Undankbarer Platz im Mittelfeld
Lettland hat seit einem Jahr den Euro und seit Anfang des Jahres hat es die EU-Ratspräsidentschaft inne. Nun ist die Hauptstadt Riga Schauplatz der EU-Gipfel. AmDonnerstag findet jener zur Östlichen Partnerschaft statt. Doch so richtig hat Lettland seinen
INGO HASEWEND, RIGA
Krisjanis Buss nippt nachdenklich an seinem Cappuccino. Der junge Lette wirkt etwas verlegen. „Ja, in der Mitte leben, ist nicht immer einfach.“Während Estland über den Finnischen Meerbusen hinweg ins nahe Helsinki ein enges Band aufgebaut hat, Litauen seine historische Hassliebe mit Polen kultiviert, hängt Lettland in der Mitte fest. Der Politologe weiß eigentlich auch nicht so recht, woran sich die jungen Letten eigentlich orientieren. Das liegt auch daran, dass eine einheitliche Nationalität noch nicht lange existiert, erklärt Buss. „In Lettland ist die Idee eines Staates erst im 20. Jahrhundert entstanden“, sagt der Politologe. Damit unterscheidet sich die junge Nation von ihren beiden baltischen Nachbarn. Letten fühlen sich eher nach Skandinavien gezogen, gehören aber zu einer Sprachfamilie mit Litauen, während die Esten sprachlich mit den Finnen verwandt sind, so Buss. Litauen hat eine besser entwickelte Industrie, Estland einen Internetboom. Und Lettland? Nun ja, eigentlich beides nicht so richtig.
„In der Sowjetunion war Riga stark“, sagt Buss, „aber das war ein Fantasiegebilde. Als die Sowjetunion ging, ging auch die Industrie.“Geblieben ist ein tiefer Riss in der Gesellschaft, denn nirgends im Baltikum ist der Anteil der russischsprachigen Minderheit so hoch. In Riga, der mit Abstand größten Stadt des Baltikums, leben heute sogar 40 Prozent Russischstämmige und jeweils knapp vier Prozent Ukrainer undWeißrussen. Eine brisante Mischung, denn noch immer haben 270.000 russischsprachige Letten keine lettische Staatsbür- gerschaft. Sie sind Staatenlose, in derenReisepass dasWort „Alien“steht. Als Nichtbürger sind sie Bürger zweiter Klasse, dürfen weder als Polizist noch als Notar arbeiten, sind vom Wahlrecht ausgeschlossen und leiden mit ihren weißen Pässen unter erschwerten Reisebedingungen.
Blick auf die EU
„Die Staatsangehörigkeitspolitik gehört zu den am heftigsten diskutierten Fragen der lettischen Integrationspolitik“, sagt Ivars Ijabs. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität in Riga. Allerdings hat die Regierung im Jahr 2014 einen neuen Anlauf für ein geändertes Staatsbürgerschaftsgesetz gemacht und einige strittige Punkte liberalisiert, sagt Ijabs. „Es war ein Fehler, dass nicht allen automatisch die Staatsbürgerschaft gegeben wurde.“Aber es war damals eben ein politisches Mittel, betont der Politikwissenschaftler. „Lettland ist heute ein gefestigtes Mitglied in derNato und der EU. Daswar nur möglich, weil man die Macht in den ethnisch-lettischen Händen gelassen hat“, sagt Ijabs. „Wir wollten zur westlichen Welt gehören und das war nur möglich, weil man russischstämmige Letten nicht automatisch eingebürgert hat.“
Der Druck aus der EU und die Aussicht auf die EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2015 haben den Prozess deutlich beschleunigt. In Lettland werde die EU-Ratspräsidentschaft sehr ernst genommen und die Regierung sei gut vorbereitet. „Alt-EUStaaten beginnen nicht mehr so vorbereitet“, sagt Ijabs.
Es ist eine Ratspräsidentschaft, die von der Euro- und der Ukraine-Krise überschattet wird. Beides keine Themen, die die Letten