„Wir erleben in Lettland russische Propaganda“
Im Baltikum spürt man den hybriden Krieg. Die beste Waffe ist die Integration von Russischsprechenden.
Wenn man im Baltikum unterwegs ist, trifft man erstaunlich viele Menschen, die mehrere Sprachen sprechen. Freut Sie das? SOLVITA ABOLTINA: Es ist für die Wettbewerbsfähigkeit kleiner Länder sehr wichtig. Auf der anderen Seite ist es auch schade, wenn junge Leute nicht mehr ihre eigene Sprache voranstellen. Vor Kurzemhat mir ein junger Mann erzählt, wenn fünf Leute auf der Straße zusammenkommen und einer davon Russisch spricht, sprechen alle fünf Russisch und nicht Lettisch.
Russisch ist zum Beispiel Lettland stark präsent, oder? ABOLTINA: Ja, denn der russische Informationsraum ist stark. Es liegt aber auch an den Russischsprachigen selbst. Bis zum Sprachreferendum im Februar 2012, als die Anerkennung des Russischen als zweite Amtssprache abgelehntwurde, haben sich viele bemüht, Lettisch zu sprechen. Danach haben sie demonstrativ wiederRussisch verwendet. Die Krim-Krise hat das noch verstärkt. Für die ältere Generation ist das kein Problem, aber für die Jüngeren. Nach der Unabhängigkeit haben wir in Lettland die Sprache politisiert. Deshalb hat das Russische einen schlechten Ruf und viele Kinder wählten Englisch in der Schule. Heute sprechen viele junge Letten besser Englisch als Russisch.
in Das ist aber auch falsch, denn allein wegen unserer Grenze und unserer Wirtschaftskontakte brauchen wir ja auch Russisch.
Kommt Lettland durch die EURatspräsidentschaft 2015 eine besondere Rolle zu? ABOLTINA: Als Vermittler, ja, als Dolmetscher nicht. Es gab eine Initiative von uns und drei weiteren Ländern in der EU, einen eigenen russischsprachigen Fernsehkanal zu gründen, der objektive Nachrichten bringt. Bis zum Flugzeugabsturz in der Ukraine war es sehr schwierig, alle 28 Länder zu einem gemeinsamen Entschluss zu bringen. Beim Gipfel in Riga werden die Niederlande eineUntersuchung zu dem Absturz präsentieren und zeigen, warum so ein Sender wichtig ist.
Sehen Sie in Lettland bereits einen hybriden Krieg? ABOLTINA: Wir haben gesehen, wie die russischen Medien die Bevölkerung in der Ostukraine beeinflusst haben und wir sehen so etwas auch in Lettland. Man hört dort, dass die Unabhängigkeit ein Fehler war und die Politiker in Lettland unfähig sind, das Land zu führen.
Haben Sie das Gefühl, dass die Propaganda verfängt? ABOLTINA: Das lässt sich an der Ukraine-Krise gut ablesen. Die russische Intelligenz bei uns hat gespürt, dass damit eine Gefahr verbunden ist und es schnell heißen könnte: Alle Russen raus. Dann gab es einige, die Putins Macht sahen und spürten, dass sie zu Lettland gehören. Und einige sympathisieren auch mit Putin. Die meisten sind aber loyal zu Lettland.
Fühlen Sie sich durch Moskau bedroht? ABOLTINA: Gerade wir Politiker, die für Sicherheit verantwortlich sind, sollen ja sagen, dass die Geheimdienste gut arbeiten und wir bereits sind, für alles, was geschehen kann. Aber niemand kann sagen, was Putin machen will. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir ein Mitglied der Nato sind und uns der Artikel fünf schützt, wir aber für unsere Verteidigung auch selbst nachdenken müssen und genug Geld dafür freimachen.
INTERVIEW: INGO HASEWEND