Sie hätten nicht eine so lange und glorreiche Geschichte, wenn es ihnen an Augenmaß und Realitätss­inn fehlen würde.

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