AufdemWegin die „Einheitspension“
Immer weniger Jobs, immer höhere Soziallasten, immer längere Pension: Wirtschaftsexperten und Gewerkschafter suchen neueWege aus der alten Misere.
Wird es in Zukunft noch Arbeit – und durch Arbeit finanzierte Sozialleistungen – geben? Die hohen Arbeitslosenzahlen haben dieser Tage einen Schock ausgelöst. Ein anderer Teil der unangenehmenWahrheit zum Sozialsystem steht im brandneuen Strategiebericht zum Bundesfinanzrahmen für die Jahre 2016 bis 2019. Blättert man dort etwa in der Untergruppe 22 (Pensionsversicherung) nach, dann stößt man auf explodierende Pensionslasten. Bis 2019 steigen demnach die staatlichen Pensionsausgabenum5,5 Milliarden, der Anteil der Pensionsausgaben an den Gesamtausgaben wächst von 24,4 auf 29,7 Prozent. Die Sozialausgaben insgesamt legen in diesen wenigen Jahren von 37,6 auf 44,5 Milliarden zu – und das trotz ständigen Reformen und Sparplänen. ür den WirtschaftskammerSozialexperten Martin Gleitsmann, der diese Zahlen im Zuge der gestern beendeten „ Denkwerkstatt St. Lambrecht“vorlegte, sind das „erschütternde“Fakten. Was ihn besonders erregt: Im Bericht finde sich „kein Hinweis darauf, dass wir ein Problem hätten“. Gleitsmann selbst stellt jetzt drastische Maßnahmen zur Diskussion, etwa die Anhebung des Frühpensionsalters oder überhaupt die „Abschaffung der Frühpension“. Denn die Erfahrung zeige, dass die Menschen Abschläge in Kauf nehmen und trotzdem früh in Pension gehen. ass das faktische Antrittsalter noch viel rascher als bisher gehoben werden muss, sagt auch Wirtschaftsforscher Bernhard Felderer. Schon jetzt könnten die Pensionen nicht mehr voll an die Teuerung angepasst werden, und das werde sich verstärken: „Es gibt eine langsame Tendenz zur Einheitspension.“Die Aufrechterhaltung des Sozialversicherungssystems im heutigen Umfang sei nur durch Verlängerung der Lebensarbeitszeit denkbar:
FDERNST T SITTINGER NGER „Sonst droht eine dramatische Pensionskürzung oder eine astronomische Beitragserhöhung.“Die konkrete Höhewolle er nicht nennen: „Die Zahlen sind zu schlimm, das kann man nicht veröffentlichen.“
Eine Lehre aus der spannenden Lambrechter Denkwerkstatt: Die Fronten der klassischen Sozialdebatte scheinen aufgrund der dramatischen Lage zumindest aufgeweicht. So kann sich etwa der Gewerkschafter und SP-Mandatar JosefMuchitsch eine Arbeitszeitverkürzung auch ohne vollen Lohnausgleich vorstellen – allerdings nur für höhere Einkommen. Dort solle man zwischendurch „Freizeitphasen andenken“, um die Arbeit gerechter zu verteilen. ie von Muchitsch geführte Gewerkschaft Bau-Holz betreibt gemeinsammit den Arbeitgebern seit Jahresbeginn ein Modell, mit dem Schwerarbeiter ein Überbrückungsgeld erhalten, damit sie zwei Jahre später in Pension gehen. Bezahlt wird aus einem Fonds, den beide Seiten dotieren: die Arbeitgeber durch Beiträge, die Arbeitnehmer durch Lohnverzicht.
DMuchitsch schließt sich sogar der traditionellen ÖVPForderung nach Senkung der Lohnnebenkosten an: „Wir müssen den Faktor Arbeit durchleuchten. Ich sehe es nicht ein, dass wir die zweithöchsten Lohnnebenkosten in Europa haben und damit zwei Drittel der Republik finanzieren.“amit liegt er überraschend auf einer Linie mit dem Wiener Arbeits- und Sozialrechtsprofessor Wolfgang Mazal, der sagt: „Wäre ich Bismarck in der heutigen Zeit, dann würde ich das Sozialsystem sicher nicht mehr lohnfinanziert aufbauen.“Es sei blamabel für das 21. Jahrhundert, bei völlig geänderten Verhältnissen noch am System des 19. Jahrhunderts festzuhalten. ass sich die gewohnte Sozialrechnung samt Wachstumsdenken im weltweiten Rahmen schon heute vorne und hinten nicht mehr ausgeht, rechnet der Big-Data-Experte Dirk Solte mit einem atemberaubenden Szenario vor: Demnach sind weltweit 4,5 MilliardenMenschen arbeitsfähig, aber wir brauchen aufgrund der großen Arbeitsproduktivität nur 700 Millionen, um die heutige globale Wirtschaftsleistung zu erbringen. Für diese Wirtschaftsleistung sind beim Umwelt- und Naturverbrauch aber schon jetzt jährlich 1,5 Erden nötig. Weiteres Wachstum bei Bevölkerung, Produktivität und Wirtschaftsleistung führe also zwangsläufig in den Kollaps. Dazu komme noch die künstliche Intelligenz – in der nächsten Optimierungswelle würden nun bereits „mittlere Jobs“wie etwa Ärzte durch intelligente Maschinen abgelöst. olte fragt deshalb: „Sollen wir künftig wirklich sieben Milliarden arbeitsfähige Menschen in eine Arbeitspflicht jagen?“Besser wäre, sagt er, „nicht technische, sondern soziale Innovation“. Sprich: ein arbeitsloses Grundeinkommen.
DDS